Mord im Klöntal (7/8): Neue Verdächtige
Verhörrichter Tschudi verhaftet in der vorletzten True-Crime-Folge zwei mutmassliche Mittäter. Halfen sie Maria Stüssi, ihren Mann zu töten?
Verhörrichter Tschudi verhaftet in der vorletzten True-Crime-Folge zwei mutmassliche Mittäter. Halfen sie Maria Stüssi, ihren Mann zu töten?
Was bisher geschah: 1882 verschwindet «Staldengarten»-Wirt Andreas Stüssi eines Nachts spurlos und wird Tage später nackt im Fluss Löntsch bei Riedern angeschwemmt. Als im Magen des Toten Morphium gefunden wird, lässt Verhörrichter Tschudi die Witwe Maria Stüssi und ihre beiden ältesten Kinder verhaften. Letztere kommen aber wieder frei. Alle bisherigen Folgen könnt ihr hier nachlesen.
Man kann sich Verhörrichter Jacques Tschudi vorstellen, wie er abends zu Hause in seinem Sessel sitzt und über dem Fall brütet, während seine beiden kleinen Töchter auf dem Boden mit ihren Puppen spielen.
Das Blut auf der Brücke, die verschwundenen Kleider, der Rauch über dem «Staldengarten», die Pfeife des Toten, das Gift in Andreas Stüssis Magen: Der junge Verhörrichter scheint genug Indizien und Beweise zu haben, um den Fall lösen zu können. Und doch gelingt ihm der entscheidende Durchbruch nicht.
Der Druck steigt, nachdem Tschudi Sohn und Tochter verhaften liess, sie jedoch wieder auf freien Fuss setzen musste. Das Kriminalgericht in Glarus will die Akten alle drei Tage vorgelegt bekommen. Und Maria Stüssi macht keine Anstalten, irgendetwas zuzugeben. «Als wäre ich stark genug gewesen, ihn auf den Rücken nehmen und in den Löntsch zu werfen», sagt sie zu Tschudi, als er sie verhört.
Tschudi scheint gleicher Meinung zu sein. Doch wenn nicht die Kinder ihr geholfen haben, wer dann?
Der verdächtige Knecht
Da ist zum einen Alois Kistler: Der frühere Knecht und angebliche Geliebte von Maria Stüssi ist in den Tagen um Andreas Stüssis Tod im «Staldengarten» aufgetaucht. Plötzlich sass er in der Gaststube und trank ein Bier. Da ihr Mann verschwunden war, bot er Maria Stüssi seine Hilfe rund ums Haus an. Sie nahm an. Als es darum ging, woher Sohn Fridolin die Pfeife seines Vaters her hatte, die der verschwundenen Pfeife seines Vaters glich, hinterliess Kistler einen zweifelhaften Eindruck.
Bei einer Hausdurchsuchung im «Staldengarten» stiess man auf eine Lebensversicherung für Andreas Stüssi sowie ein Dokument, das belegt, dass dieser seinem früheren Knecht ein «grösseres Guthaben» schuldete. «Dies, so wie verschiedene uns zu Ohren gekommene Gerüchte, liessen auch gegen Kistler etwelchen Verdacht erregen», notiert Tschudi.
Doch Kistlers Alibi scheint wasserdicht: Zur Tatzeit soll er in Bilten beschäftigt gewesen sein. «Durch die Aussagen des Hauptmann P. Blumer in Bilten, des damaligen Dienstherrn Kistlers, ist die Unschuld des Letzteren ganz zweifellos dargetan», heisst es in Tschudis Schlussbericht.
Tschudi findet andere Verdächtige.
Der verdächtige Stammgast
Im Riedern des Jahres 1882 heisst gefühlt jeder zweite Einwohner Stüssi. So kommt es auch, dass Tschudis neuer Mitverdächtiger an der Ermordung von Andreas Stüssi ebenfalls Andreas Stüssi heisst.
Der Hobbyjäger war Teil des Suchtrupps, der im Löntschtobel nach dem verschwundenen Wirt suchte. Wenn Andreas Stüssi nicht einem Fuchs nachsteigt oder in einer Beiz sitzt, verdient er sein Geld als Schuhmacher: Er schlägt neue Nägel in die schweren Arbeitsschuhe, welche die Riederner an ihren Füssen tragen.
Schuhmacher Stüssi ist ein Stammgast im «Staldengarten». Er trinkt auf Kredit und bewahrt sein Jagdgewehr in der Remise auf. Laut Tschudis Notizen gehörte er zu den «Mannspersonen, welche oft in der Wirtschaft verkehrten und mit der Witwe in Berührung kamen».
Und diese Nähe zur Wirtin macht ihn verdächtig. War er einer dieser Männer, welche laut den bösen Gerüchten im Dorf Maria Stüssi nur so gerne geholfen hätten, ihren Mann aus dem Weg zu räumen?
Wer waren die Männer am Nebentisch?
Tschudi befragt Andreas Stüssi während seiner Untersuchung mehrmals. Anfangs geht es um Blutspuren, die hinter der Remise beim «Staldengarten» gefunden wurden. Wie sich herausstellt, stammen diese von einem Fuchs, den der Jäger drei Tage nach dem Verschwinden seines Namensvetters dort ausnahm. Unter dem Dach der Remise findet der Verhörrichter zwei Nägel, an denen man tote Tiere aufhängen kann. Ausserdem wäre ja mehr als genug Zeit geblieben, die Blutflecken zu entfernen, wenn das Blut von Andreas Stüssi stammte.
Das bleibt allerdings nicht das einzige Mal, dass Tschudi während der Untersuchung mit dem Schuhmacher Andreas Stüssi zu tun hat. Dieser wird etwas später Opfer eines weiteren Gerüchtes, das im Dorf kursiert und schliesslich bei Tschudi landet. Demnach soll der Schuhmacher noch am Abend von Andreas Stüssis Verschwinden in der Gaststube des «Staldengartens» gesehen worden sein. Dort habe er über Unwohlsein geklagt, worauf ihm Maria Stüssi angeblich eine Weinsuppe kochte und ihm sagte, er solle sich in ein Bett legen.
Damit liesse sich eine der wichtigen offenen Fragen in der Untersuchung klären: War der Schuhmacher einer der beiden Männer am Nebentisch, welche Doktor Buck gesehen hatte, als er nach dem Haselnüssesammeln im «Staldengarten» einkehrte? Doch als Tschudi beim vermeintlichen Zeugen nachfragt, auf den das Gerücht mit der Weinsuppe zurückgeht, will dieser noch nie etwas davon gehört haben.
Das tote Eichhörnchen
Ein anderer Zeuge liefert Tschudi eine deutlich glaubwürdigere Aussage über den Schuhmacher: Er habe ihn am Morgen nach dem Verschwinden von Andreas Stüssi auf der Strasse getroffen, die zum «Staldengarten» führt. Stüssi trug demnach gute Kleidung und hatte ein Päckli unter dem Arm.
Laut Maria Stüssi und ihrer 15-jährigen Tochter Margrith stand Stüssi an diesem Samstagmorgen schon gegen sieben Uhr morgens vor der Türe des «Staldengartens» und verlangte nach dem Schlüssel für die Remise, wo er sein Gewehr aufbewahrte. Später am Vormittag brachte er ein geschossenes Eichhörnchen in den «Staldengarten» und bekam dafür einige Gläser Most zu trinken. Das tote Eichhörnchen wurde später ausgestopft und im «Staldengarten» ausgestellt.
Als ihn Tschudi zur Rede stellt, sagt Hobbyjäger Andreas Stüssi, er habe seinen Zwischenhalt im «Staldengarten» verheimlicht, weil er Angst vor einer Busse gehabt habe. Offenbar nahm es der Schuhmacher bei der Jagd mit den Vorschriften nicht immer so genau.
Ein Abend im «Felseneck»
Tschudi beginnt zu vermuten, dass Andreas Stüssi aus einem deutlich finstereren Grund am frühen Morgen um den «Staldengarten» schlich. Er fragt herum, wo sich Stüssi in der Todesnacht aufgehalten habe.
Andreas Stüssi behauptet, er sei in dieser Freitagnacht mit Zimmermann Heinrich Sigrist in der Wirtschaft «Zum Felseneck» in Riedern gesessen. Dort hätten sie mit der Wirtin bis etwa elf Uhr abends gejasst. Dabei hätten sie sich für Sonntag zur Jagd verabredet – eine Jagd, welche nach dem Verschwinden seines Namensvetters stattdessen zur Suchaktion geworden sei.
Die Wirtin und ihr Mann und deren Kostgängerin erzählen hingegen etwas anderes: Stüssi und Sigrist seien an jenem Abend erst gegen elf überhaupt zur Türe hereingekommen und hätten dabei ausgesehen, als kämen sie vom Holzen. Dann hätten sie einen Schoppen getrunken und einen Schinken dazu gegessen. Gejasst habe an diesem Abend niemand.
Die Wirtschaft «Zum Felseneck» liegt unter dem grossen Felsbrocken, der in Riedern über der Löntschbrücke thront. Die Bleicherei, wo sie den Andreas Stüssi beim Wehr herausgezogen haben, liegt gleich ennet dem Löntsch. Ein trainierter Mann schafft den Weg vom «Staldengarten» bis hier unten in wenigen Minuten.
Ein handfester Beweis dafür, dass Stüssi seinen Namensvetter umgebracht hat, sieht anders aus. Einen Tag nachdem Tochter Regula aus dem Gefängnis entlassen wird, verhaften die Landjäger Andreas Stüssi trotzdem. Es ist der 19. Dezember, und dreieinhalb Monate sind seit dem Tod des «Staldengarten»-Wirtes vergangen.
Am selben Tag nehmen die Landjäger auch Stüssis Trinkkumpanen Heinrich Sigrist fest. Er war neben Förster Markus Schuler das dritte Mitglied des Suchtrupps, welcher nach dem Verschwinden von Andreas Stüssi im Löntschtobel gesehen wurde.
Der Hühnerstall hinter dem «Staldengarten»
Es ist Mittwoch, der 4. September 1882 – ein trüber, regnerischer Tag, wie es im Wetterbericht vermerkt ist, den Tschudi später erstellen lässt. Der alte Landjäger Stüssi dreht seine Runde durchs Dorf. Noch ahnt er nicht, dass er in wenigen Minuten den toten Andreas Stüssi aus dem Löntsch ziehen wird.
Auf der Strasse kommt ihm der Zimmermann Heinrich Sigrist entgegen. Sie grüssen sich, und der alte Landjäger Stüssi fragt, wohin Sigrist unterwegs sei. Dieser antwortet ihm, er wolle in den «Staldengarten», um seine Hobel zu holen.
Den Sommer über hat er für Maria und Andreas Stüssi ein Hühnerhaus im Hinterhof gebaut und will nun sein letztes Werkzeug abholen. Die Hobel habe er nicht mehr gebraucht und deren Klingen, wie üblich, zurückgeschlagen.
Landjäger Stüssi erinnert sich später daran, wie ihm Sigrist ohne zu Zögern antwortete. Doch im Licht des Verdachts gegen dessen Kumpanen Andreas Stüssi gerät auch Sigrist in Tschudis Visier. «Es wurde die Vermutung geknüpft, es seien damals Blutspuren und dergleichen auf dem Zimmerboden weggehobelt worden», notiert Tschudi in seinem Bericht.
Als Tschudi den «Staldengarten» mit den Landjägern durchsucht, findet er jedoch weder Blutflecken noch Spuren, die auf abgehobelte Stellen am Boden hindeuten. Dennoch reichen ihm die Verdachtsmomente für eine Verhaftung: Der Abend im «Felseneck», die heimliche Suchaktion im Löntschtobel, die Hobel und die vielen Abende im «Staldengarten» bei Maria Stüssi … So sitzt Zimmermann Heinrich Sigrist bald zusammen mit Maria Stüssi und Andreas Stüssi im Gefängnis in Glarus.
Ueli Weber ist stellvertretender Redaktionsleiter der «Glarner Nachrichten». Er hat die Diplomausbildung Journalismus am MAZ absolviert und berichtet seit über zehn Jahren über das Glarnerland. Mehr Infos

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