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«Wir haben deshalb weniger Arbeitslosigkeit»

Daniel Lampart: Nein. Der Arbeitsfriede ist nicht 100-jährig. Jeder Gesamtarbeitsvertrag ist Gegenstand von Auseinandersetzungen. Zwischen den unterschiedlichen Interessen kommt es immer wieder zu Spannungen.

Südostschweiz
23.11.11 - 01:00 Uhr

Mit Daniel Lampart* sprach Daniel Fuchs

Herr Lampart, die Gewerkschaften und der Arbeitgeberverband feiern 100 Jahre GAV. Sind das 100 Jahre Arbeitsfriede?

Gibt es überhaupt etwas zu feiern?

Ja, durchaus. Im Alltag bedeuten GAV-Verhandlungen harte Arbeit. Über GAV konnte man viele wichtige Bereiche wie etwa die Löhne, Arbeitsbedingungen oder den vorzeitigen Arbeitsrücktritt regeln – allesamt Dinge, die dem Arbeitnehmer etwas bringen. Ein weiterer Grund für die morgige Feier liegt aber im unbekannten Wesen der GAV: Die Leute kennen nur wenig über deren Bedeutung.

Der Arbeitsfriede – ein Fakt?

Dank GAV sind die Streitigkeiten kontrollierter. Das schliesst aber Streiks nicht aus.

In der Schweiz sind Streiks selten. Das ist ein Standortvorteil.

Für Unternehmen schon. Für sie ist es besser, wenn Leute immer arbeiten, als wenn sie streiken. Dass in der Schweiz weniger gestreikt wird, hängt aber stärker mit der direkten Demokratie zusammen als mit GAV.

Um die Wirtschaft steht es derzeit nicht gerade rosig: Wie schlagen sich Gesamtarbeitsverträge in der Krise?

GAV haben auch in der Krise riesiges Potenzial: Erstens garantieren sie einen sozialpartnerschaftlich kontrollierten Umgang mit der Krise. Zweitens kann dank Mindestlöhnen in GAV Lohndruck bekämpft werden. Die Verträge verhindern so, dass Unternehmen im Ausland Billigarbeitskräfte rekrutieren. Wir haben deshalb weniger Arbeitslosigkeit.

Auf dem Bau haben die Sozialpartner grosse Schwierigkeiten, sich zu finden. Sind GAV in der Krise?

Nein. Die Verträge sind auch kein Auslaufmodell, wie dies auch schon beschworen wurde. Während der letzten Jahre erlebten wir eine starke Zunahme von Arbeitnehmenden, die unter GAV angestellt sind.

Wie sieht die Zukunft aus?

Rund 50 Prozent der Arbeitnehmer unterstehen heute Gesamtarbeitsverträgen. Die Arbeitsbedingungen der anderen 50 Prozent kommen zusehends unter Druck. Wir müssen die Abdeckung deshalb auf weitere Branchen ausweiten. Inhaltlich geht der Weg Richtung vorzeitiger Altersrücktritt, Gleichstellung von Mann und Frau sowie Aus- und Weiterbildung.

* Daniel Lampart ist Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.

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