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Als ein Amokschütze Chur in Aufregung versetzte – und sich das Leben für zwei Polizeigrenadiere für immer veränderte 

Ein 22-Jähriger gibt aus seiner Wohnung mehrere Schüsse auf das Hotel-Restaurant «Rosenhügel» ab. Im Verlauf des Tages verletzt er mehrere Polizeigrenadiere und tötet einen Polizeihund. 

Patrick
Kuoni
25.07.24 - 04:30 Uhr
Graubünden
Kein Durchkommen mehr: Die Zufahrtsstrassen zum Restaurant «Rosenhügel» wurden von der Polizei abgesperrt. 
Kein Durchkommen mehr: Die Zufahrtsstrassen zum Restaurant «Rosenhügel» wurden von der Polizei abgesperrt. 
Es war ein Sonntag, der einschneidende Folgen für mehrere Personen hatte. Am 26. März 2000 schiesst ein 22-Jähriger aus seiner Wohnung am Seilerbahnweg 15 in Chur. Am Ende des Tages ist der Amokschütze tot und zwei Polizisten werden nie wieder das gleiche Leben führen. Ein Rückblick auf einen tragischen Tag in der Geschichte der Stadt Chur. 

Sommerzeit verhindert wohl weitere Opfer 

Das tragische Ereignis nimmt um 8.15 Uhr seinen Lauf. Der 22-jährige E.K. schiesst von seiner Wohnung im fünften Stock des Seilerbahnweges 15 mehrmals mit einem Sturmgewehr auf das Hotel-Restaurant «Rosenhügel». Zum Zeitpunkt der Schussabgabe hält sich ein Mann, der zum Personal des Restaurants «Rosenhügel» gehört, in der Schusslinie auf. Er kann sich unverletzt in Sicherheit bringen. An einer Medienkonferenz wird später zu hören sein, dass er einzig durch einen Zufall nicht verletzt oder getötet wurde. Insgesamt gibt E.K. 17 Schüsse ab, zwei durchschlagen ein Saalfenster des Restaurants, weitere 15 landen im Bereich des Wintergartens. 

Einem weiteren Zufall ist es zu verdanken, dass bei der Schussabgabe nicht weitere Personen getroffen werden. Nur wenige Tage vor dem Ereignis sind die Uhren nämlich von Winterzeit auf Sommerzeit umgestellt worden. Ansonsten hätten sich zu diesem Zeitpunkt auch bereits Hotelgäste im Wintergarten befunden, um zu frühstücken. 

Durchlöchert: Ein Bild, welches am Tag nach der Amoktat in Chur entstanden ist, zeigt, wie viel Glück dabei war, dass im Restaurant Rosenhügel niemand getroffen wurde. 
Durchlöchert: Ein Bild, welches am Tag nach der Amoktat in Chur entstanden ist, zeigt, wie viel Glück dabei war, dass im Restaurant Rosenhügel niemand getroffen wurde. 
Bild Theo Gstöhl

Spezialeinheit rückt aus, Gebiet grossräumig abgesperrt

Als die Polizei Wind von den Schüssen bekommt, rückt sofort eine Spezialeinheit der Kantonspolizei Graubünden aus und bezieht im Umfeld des Hauses Stellung. Die Stadtpolizei riegelt das Gebiet grossräumig ab, die Brambrüeschbahn stellt ihren Betrieb ein. Rettungswagen, Notärzte und die Stadtfeuerwehr werden aufgeboten. Rund 70 Polizeibeamte stehen im Einsatz. Um 11.10 Uhr stürmen Grenadiere der Polizei die Wohnung des Schützen vom Treppenhaus her. Die Wohnungstür wird eingerammt und ein Hund sowie die ersten Grenadiere dringen in die Wohnung vor. 

Sie treffen den 22-Jährigen in einer Ecke des Wohnraumes an, er hält sein Sturmgewehr im Anschlag und eröffnet ohne Vorwarnung das Feuer. Er trifft den Hund, der durch zwei Schüsse getötet wird. Daraufhin schiesst der Mann auf die Grenadiere und trifft einen von ihnen in die Brust. Der Getroffene bricht zusammen. Die anderen Grenadiere ziehen sich ins Treppenhaus zurück, worauf der Schütze auch ins Treppenhaus feuert. Ein weiterer Grenadier wird durch einen Splitter am Auge verletzt. Auch der bereits schwer verletzte Grenadier gerät erneut ins Visier des 22-Jährigen. E.K. gibt einen gezielten Schuss auf den Kopf des Grenadiers ab. Das Projektil durchschlägt den Helm am oberen Rande des Panzerglasvisiers und prallt an der Rundung des Titanhelms ab – so wird es später bei einem Gerichtsprozess zu Protokoll gegeben. 

Auch der Grenadier hat Glück, mit dem Leben davonzukommen. Er hat sein Helmvisier nicht vollständig geschlossen, um das Anlaufen seiner Brille zu verhindern, so fliegt die Kugel an den Helm – und nicht ins Gesicht. Von Glück im Unglück zu sprechen, wäre an dieser Stelle aber übertrieben. Gemäss Schilderungen beim Gerichtsprozess erleidet der Grenadier derart schwere Verletzungen, dass er nicht vollständig geheilt werden kann und mit gewissen Einschränkungen leben muss. 

Verhindert das Schlimmste: Ein Polizeigrenadier wird vom Rosenhügel-Amokschützen am Helm getroffen. 
Verhindert das Schlimmste: Ein Polizeigrenadier wird vom Rosenhügel-Amokschützen am Helm getroffen. 
Bild Archiv

Zweiter Grenadier vom Schützen getroffen

Inzwischen ist es 13.47 Uhr. Der 22-jährige St. Galler gibt mehrere Schüsse ins Treppenhaus ab. Ein Querschläger trifft einen Grenadier, der die Wohnung vom Treppenhaus her sichert. Der linke Arm wird in Mitleidenschaft gezogen. Mehrere Streckmuskeln, welche die Hand- und Fingerbewegung bewirken, werden zerfetzt. Diese können auch nicht ersetzt werden. Der Grenadier kann seinen linken Arm nicht mehr vollständig drehen und insbesondere die Finger nur einigermassen strecken, wenn die linke Hand etwas nach unten hängt. 

Kontaktaufnahme scheitert mehrmals

In den Stunden darauf fallen weitere Schüsse. Versuche, Kontakt mit dem 22-Jährigen aufzunehmen, scheitern. So zerschiesst dieser das Telefon, als ein Psychologe versucht, mit ihm zu telefonieren. Auch ein Gespräch mit seiner Familie lehnt der Täter ab. Stattdessen sagt er, man solle ihn in Ruhe lassen, wenn die Polizei nicht gehe, gehe es so weiter. «Die Polizeibeamten sollen nur kommen, ich bin bereit, ich lege meine Waffen nicht nieder und nehme die Polizeibeamten mit.» 

Ein Psychologe konstatiert, dass aufgrund des sehr labilen Zustandes eine nicht einschätzbare Gefährdung vom 22-Jährigen ausgeht. Die Polizei richtet sich auf einen längeren Einsatz ein und bietet deshalb auch Kräfte aus dem Ostschweizerischen Polizeikonkordat auf.

Schussbefehl erfolgt

Bereits nachdem der Amokschütze beim ersten Sturm auf seine Wohnung unvermittelt das Feuer eröffnet hat, gibt der einsatzleitende Kommandant den Befehl, dass man auf den Täter schiessen soll, wenn er mit der Waffe erscheint. 

Um ungefähr 17.40 Uhr betritt der Täter den Balkon seiner Wohnung. Er hält in der rechten Hand das Sturmgewehr. Die Hand am Griff. Er schaut in Richtung Malixerstrasse und Brambrüeschparkplatz und sucht mit starrem Blick die Gegend ab. Als er frontal in Richtung des Hotels «Rosenhügel» steht, erschiesst ein Scharfschütze den Täter. 

Gericht spricht Kommandanten frei

Aufgrund dieses Todesschusses kommt es rund neun Monate später zum Gerichtsprozess gegen den Kommandanten, der den Schuss angeordnet hat. Er wird aufgrund der äusserst schweren Gefährdung von Polizeibeamten wie auch unbeteiligter Dritter freigesprochen und der Todesschuss für rechtmässig befunden. 

Patrick Kuoni ist Redaktor und Produzent bei Südostschweiz Print/Online. Er berichtet über Geschehnisse aus dem Kanton Graubünden. Der Schwerpunkt seiner Berichterstattung liegt auf den Themenbereichen Politik, Wirtschaft und Tourismus. Wenn er nicht an einer Geschichte schreibt, ist er als einer der Tagesverantwortlichen für die Zeitung «Südostschweiz» tätig. Patrick Kuoni ist in Igis (heutige Gemeinde Landquart) aufgewachsen und seit April 2018 fester Teil der Medienfamilie Südostschweiz. Mehr Infos

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