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Wer schützt uns vor dem geschützten Wolf?

André Siegenthaler aus Engi ist Biobauer und Mitglied der Fachkommission Grossraubtiere des Glarner Bauernverbandes. In dieser «Tribüne» vertritt er seine persönliche Meinung zum Thema Wolf.

Südostschweiz
22.11.22 - 04:30 Uhr
News
Reizthema: Laut André Siegenthaler kam der Herdenschutz diesen Sommer an seine Grenzen.
Reizthema: Laut André Siegenthaler kam der Herdenschutz diesen Sommer an seine Grenzen.
Bild Sasi Subramaniam

von André Siegenthaler

Herdenschutz heisst Vergrämen. Wir machen dies Tag für Tag und auch bei Nacht. Kaum bezahlt und aus ureigenem Interesse am Wohlergehen der Tiere in unserer Obhut. Der Herdenschutz mit elektrifizierten Weidenetzen und Herdenschutzhunden kam diesen Sommer an seine Grenzen. Bleibt noch die ständige Behirtung. Dazu braucht es Infrastruktur und Personal. Wir werden sehen, wie die Umweltverbände auf die benötigten Bauten reagieren werden. Einsprachen sind garantiert. Und robustes Personal kann nur gefunden werden, wenn dieses mit Verteidigungsbewaffnung ausgerüstet werden kann.

In Frankreich gab es 2020 im westlichen Alpenbogen folgende Tötungen durch Wölfe: 8940 Schafe, 471 Geissen, 199 Rinder, vier Equiden und 59 Herdenschutzhunde! Das sind 9673 bestätigte Tötungen. In ganz Frankreich waren es 12 276. Und das, obwohl seit 2015 auch Verteidigungsabschüsse bei Annäherung an Herden durch Hirten, Jäger und die Wildhut möglich sind. Dadurch wurde zwar der Anstieg auf hohem Niveau der Risse gebremst, aber nicht reduziert.

In diesem Sommer gab es auf den geschädigten Schafalpen im Glarnerland acht Prozent Verluste. Normal sind es ein bis zwei Prozent Abgänge, etwa durch Krankheit oder Abstürze.

Wollen wir wirklich verbarrikadierte, verbellte und überwachte Alpen und kaputte Älpler?

«Die Bergbevölkerung kennt den Wolf nicht richtig», behauptet der Biologe und Tierfilmer Andreas Moser. Als Linker und Netter erschrecke ich immer wieder über die Arroganz, Verachtung und Hartherzigkeit der Wolfsversteher gegenüber der hiesigen Berg- und Talbevölkerung. In neo­kolonialer Manier erklärt man uns, wie wir zu leben und zu arbeiten haben, und fordert uns gar auf, unser Land zu räumen. Dies stösst bei den Betroffenen – egal wo und wann – immer auf Widerstand.

Der Schweizer Staat hat sein Machtmonopol an private, selbst ernannte und demokratisch nicht legitimierte Expertenorganisationen abgegeben. Diese behaupten, genau zu wissen, was der Wolf ist, und entscheiden wie im Falle von Kora, welche DNA ausgewertet wird. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) hat keine Gestaltungsmacht und kuscht vor Einsprachen der Umweltverbände, bevor diese geschrie­ben sind.

Während wir für unsere Tiere verantwortlich sind und für deren Schutz sorgen, unterlässt es der Staat, sich um ihren Wolf zu kümmern und dafür die Verantwortung zu übernehmen. Die Jagdverwaltung ist das falsche Departement für das Wolfsmanagement. Dieses gehört in das Sicherheitsdepartement. Dort ist die Expertise für Aufklärung und Gefahrenabwehr.

Wir verstehen nicht, warum die kantonale und eidgenössische Jagdverwaltung nicht wenigstens den Spielraum nutzen, den sie haben.

Es ist Zeit, dass sich die Sozialwissenschaften zu Wort melden und das Feld nicht den Naturwissenschaften überlassen, obwohl es auch dort verantwortungsvolle Stimmen gibt. Die Sozialwissenschaft erkennt den Menschen und kann verstehen, was das Auftauchen des Wolfes in unseren Tälern für uns Betroffene bedeutet.

Das ohrenbetäubende Schweigen des Tierschutzes zu den Wolfsangriffen macht ihn bei uns Landwirtinnen und Landwirte gänzlich unglaubwürdig.

Über der Waldgrenze soll sich die Weidelandwirtschaft zurückziehen. Nur ist der Wolf nicht nur dort aktiv, sondern folgt dem Wild. Auch steigt die Waldgrenze und die Pionierpflanze Grün-Erle kommt in rasantem Tempo auf. Diese hat die Fähigkeit, Stickstoff aus der Luft zu ziehen und stösst den Klimakiller Lachgas in grossen Mengen aus und das ausgewaschene Nitrat landet in den Runsen. Dazu kommen Heidelbeeren, Alpenrosen, Büsche, Kraut. Kein Licht mehr auf dem Boden, Biodiversität ade.

Wir Bergler kennen den Wolf sehr gut, weil wir genau verstehen, was er will. Vielleicht auch, weil wir ihm viel zu ähnlich sind. Denn wir befinden uns in einem Kampf um unsere Reviere.

Wir stehen erst am Anfang einer grenzüberschreitenden Bewegung zur Verteidigung der Berg- und Alplandwirtschaft. Dieser Kampf ist anstrengend und fordert uns, da wir die Mittel einsetzen wollen, die uns in einem demokratischen Staat gegeben sind. Dabei sind Unterstützung wie diejenige durch die IG «wolfsicherer Lebensraum» für uns wie Atemluft. Es tut gut, zu spüren, wie wir durch die mitbetroffene Bevölkerung getragen werden. Gemeinsam können wir unsere Weidelandwirtschaft verteidigen!

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"Es ist Zeit, dass sich die Sozialwissenschaften zu Wort melden". Hat sie bereits, ich verweise auf die Doktorarbeiten von Nikolaus Heinzer und Elisa Kunz und ihren Synthesebericht: "Wölfe in der Schweiz. Eine Rückkehr mit Folgen". Erfordert aber ein Mindestmass an Bereitschaft zur objektiven Betrachtung und (Selbst-)Reflexion. Und das gilt sowohl für Wolfsbefürworter wie -hasser.

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