Udo Jürgens wollte nicht «altbacken und von gestern sein»
Mit seinen Hits sprengte Udo Jürgens die Grenzen des Schlagers. Seine Kinder John und Jenny blicken zurück auf das Leben ihres Vaters. Über manche Aspekte wollen sie aber nicht öffentlich reden.
Mit seinen Hits sprengte Udo Jürgens die Grenzen des Schlagers. Seine Kinder John und Jenny blicken zurück auf das Leben ihres Vaters. Über manche Aspekte wollen sie aber nicht öffentlich reden.
Die künstlerischen Ambitionen von Udo Jürgens reichten weit über die leichte Unterhaltung hinaus. Der Sänger, der über Jahrzehnte das deutschsprachige Showgeschäft mitprägte, liess nicht nur aktuelle politische Ereignisse, sondern auch angesagte Musikströmungen in seine Hits einfliessen, wie seine Kinder John und Jenny Jürgens erzählen. Am 30. September wäre ihr Vater 90 Jahre alt geworden.
«Was er nicht wollte, ist altbacken und von gestern sein», sagt John der Deutschen Presse-Agentur. «Der Papa hat uns auch progressivere Musik gezeigt - Rockbands und die krassesten Sachen», erinnert sich der Sohn in einem gemeinsamen Interview. «Wir waren alle sehr funky», erzählt seine drei Jahre jüngere Schwester Jenny bei dem Interview in Wien.
Gegen das Schlager-Image
Seine erste Single mit dem Titel «Es waren weisse Chrysanthemen» aus dem Jahr 1956 stand noch ganz im Zeichen des Schlager-Genres. Etwa zehn Jahre später setzte sich Jürgens mit dem Hit «Siebzehn Jahr, blondes Haar» und dann beim Eurovision Song Contest mit dem Siegerlied «Merci Chérie» als eigenständiger Song-Komponist durch.
«Er wollte sich immer weiter und immer intensiver von diesem Image des Schlagersängers abheben», sagt Jenny. Es habe ihn «immer leicht gewurmt», wenn er so bezeichnet wurde.
Zum posthumen 90. Geburtstag erscheint eine Best-of-Sammlung mit dem Titel «Udo 90». In einigen Songs blitzen die damals aktuellen Einflüsse auf. «Immer wieder geht die Sonne auf» (1967) klingt ein wenig nach den damals erfolgreichen Beach Boys; «Deine Einsamkeit» (1970) erinnert an den Sound eines kurz zuvor erschienenen Albums von Simon and Garfunkel.
Doch dem musikalischen Entdeckergeist des Sängers waren Grenzen gesetzt. Im Jahr 1981 produzierte Jürgens in den USA das englischsprachige Album «Leave A Little Love», das musikalisch in Richtung Pop zeigte. Seine Kinder fanden es cool. «Aber das ist nicht so gelaufen», beschreibt Jenny den mangelnden Erfolg der Platte beim Publikum.
Auch die Inhalte seiner Songs gingen weit über seichte Schlager-Texte hinaus. In «Lieb Vaterland» sang er von sozial Schwachen im Schatten der Konzerne. In anderen Liedern sprach er Krisen und soziale Themen auf indirekte, humorvolle oder sentimentale Weise an: Umweltverschmutzung und ein politisches Attentat in «5 Minuten vor 12», Alkoholismus in «Der Teufel hat den Schnaps gemacht» oder Migration in «Griechischer Wein».
«Der Papa hatte eine Art, in der Leichtigkeit seiner Songs immer irgendwo auch den Finger zart in eine Wunde zu legen - sehr oft auch mit einem Augenzwinkern», sagt Jenny.
Kontroverse um ein Wort
In seinen Songs findet man aber nicht nur Kritik, sondern auch Selbstironie - wenn es etwa um sein Image als Frauenheld ging. «Er hat selber genau gewusst, wer er war, und sein absolutes Credo war die Flucht nach vorne», erzählt Jenny Jürgens. Wie sie und ihr Bruder das Verhältnis ihres Vaters zu Frauen erlebten, darüber wollen diese beiden der insgesamt vier Kinder von Udo Jürgens nicht sprechen.
Entspannter sehen die Geschwister hingegen die Kontroverse um den Jürgens-Klassiker «Aber bitte mit Sahne». Für die «Giovanni Zarrella Show» im ZDF im Vorjahr wurde im Liedtext das Wort «Mohrenkopf» durch «Schokokuss» ersetzt. In Online-Kommentarspalten regte sich Kritik an diesem Schritt. «Eigentlich sage ich: Man kann es ändern», meint John. «Ich weiss nicht, was die grosse Aufregung ist, ist ja nicht Goethe, es ist ein satirischer Text von Eckart Hachfeld.» Jenny hätte den Text zwar lieber im Original belassen, doch sie pflichtet ihrem Bruder bei, dass der Begriff «Mohrenkopf» eigentlich nicht mehr akzeptabel sei.
The show must go on
Statt über Kontroversen wollen die Geschwister lieber über den wiederentdeckten und nun erstmals veröffentlichten Jürgens-Song «Als ich fortging» sprechen. «Es ist eine wunderschöne Ballade», sagt John über das Lied, das innerhalb weniger Tage auf Youtube mehr als 300'000 Mal geklickt worden ist. Der Song war jahrzehntelang als Demoband in einem Archiv verstaubt. Mittels Künstlicher Intelligenz wurde nun Jürgens' Stimme aus der alten Aufnahme herausgefiltert und mit neuer Instrumentalbegleitung eingespielt.
Posthum lebt der Entertainer auch auf der Bühne weiter. Anfang November beginnt die Tournee «Da Capo Udo Jürgens». In den Shows sind Konzert-Aufnahmen des Sängers auf einer LED-Wand zu sehen und hören, während eine Band die Songs live begleitet. Als digitalen Avatar möchte John seinen Vater jedoch in der Zukunft nicht auf der Bühne sehen, auch wenn die Kultband Abba mittlerweile in Form solcher 3D-Hologramme auftritt. «Das finde ich gruselig», sagt John.