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«Listen haben eine gewisse Faszination»

Der Heimwehglarner Hans Kaspar Schiesser ist auf der Suche nach den 100 besten Glarner Büchern aller Zeiten. Er erklärt, warum er das tut.

Südostschweiz
13.12.22 - 04:30 Uhr
Kultur
Die Liste soll eine Diskussion anregen: Hans Kaspar Schiesser ist der Kopf hinter der Wahl zu den 100 besten Glarner Büchern.
Die Liste soll eine Diskussion anregen: Hans Kaspar Schiesser ist der Kopf hinter der Wahl zu den 100 besten Glarner Büchern.
Bild Sasi Subramaniam 

Hans Kaspar Schiesser wohnt eigentlich in Herzogenbuchsee. Man hört ihm aber den Heimwehglarner an. Und spürt das Herzblut, wenn man ihn über sein Projekt sprechen hört. Schiesser will die 100 besten und wichtigsten Glarner Bücher aller Zeiten bestimmen. Grund genug, um ihn nach seiner Motivation zu fragen.

Herr Schiesser, wie sind Sie auf die Idee gekommen, so eine Liste mit den 100 besten Glarner Büchern zu machen?

Hans Kaspar Schiesser: Listen haben ja eine gewisse Faszination. Es gibt sie für Bücher, Orte, Filme und anderes. Das hat auch seinen Grund: Wir sprechen viel über Abstraktes. Zum Beispiel sagen wir: ‘Ich lese gern.’ In einer Liste wird das immer konkret. Wir lesen dann gern Max Frisch oder ein Buch über Velotechnik. Dazu kommt, dass der Kanton Glarus sich perfekt dazu eignet, eine Liste über seine Bücher zu machen. Die Leute hier identifizieren sich mit dem Kanton. Und die Buchproduktion ist gross genug, dass eine Auswahl möglich wird, aber nicht so gross, dass eine Übersicht unmöglich wird.

Das sind im Wesentlichen technische Argumente für das Projekt. Herzblut gabs aber schon auch dafür, oder?

Natürlich! Ich schaue mir Listen auch gern an. Man muss sich ja nicht daran halten, aber sie regen zum Denken an.

So ein Projekt aus dem Nichts zu starten braucht Zeit. Haben Sie im Vorfeld erahnt, wie viel Aufwand so etwas gibt?

Ich hatte eigentlich vermutet, dass es mehr Zeit brauchen wird. Das Schöne war ja: Die Gruppen, welche einen Teil der Bücher mitbestimmen, haben wirklich gern mitgemacht. Ich musste ja nicht jedes der Bücher lesen, das es auf die Liste schafft.

Wie viele haben Sie denn schon gelesen?

Jetzt wo sich langsam abzeichnet, welche Bücher es auf die Liste schaffen werden, kann man das ungefähr sagen. Es ist wohl etwa ein Drittel. Aber es hat sich auch gezeigt: Ich habe Bücher entdeckt, die ich jetzt lesen will.

Welches sind ihre zwei Lieblingsbücher auf der Liste?

Von den Belletristik-Büchern liegen mir zwei besonders am Herzen. Einerseits «Die Steinflut» von Franz Hohler, der die Geschichte des Bergsturzes von Elm verarbeitet. Eine wunderschöne Geschichte trotz aller Tragik. Und dann ist da noch «Femmi» von Rhea Schiltknecht. Auch das finde ich eine wunderbar aufgearbeitete Glarner Geschichte. Bei den Sachbüchern faszinieren mich das Glarner Alpbuch und «Industriekultur», das fast umfassende Buch über die Glarner Industrie. Dieser riesige Wälzer, der jede Fabrik, die es im Kanton gegeben hat und gibt, beschreibt.

Können Sie einen Lieblingsmoment auf dem Weg zu dieser Liste benennen?

Ich habe gemerkt, dass wir in einigen Organisationen eine rege Diskussion ausgelöst haben. Es wurde diskutiert, welches Buch denn unbedingt auf die Liste muss und welches auf keinen Fall dahin gehört. Genau das soll die Liste auslösen! Es geht nicht in erster Linie um die objektive Qualität, sondern darum, dass man über Bücher spricht, sich darum zofft. Ich hoffe, dass wir so eine Reaktion auch in der breiten Bevölkerung mit dem Publikumsvoting auslösen können.

Ist das auch das Ziel für die ganze Aktion: Eine Diskussion auslösen?

Das Buch ist ja mit der Digitalisierung in die Defensive geraten. Bei vielen Jungen wird das Buch ziemlich unterschätzt. Man hat die Illusion, dass man alles im Internet findet. Dabei gibt es im Internet nur einen Bruchteil davon, was im Laufe der Jahrhunderte aufgeschrieben wurde. Man darf das unterschätzte Medium Buch durchaus etwas pushen. Und ich beobachte auch eine gewisse Lesemüdigkeit bei allen Altersgruppen. Das ist problematisch, schliesslich sind Lesen und Schreiben die wohl wichtigsten Kulturtechniken der Menschheit. Spielerische Leseförderung mittels einer Liste müsste eigentlich für alle attraktiv sein.

Salopp formuliert: Es geht zwar um eine Liste der besten Bücher, aber der Inhalt ist dabei eigentlich egal.

(lacht) Das ist überspitzt. Wir lassen ja immerhin darüber abstimmen. Aber ja: Der Inhalt ist nicht sakrosankt, die Diskussion darüber ist wichtiger.

Nach dem Voting für die Fiction-Bücher in den «Glarner Nachrichten» gibt es eine Liste mit 100 Büchern. Was geschieht danach damit?

Es macht wohl Sinn, wenn man diese 100 Bücher digitalisiert und zugänglich macht für die Öffentlichkeit. Es soll auch ein Büchlein geben, in dem die Bücher vorgestellt werden und das die Bücher im Glarnerland feiert.

Das Projekt ist also mit der Liste und ihrer Vorstellung noch nicht zu Ende. Sehen Sie sich da noch länger im Lead, etwas Dauerhaftes aus dem Projekt zu machen?

Völlig konkret ist das noch nicht. Ich hoffe, dass wir etwas im Kanton Glarus auslösen können. Vielleicht wird es auch Leute geben, die mithelfen wollen in irgendeiner Art und Weise. Dann wird es mich wohl nicht mehr gleich brauchen. Wir haben als OK ja auch noch keine feste Form. Von dem her wäre eine Institutionalisierung schon ein erstes Ziel.

Ein Teil der Bücher auf der Liste wird von Fachpersonen und -organisationen bestimmt. Heute startet in den «Glarner Nachrichten» aber auch ein öffentliches Voting für die besten Belletristik-Titel, Krimis und Kinderbücher. Warum braucht es das für Sie?

Ich denke, dass bei dieser Art von Büchern Geschmack eine wichtige Rolle spielen soll. Aber wir mussten ja hier schon kürzen. Die Liste, die man in der Zeitung findet, ist eine Zusammenfassung von Expertinnen und Experten. Bei Sachbüchern gibt es vielleicht andere Kriterien, die Recherche oder die Wirkung in der Wissenschaft, welche man mit einem Publikumsvoting nicht angemessen erfassen kann.

Was motiviert Sie als Heimwehglarner eigentlich, so viel Zeit in der alten Heimat zu verbringen?

Für mein Studium hat mir der Kanton Glarus seinerzeit zwei Jahre lang ein Stipendium gewährt. Und ich hatte immer im Hinterkopf, dass ich das irgendwann irgendwie zurückgeben will.

Zum Schluss: Welches Glarner Buch sollte ihrer Meinung nach noch geschrieben werden?

Es ist spannend: Beim letzten Anlass des Glarner Industriewegs haben wir einen Therma-Film gezeigt. Und dabei habe ich mich gefragt, warum es eigentlich noch kein Therma-Buch gibt. Offenbar ist jetzt ein solches Buch in Arbeit. Wunderbar. Aber ich sehe schon auch noch Lücken. Ich würde gern ein Buch über das Glarner Söldnertum lesen. Das hatte lange eine grosse finanzielle Bedeutung für den Kanton. Und wenn diese Liste dazu dient, dass das eine oder andere Buch noch entsteht: Umso besser!

Zur Person

Hans Kaspar Schiesser ist 74-jährig, in Ennenda aufgewachsen und hat in Bern und Freiburg im Breisgau Soziologie und politische Wissenschaften studiert. Anschliessend arbeitete er als Journalist, dann als Leiter Verkehrspolitik beim VCS und als Projektleiter beim Verband öffentlicher Verkehr. Er wohnt heute in Herzogenbuchsee. In seiner Freizeit fährt Schiesser Rennrad, verschlingt Wälzer zur vor allem politischen Geschichte und hat im Oberaargau ein Ortsbustaxi gegründet. Schiesser ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Das Projekt «Die 100 besten Glarner Bücher»

Hans Kaspar Schiesser ist der Urheber des Projekts «Die 100 besten Glarner Bücher». Zur lose organisierten Projektgruppe gehören neben Hans Kaspar Schiesser noch Martin Staub (Schwanden), Christa Pellicciotta (Glarus, Buchhandlung Wortreich) und Sebastian Dürst (Glarus, Glarner Nachrichten). Das Online-Voting in den Glarner Nachrichten für einige Buchkategorien markiert den ersten öffentlichen Teil des Projekts. Das Voting finden Sie in dieser Ausgabe auf Seite 10. Der Talon kann per Post eingesendet oder an einer Sammelstelle abgegeben werden. Möglich ist auch ein Abstimmen online. Über die Ergebnisse informiert das Projektteam voraussichtlich im März 2023 mit einer Listen-Vernissage. Im Voraus hatten Organisationen ihre Favoriten für die Sachbuch-Kategorien gewählt, die bis zum Erscheinen der Liste geheim bleiben.

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