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Wie ein Phönix aus der Asche

Er hat dem Churer Mühleturm ein neues Kleid verpasst. Der 35-jährige Street-Art-Künstler Fabian Florin alias Bane ist für den Titel «Bündner des Jahres» nominiert. 2018 trumpfte er mit aussergewöhnlichen Leistungen und harter Arbeit auf. Es ist die Erfolgsgeschichte nach schweren Jahren der Drogensucht.

Kristina
Schmid
21.02.19 - 04:30 Uhr
Ereignisse
ARCHIVBILD

«Essen gibts heute bei Oma.» Fabian Florin reisst den Zettel von der Eingangstür, läuft die Treppe hinunter, die er eben hochgekommen ist. Im Kiosk um die Ecke kauft er sich ein Päckchen Zigaretten – die Verkäuferin glaubt, sie seien für seine Mutter. Er überquert die Strasse, versteckt sich hinter einem grauen Betongebäude. Dort zündet er sich eine Zigarette an, raucht sie bis zum Filter. Er wirft den Stummel weg und merkt: Ihm ist übel. 

Es war seine erste Zigarette. Fabian Florin war damals zehn Jahre.

Den ersten Joint raucht Florin mit 13 Jahren. Eine Gruppe Jugendlicher, die abends oft zusammen kiffen, drücken ihm einen ab. Als er mit 16 seine Lehre als Zahntechniker in Chur beginnt, hat er bereits erste Drogenerfahrungen gemacht.

Bis die erste Spritze folgt

Den ersten Kick erlebt Florin mit Bexin, einem Medikament, das eigentlich gegen Husten helfen soll. Nimmt man einige Tabletten auf einmal ein, erlebt man einen Rausch. «Ich weiss noch, wie wir in Thusis high durch die Strassen liefen», erzählt Florin und lacht. Lustig ist es aber keineswegs. Denn heute weiss auch er: Eine Überdosis Bexin kann zu Unruhe, Halluzinationen und Verwirrung führen, sehr hohe Dosen zu Bewusstlosigkeit, epileptischen Anfällen und Atemstillstand.

Nach Bexin folgen Kokain und Heroin. Erst schnupft er die Drogen, dann raucht er sie. Irgendwann setzt sich Florin die erste Spritze.

Keine Konstante

Drogen. Sie sind zu diesem Zeitpunkt Florins einzige Konstante im Leben. Freundschaften, die er in jungen Jahren geschlossen hatte, gingen verloren, als seine Familie von Chur nach Rodels zog. In der Schule ist er nicht gut. Hausaufgaben erledigt er so gut wie nie. Einen Vater hat er nicht. Dafür drei Onkel und einen Stiefvater, die irgendwie die Vaterrolle übernehmen wollen und irgendwie auch nicht. 

Zu Hause ist Florin nicht selten bei seiner Oma einem anderen Verwandten. Sie wohnen alle in der Nähe. Und ist er in seinem wirklichen zu Hause, so ist Streit kein Fremdwort für ihn. Er steht oft zwischen den Fronten. Streit herrscht überall mal. Zwischen seiner Familie und seinen Önkeln. Und Florin soll dabei Partei ergreifen. Etwas, das zu viel ist für manch ein Kind. Und auch zu viel ist für Florin. «Ich wollte meinem Leben entfliehen, gegen mich selbst rebellieren», sagt er. Und das tut Florin mit Drogen. Sie geben ihm das, was ihm fehlt. «Auf Drogen zu sein, das ist wie wieder im Bauch der Mutter zu sein. Es ist Geborgenheit.»

Kriminell, nur um an Drogen zu kommen

Der Moment, in dem sich Florin die Spritze setzt, ist auch der Moment, in dem er die Drogen nicht mehr zu sich nimmt, weil es «geil» ist. Sondern, weil er abhängig ist. Und alles, was er von da an tut, fällt strafrechtlich unter den Oberbegriff Beschaffungskriminalität.

Er erinnert sich heute etwa daran, in einem Zürcher Nachtclub einem Polizisten Champagner, Frauen und Drogen im Wert von rund 70’000 Franken verkauft zu haben. Ihm war bewusst, dass der Mann die Schulden nicht würde begleichen können. Für Florin war das gut. «Einen Polizisten oder Anwalt in der Tasche zu haben, ist mehr wert als das ganze Geld.»

Er erinnert sich auch daran, mit drei Freunden die Wohnung eines Drogendealers ausgeräumt zu haben. Die Polizei erwischte sie. In Florins Akte steht bei diesem Vorfall: «Bewaffneter Raubüberfall». «Wer konnte schon ahnen, dass ein Drogendealer bei der Polizei Anzeige erstatten würde. Welcher Dealer macht das schon?», fragt Florin.

Polizei – Freund und Feind

Florin verkauft in dieser Zeit Drogen an alle möglichen Menschen. An Anwälte, Ärzte, Banker und auch an Polizisten. 

Und fällt das Stichwort Polizist, mangelt es Florin nicht an Geschichten. Er erinnert sich an die Zeit, in der er abends in den Churer Strassen von Polizisten durchsucht wurde, weil er verdächtig wirkte. Zu Recht. «War es ein ehrlicher Polizist, der mich filzte, musste ich aufs Revier. Kam ein Polizist der anderen Sorte, kassierte er mein Drogengeld und liess mich laufen.»

Als das erste Mal Polizisten gegen Florins Wohnungstür hämmern, steht er wie versteinert da, wagt kaum zu atmen. Sie rufen durch die Tür: «Durchsuchungsbefehl. Machen Sie auf». Florin weiss in diesem Moment, dass es keinen Sinn macht, so zu tun, als wäre er nicht zu Hause. Die Polizisten haben ihn auf seinem Heimweg verfolgt. Aber er weiss auch, dass er geliefert ist, wenn er die Tür öffnet. In der Wohnung liegen immerhin genug Gründe.

Bloss nicht ins Gefängnis

Mit 28 Jahren wird Florin zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Doch da will er nicht hin. Nicht erneut. «Ins Gefängnis gehen, das ist wie Ferien vom Leben nehmen», sagt Florin. Es gebe warmes Essen, ein Bett und man müsse sich niemals Sorgen machen, nicht an Drogen zu kommen. «Da wird man nicht clean.»

Deshalb entscheidet sich Florin dafür, eine Langzeittherapie zu machen. «Jeden Tag, an dem ich abhängig war, wollte ich clean werden. Ich fand es nie toll, süchtig zu sein. Und ich wusste, dass das Angebot einer Therapie meine Chance wäre, die Kurve zu kriegen.»

60 Tage Schmerzen

«Von den Drogen wegzukommen, war nicht einfach», sagt Florin. «Vor allem nicht, weil ich von sieben Substanzen wegkommen musste.» Der Entzug dauert rund 60 Tage. Es sind 60 Tage voller Schmerzen. 60 Tage ohne Schlaf. «Wenn ich eine gute Nacht hatte, konnte ich drei mal je eine halbe Stunde schlafen.»

Doch der schwierigste Teil in der Therapie fängt erst nach dem Entzug an. In den ersten Wochen, in denen Florin clean ist. In diesen muss er lernen, ein Leben ohne Drogen zu führen. Nach 14 Jahren. «Das war wirklich ein hartes Stück Arbeit», erinnert sich Florin. «Aber mit jedem Tag wird es etwas einfacher.»

Fabian Florin alias Bane über die Verwirklichung der Träume.

Von all den Tagen im Therapiezentrum gibt es vor allem einen, an den sich Florin noch genau erinnert. Es ist jener Tag, an dem ihn sein Freund über einen Sprayer-Contest informiert. Florin, der in der Therapie wieder mit dem Sprayen angefangen hat, will bei diesem Wettbewerb teilnehmen – und bekommt die Zusage der Therapie-Leitung. Eine Entscheidung, die sein Leben für immer verändern sollte.

Der grosse Erfolg

Wenige Wochen später. Florin steht in einer grossen Halle vor einer leeren Wand. In der Hand hält er eine Spraydose. Er zieht den ersten Strich. Der Rest kommt von allein. Minuten vergehen. Eine Stunde geht um. Florin macht einen Schritt zurück, blickt auf die Wand. Vor ihm schwimmen nun Fische.

Der Wettbewerb verändert sein Leben. Noch bevor er die Therapie abschliesst, erreichen ihn erste Anfragen für Aufträge. Kurze Zeit nach Therapie-Ende macht sich Florin selbstständig. Das Sprayen, seine Leidenschaft und sein Talent, sind Florins weg zurück ins Leben. Heute ist er ein bekannter Street-Art-Künstler, den man vor allem unter seinem Künstlernamen Bane kennt. Er vergisst seine Zeit nicht, führt soziale Workshops in Gefängnissen durch. Betreibt Jugendarbeit, eröffnet Ausstellungen, produziert einen Film, sorgt mit internationalen Projekten wie in Tschernobyl für Aufsehen.

Zu bremsen ist der 35-Jährige definitiv nicht. 2018 vollendet er sein bisher grösstes Werk: Er hat den 42 Meter hohen Mühleturm in Chur in ein Kunstwerk verwandelt. Darauf zu sehen: ein Bergkristall.  Damit verwandelt Florin das Churer Wahrzeichen in das grösste Wandgemälde der Schweiz. Florin, der Mann für die grossen, ja grossartigen Werke. Seine Vergangenheit ist passé. Er überzeugt mit Willen, mit unbändiger Lust, Kreativität und Arbeiten, welche den Menschen in den Köpfen bleiben. Sie nicht nur visuell begeistern.

Das bringen sie auch zum Ausdruck. Etwa während Florins Arbeit am Mühleturm. Immer wieder wird er von Churerinnen und Churern besucht. Sie kommen nicht immer mit leeren Händen. Bringen frischen Kaffee und Zwischenverpflegung für den Künstler.

Kurz darauf gestaltet er den legendären «King’s Club» im St. Moritzer «Badrutt’s Palace» und realisiert Grossprojekte in der Weissen Arena Laax. Nun ist vorerst Schluss. Um den Kopf wieder freizukriegen, weilt Florin zurzeit in Vietnam, wo er sich überlegt, wie er 2019 durchstarten wird. 

Von Montag, 18. Februar, bis Freitag, 22. Februar, stellen wir Euch an dieser Stelle die fünf Kandidatinnen und Kandidaten für den Titel «Bündner/in des Jahres 2018» vor.

Kristina Schmid berichtet über aktuelle Geschehnisse im Kanton und erzählt mit Herzblut die bewegenden Geschichten von Menschen in Graubünden. Sie hat Journalismus am MAZ studiert und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Rheintal, worüber sie in ihrem Blog «Breistift» schreibt. Mehr Infos

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Wohl der ganze Stolz des Bündnerlands(?). Ausserhalb der Provinz gibt es hunderte solcher "Karrieren". Frag mich was die bei der Nominierung rumgereicht wurde.

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