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Gute Gründe, es mit smarter Technik nicht zu übertreiben

Die Welle rollt. Und wie das bei Wellen so ist, sie spülen auch allerhand ungewolltes Treibgut an und können auch ziemliche Schäden hervorrufen.

Südostschweiz
29.03.19 - 09:00 Uhr
Leben & Freizeit
Unsplash.com © Luke Chesser

Und wenn derzeit etwas das Prädikat Welle verdient, dann smarte Technik, zum Beispiel eingesetzt bei der Gebäudeautomation. Sie tritt an, um unser Leben zu bereichern – und das tut sie auch. Aber sie bringt auch viel „Treibgut“ mit und kann unsere Gesundheit gefährden.

Eine smarte Definition

Smart ist gefühlt überall. Doch was ist damit gemeint? Tatsächlich bricht es auf wenige Faktoren herunter:

  • Mit Rechenkapazitäten und dadurch (gewisser) Autonomie versehen
  • Elektrisch
  • Internetfähig

Darunter fällt alles vom Smartphone über Gegensprechanlagen, „Gadgets“ und „Wearables“ bis zur Küchenmaschine, die sich Rezepte herunterlädt.

1. Grund: Angreifbarkeit

Smart ist, wie erwähnt, gleichbedeutend mit Internetverbundenheit – schon deshalb, weil sich nur dadurch Steuerbarkeit ergibt.

Nun muss man dazu nicht einmal das Thema Cyberattacken gegen Unternehmen bemühen oder dystopische Zukunftsszenarien zeichnen. Es reicht eines: Alles, was internetverbunden ist, kann übernommen werden, sich Viren fangen, gegen den Nutzer verwendet werden.

Kritisch daran ist, dass die Smart-Masse unzählige Hintertüren öffnet, die auch eigentlich gutgesicherte Systeme aushebeln.

Man kann sein WLAN-Kamerasystem mittels eines starken Passworts absichern. Wenn am gleichen Netz jedoch die per App steuerbare, schlechtgesicherte Waschmaschine hängt, gähnt das Tor.

2. Grund: Elektrosmog

1970 gab es in einem Schweizer Haushalt, wenn es hochkam, ein Dutzend Elektrogeräte – keines davon funkte.

Heute indes enthält jeder Haushalt aberdutzende Stromverbraucher. Er funkt smart in unzähligen Frequenzbereichen, steht unter Dauerbeschuss von aussen. Schon das Bundesamt für Umwelt (BAFU), keine Institution, die zu Panikmache tendiert, sagt klar und deutlich: das ist gefährlich.

Tatsächlich hat die Belastung heute solche Ausmasse angenommen, dass es notwendig wird, in seinem Heim Abschirmung gegen Elektromagnetismus zu betreiben.

Und das gilt nicht nur für die zehn „elektrosensiblen“ Bevölkerungsprozent, sondern für jeden – denn die damit zusammenhängenden Krankheiten zwischen Schlafstörungen und Krebs können jeden betreffen und sind nur durch Abschirmung und Verzicht zu bändigen, zumal die Langzeitwirkungen längst nicht ausreichend erforscht sind.

3. Zwischenmenschlichkeit

Kennen Sie Wall-E? Der Film, in dem ein Roboter reihenweise Zuschauerherzen eroberte, skizziert eine Zukunft, die unmittelbar mit Smarttechnik verknüpft ist: Menschen, die nur noch auf Bildschirme starren.

Klingt übertrieben? Nun, bereits heute sind Fachleute der Ansicht, dass Smartphones eine ganze Generation negativ beeinträchtig.

Schon heute wissen viele nicht mehr, wie man:

  • ohne Navi ein Ziel findet
  • ohne Wikipedia recherchiert
  • ohne Internet flirtet
  • ohne Social Media freundschaftlichen Kontakt hält

Für viele Jugendliche scheint es eine Zeitverschwendung zu sein, mit jemandem persönlich zu sprechen. Sie sitzen nach der Schule an der Bushaltestelle und schreiben mit der Person, die neben ihnen sitzt. Sie tippen die Botschaft lieber ins Internet, denn da lesen und teilen sie viel mehr Menschen.“

Das sagt nicht irgendwer, das sind Worte des angesehenen Psychiaters Kurosch Yazdi. Und mit jedem neuen smarten Bausteinchen sinkt die Notwendigkeit, mit echten Menschen zu interagieren.

4. Stromverbrauch

Die Energiewende geht mit grossen Schritten voran – und ist überall Reibungspunkt. Das sieht man schon vor unserer Haustür am Zankapfel Linthwind-Windpark.

Doch genau hierin lauert eine gefährliche Tatsache: Je weiter die Energiewende voranschreitet, desto mehr verlieren wir das Bewusstsein dafür, dass der beste Strom der ist, der gar nicht erzeugt werden muss, weil ihn niemand braucht.

Hätte, um einen Rückgriff auf Kapitel 2 zu wagen, die Schweiz heute noch einen Stromverbrauch wie 1970, könnten wir das Thema Energiewende abhaken. Dann würde das, was heute installiert ist, den Bedarf decken.

Doch wir schreiben 2019. Und egal, ob direkt mit dem Netz verbunden oder dank Akku sporadisch. Es kommen dauernd neue Anwendungen hinzu, die den Stromverbrauch hochtreiben.

Auf der einen Seite stehen Fachleute, die Schwerstarbeit leisten, um Geräte verbrauchsärmer zu machen und Verbrauchsbewusstsein zu schaffen. Auf der anderen Seite stehen jedoch Industrien und Verbraucher, die bedenkenlos Gadgets streuen und annehmen.

Dabei ist es gleich, ob eine Person mit wenigen, nicht sparsamen Geräten auf 2000 Kilowattstunden Jahres-Stromverbrauch kommt oder mit einem Berg sparsamer Geräte – es zählt nur, was unterm Strich steht. Genau dieser Wert wird dank explodierende Smart-Helfer trotz allen Umbaus, aller Sparsamkeit immer kritischer. Schlimmer noch, er verlängert und verteuert die Energiewende.

5. Basis-Fähigkeiten

Hand aufs Herz: Könnten Sie in der Migros den Preis von zehn Produkten im Kopf bis auf die Nachkommastellen ausrechnen?

Falls nein, sind Sie in bester Gesellschaft. Jeder hat heute seinen Taschenrechner immer dabei. Nein, das soll keine Anklage sein, der Mensch neigt dazu, immer den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen.

Allerdings hat gerade Smart-Technik das Zeug dazu, uns wirkliche Grundlagen abzunehmen und somit mittelfristig abzutrainieren.

Es fängt bei der Geduld an. Immer mehr sind wir es gewohnt, Antworten, Unterhaltung und Co. direkt zu bekommen. Selbst die wenigen Tage, die ein bestelltes Produkt zum Eintreffen braucht, sind vielen schon zu viel.

Wozu sich noch die Mühe machen, selbst ein Rezept zu kreieren, wenn die App liefert? Warum lernen, wie man sein Haus absichert, wenn die smarte Hausabsicherung alles übernimmt?

Natürlich, das alles ist komfortabel und verkauft sich deshalb spitzenmässig. Aber es ist die Schlagzahl, mit der diese Technik uns überflutet, die dafür sorgt, dass binnen kürzester Zeit unzählige Grundlagenfähigkeiten überflüssig werden – und schon heute zeigt sich bei jedem Stromausfall, welche Probleme das verursacht.

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