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«Rassismus gibt es auch im Glarnerland»

Der Fotograf der «Glarner Nachrichten» stammt aus Sri Lanka, lebt aber schon seit 15 Jahren in der Schweiz. Für seine Fotokolumne hat er sich mit Audrey Hauri über Integration unterhalten.

Sasi
Subramaniam
10.06.23 - 04:30 Uhr
Menschen & Schicksale
Audrey Hauris Vater stammt aus Ghana: Die neue Leiterin der Glarner Hauptabteilung Soziales kümmert sich unter anderem auch um die Integration von geflüchteten und zugewanderten Personen – und hat selbst auch schon Rassismus erlebt.  
Audrey Hauris Vater stammt aus Ghana: Die neue Leiterin der Glarner Hauptabteilung Soziales kümmert sich unter anderem auch um die Integration von geflüchteten und zugewanderten Personen – und hat selbst auch schon Rassismus erlebt.  
Bild Sasi Subramaniam

In diesem Monat ist es genau 15 Jahre her, dass ich in die Schweiz gekommen bin. Als Vater von zwei Kindern habe ich die meiste Zeit dieser 15 Jahre damit verbracht, nicht nur für meine beiden Kinder, sondern auch für Kinder ausländischer Herkunft das nötige Umfeld zu schaffen, damit sie in der Schweiz gut leben können. Obwohl mein Aufwand sehr gering war, habe ich ihn sehr bewusst gemacht. Allerdings habe ich das Gefühl, dass mich die Glarnerinnen und Glarner als einen der ihren akzeptieren. Vielleicht liegt es daran, dass ich ihre Kultur berühre. Vor ein paar Monaten fiel mir bei einem Abendessen die Bemerkung eines bekannten Glarner Professoren auf. «Obwohl ich in Glarus aufgewachsen bin, haben mich die Glarner nicht als einen der ihren akzeptiert. Aber sie akzeptieren dich als einen der ihren. Das ist etwas ganz Besonderes.»

Die Protagonistin meiner heutigen «Begegnung», Audrey Hauri, sagt stolz von sich, sie sei eine Glarnerin, obwohl ihr Vater Ghanaer ist. «Ich fühle mich als Glarnerin. Auch wenn es immer wieder Situationen gibt, in denen das infrage gestellt wird, fühle ich mich stark mit meinem Geburtsort und Lebensmittelpunkt verbunden», sagt Audrey Hauri. «Ich bin in Glarus geboren und aufgewachsen, und ich bin mit dem Glarnerland stark verwurzelt. Mein Grossvater war Fahrlehrer und Beizer, und auch meine Mutter war in der Gastronomie tätig. Das Interesse am Mensch wurde mir also in die Wiege gelegt.»

Auf dem linken Bild ist Audrey Hauris Vater zu sehen, auf dem rechten ihre beiden Söhne.
Auf dem linken Bild ist Audrey Hauris Vater zu sehen, auf dem rechten ihre beiden Söhne.
Bild Sasi Subramaniam

Per 1. Juni übernahm die Molliserin die Leitung der Hauptabteilung Soziales. Ein paar Tage später traf ich Audrey Hauri und befragte sie zu den Herausforderungen ihrer neuen Position. «Die Leitung der Hauptabteilung Soziales zu übernehmen, ist eine grosse Herausforderung für mich, die ich aber gerne annehme», erklärte sie. Die Hauptabteilung bestehe aus knapp 90 Mitarbeitenden, und sie sei sehr dankbar, dass sie auf ein «tolles Team» zählen dürfe: «Sie alle tragen zu einem sozialen Glarnerland bei.»

«Wenn wir uns als Menschen begegnen, haben wir die grösste Chance, miteinander und nicht nebeneinander zu leben.»

Audrey Hauri, Leiterin der kantonalen Hauptabteilung Soziales

Auf meine Fragen führte sie weiter aus, dass 2021 im Kanton Glarus 701 Personen wirtschaftliche Sozialhilfe bezogen hätten. Das entspreche einer Sozialhilfequote von 1,7 Prozent, die im Vergleich zur Schweizer Quote von 3,1 Prozent sehr tief sei. 2020 betrug der Anteil an Sozialhilfebeziehenden aus Drittstaaten im Kanton Glarus 3,3 Prozent. «Diese Zahl ist sehr erfreulich», findet Audrey Hauri, «denn sie zeigt auf, wie gut der Kanton in Sachen Integration unterwegs ist.»

Audrey Hauri ist Mutter von zwei Söhnen. «Rassismus gibt es auch im Glarnerland», sagt sie, «und auch ich wurde nicht davor verschont, da meine ghanaischen Wurzeln väterlicherseits für alle sichtbar sind.» Als Kind habe sie sich nie gewehrt oder habe aufbegehrt. Doch: «Nun stehe ich hin und sage klar, dass Rassismus keinen Platz in der Gesellschaft hat.» Mit ihrem Mann versuche sie, den Söhnen ein gesundes Selbstbewusstsein auf den Weg mitzugeben. «Sie sollen für sich und für Schwächere einstehen, ihre Meinung vertreten und sich nicht unterkriegen lassen.»

Audrey Hauri lässt sich den Flohmarkt und die Landsgemeinde nicht entgehen.
Audrey Hauri lässt sich den Flohmarkt und die Landsgemeinde nicht entgehen.
Bild Sasi Subramaniam

Ich habe die 44-Jährige zufälligerweise an der diesjährigen Landsgemeinde und am Flohmarkt davor fotografiert. Sie erklärt dazu: «Mit meinem Grossvater Ernst Lüscher und mit meinem Stiefvater Peter Bisig habe ich von klein auf am Landsgemeinde-Flohmarkt mitgewirkt; als Kind jeweils mit einer Decke am Boden, später mit meinem Mann an einem Stand.» Flohmarkt und Landsgemeinde hätten bei ihr Tradition. «Ich schätze die Möglichkeit, die der Kanton Glarus bietet, hautnah am politischen Geschehen mitzuwirken und den Kanton mitzugestalten.» Ihr jüngerer Sohn Nima sei gerade 16-jährig geworden, womit er mit dem älteren Sohn Can und den Eltern zum ersten Mal an der Landsgemeinde teilnehmen konnte.

Audrey Hauri und ihr Mann Rouven im Landsgemeindering.
Audrey Hauri und ihr Mann Rouven im Landsgemeindering.
Bild Sasi Subramaniam

«Ich glaube, die Glarnerinnen und Glarner sind offen, wenn man Interesse an der Glarner Kultur zeigt und möglichst gut Deutsch lernt», sagt Audrey Hauri. Doch auch die zugewanderte Bevölkerung solle offen und mutig sein und auf die Schweizerinnen und Schweizer zugehen. «Nur so werden Vorurteile im Kopf abgebaut. Wenn wir uns als Menschen begegnen, haben wir die grösste Chance, miteinander und nicht nebeneinander zu leben.»

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