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Vom Bauerndorf zur Weltstadt

Am 20. Juli wird zu Ehren des 500-Jahrjubiläums des Freistaats der Drei Bünde der «Bundstag Davos» veranstaltet, mit Podiumsgesprächen, verkehrsfreier Promenade, Walserdörfji, Konzerten und einem historischen Umzug. Was hat das alte Bündnis mit zehn Gerichten, dem HCD und anderen wilden Männern zu tun?

Davoser
Zeitung
22.06.24 - 07:00 Uhr
Ereignisse
Wappenscheibe des Zehngerichtebunds in der Grossen Stube Davos. 
Wappenscheibe des Zehngerichtebunds in der Grossen Stube Davos. 
Andreas Oberli
Das Wappen Graubündens erzählt sehr viel über die Geschichte unseres Kantons. In ihm sind die drei Bünde vereint: Der Graue Bund, repräsentiert von den Farben schwarz und weiss, der Zehngerichtebund in blau und gelb sowie der Gotteshausbund mit dem Steinbock. So alt ist unser Kantonswappen gar nicht. Bevor es dieses Wappen gab, also vor 1933, wurden die drei Wappen stets nebeneinander dargestellt. Der moderne Kanton Graubünden ist da bereits 120 Jahre alt. Vor 1803, als Graubünden Teil der Schweizerischen Eidgenossenschaft wurde, nannte man das Gebiet des heutigen Kantons den Freistaat der Drei Bünde.

Davos – Hauptort des Zehngerichtebunds

Davos gehörte zum Zehngerichtebund. Er war der kleinste der drei Bünde und umfasste die Talschaften Prättigau, das obere Albulatal (Belfort), Churwalden, das Schanfigg und die Herrschaft Maienfeld sowie Davos. Das Landwassertal aber war Gründungs- und Hauptort des Zehngerichtebunds und übte als solcher massgeblichen Einfluss auf die Politik der Drei Bünde aus. Für die Entstehung und Entwicklung von Davos waren die Freiherren von Vaz entscheidend. Sie siedelten um 1280 Kolonisten aus dem Wallis, sogenannte Walser, im Landwassertal an, gewährten ihnen im Lehensbrief von 1289 umfassende Selbstverwaltungsrechte, und Davos entwickelte sich zur grössten Bündner Walsersiedlung.

Ebenda, also in Davos, wurde am 8. Juni 1436, also vor rund 588 Jahren, der Zehngerichtebund gegründet. Und das kam so: Das Gebiet, das ursprünglich den Freiherren von Vaz gehörte, ging zu Beginn des 14. Jahrhunderts an die Grafen von Toggenburg über. Als der letzte Toggenburger, Graf Friedrich VII, ohne Nachkommen und ohne Testament 1436 verstarb, fanden sich die Gebiete Nordbündes zu jener Zeit vor knapp 600 Jahren in einer ungemütlichen Situation wieder. Es drohte die Aufteilung der Herrschafts­gebiete oder deren Rückfall an Österreich. Unter den einzelnen Herrschaften und Gerichtsgemeinden setzte emsiges Treiben ein, und Boten wurden hin und hergeschickt. Mit dem Einverständnis von Elisabeth von Matsch, der Witwe des letzten Toggenburgers, schlossen sich die Gerichtsgemeinden Davos, Klosters, Castels, Schiers, St. Peter, Langwies, Churwalden, Belfort, Maienfeld und Malans zum Bündnis der zehn Gerichte zusammen.

Die Gerichtsgemeinden versprachen, sich einander zur Wahrung ihrer Rechte beizustehen, nur gemeinsam andere Bündnisse einzugehen, das Recht beim Richter des Wohnortes zu suchen und den Bund alle zwölf Jahre zu erneuern. Es waren dies Bestimmungen, die sich häufig in den Schutz- und Trutzbündnissen der damaligen Zeit fanden. Ähnliche Formulierungen finden sich beim Gotteshausbund von 1367, beim Oberen, später Grauen Bund von 1395 und 1424 und dann auch im Bundsbrief der Drei Bünde vom 23. September 1524, der in diesem Jahr im Zentrum der Erinnerung steht. In all diesen Bündnissen ging es darum, Regelungen zu finden, wie mit Konflikten umgegangen werden soll. Gegen innen sollte Rechtssicherheit bei Streitigkeiten und Fehden hergestellt werden, gegen aussen sollten die Bündnisse Einigkeit und damit Schutz vor den Interessen der umliegenden Grossmächte erwirken.

Wappen der Drei Bünde.
Wappen der Drei Bünde.
Stefan Schlumpf

Eigenständige Untertanen

Im Fall des Zehngerichtebunds konnte eine Aufteilung der Herrschaftsgebiete aber nicht verhindert werde, und die acht Gerichte Davos, Klosters, Castels, Schiers, St. Peter, Langwies, Churwalden und Belfort fielen Ende des 15. Jahrhunderts an Österreich. Es begann eine Zeit als österreichische Untertanen. Maienfeld und Malans gingen an die Freiherren von Brandis und wurden 1509 zum gemeinsamen Herrschaftsgebiet der Drei Bünde. Die Maienfelder, Malanser, Fläscher und Jeninser gehörten als eigenständige Gerichte Maienfeld und Malans zum Zehngerichtebund und waren zugleich Herrschaftsgebiet der Drei Bünde. Sie waren also Herr und Untertan zugleich, was für unser heutiges Empfinden eine komplizierte Angelegenheit darstellt. Geblieben ist auf jeden Fall der Name Bündner Herrschaft, der eben auf diese Zeit im Dreibündenstaat zurückgeht.

In den Bündner Wirren während des Dreissigjährigen Krieges lehnten sich insbesondere die Prättigauer Gerichte gegen die österreichische Herrschaft auf – es kam zum Prättigauer Aufstand und zur Schlacht von Aquasana 1622, die in einer Niederlage der Bündner Truppen endete. Zwischen 1649 und 1652 konnten sich die Gerichte von Österreich loskaufen. Erst von nun an war der Zehngerichtebund, neben dem Grauen Bund und dem Gotteshausbund, ein vollwertiges Mitglied des Freistaates der Drei Bünde. Bis zur von Napoleon verordneten Kantonsgründung und Beitritt zur Eidgenossenschaft 1803 gestaltete der Dreibündenstaat die Politik und das Leben der Menschen in Davos. Zu dieser Zeit gehören euphorisierende Pionierprojekte, wie der von Johannes Hitz geförderte Bergbau auf dem Schmelzboden, aber auch die dunklen Kapitel der Hexenverfolgung, die gerade auch in unseren Gefilden äusserst brutal grassierte. Die Gerichtsgemeinden behielten in einer Übergangsphase bis Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Funktionen und Aufgaben, wurden dann in Kreise überführt, welche wiederum bis 2003 als politische Wahl- und Gerichtskreise von Bedeutung waren. Der Zehngerichtebund hat gerade in Davos noch weitere Erbschaften hinterlassen.

Repräsentative wilde Männer

Der erste Bundslandammann war der Davoser Ulrich Beeli von Davos, und auch die Bundstage fanden stets in Davos statt. Diese Vormachtstellung zeigt sich auch in der Grossen Stube im Davoser Rathaus. Diese wurde nach dem grossen Rathausbrand unter der Leitung des damaligen Landschreibers Hans Ardüser d. Ä. 1564 erbaut. Dem Vorort des Zehn­gerichtebunds sollte damit ein repräsentativer Raum geschaffen werden, der neben Chur und Ilanz als würdiger Versammlungsort bestehen sollte. Als der Freistaat der Drei Bünde nicht mehr war und der Raum auch die Versammlungen der Gemeinde Davos nicht mehr zu fassen vermochte, verkam der ehemalige Prunksaal zum verstaubten Museumsraum. 1923 wurde der Saal vom Davoser Architekten Rudolf Gabarel und unter Mitwirkung des Bildhauers Wilhelm Schwerzmann renoviert. Die Anordnung als Versammlungssaal ist nicht mehr dieselbe, geblieben sind aber der wunderbare Kachelofen – der grösste, den Renaissance und Barock in Graubünden hervorgebracht haben – die Arvenwände und vor allem die Wappenscheiben.

Die Wappenscheiben sind Ausdruck des gestiegenen Selbstbewusstseins und politischer Eigenständigkeit. Sechs Stück sind aus der Zeit des Baus erhalten geblieben und bilden damit den grössten erhaltenen Zyklus im Kanton. Auf der Scheibe des Zehngerichtebundes ist zweimal das blaue Kreuz auf gelbem Grund zu sehen. Einmal als Schild und das zweite Mal, als Wiederholung, als Fahne in den Händen des Bannerträgers. Diesem gegenüber steht der Wilde Mann, emblematische Wappenfigur und Schildhalter des Zehngerichtebundes. Über die Entstehung des Davoser Wappens, welches auch zum Wappen des Bundes wurde und womöglich deshalb zu einem gevierten Kreuz wurde, gibt es zahlreiche Überlegungen, die hier nicht alle wiedergegeben werden wollen.

Zum Wilden Mann soll aber abschliessend noch etwas gesagt werden. Der ­Wilde Mann gehört seit der ersten Darstellung des Siegels von 1518 zum heraldischen Gespann des Zehngerichtebundes. Die Vorstellung der mythischen Figur des Wilden Mannes ist im ganzen Alpenraum verbreitet und symbolisiert die Interaktion und den Umgang der Menschen mit der Natur. Die wilden Männer und Weiblein gehören zum beliebtesten Sagengut der Bündner Walser und spiegeln ihre Wesenszüge. Die Wildmännli verkörpern das seriöse und einfache Leben: Sie ernähren sich von Kräutern, Beeren und Milchprodukten, vor allem von Gamsmilch, die macht schwindelfrei. Schnaps vertragen sie überhaupt nicht, das macht sie wütend und depressiv. Sonst sind die Wildmännli aber hilfsbereit und agieren mit viel List und Witz.

Auch wenn die meisten nicht wissen, weshalb der HCD in den Farben Gelb – oder heraldisch gesehen gar Gold – und Blau aufläuft und dies nicht allein die Farben von Davos sind, die Beschreibung des Wilden Mannes und seine Fähigkeiten, können ihnen und uns auch heute noch als Vorbild dienen.

Projektteam Bundstag Davos, 500 Jahre Freistaat der Drei Bünde

Grosse Stube im Davoser Rathaus.
Grosse Stube im Davoser Rathaus.
Michael Straub
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