«Wir brauchen ein Marketing für uns selber»
Seit Mitte Mai hat der Schweizerische Hebammenverband eine neue Präsidentin. Barbara Stocker Kalberer blickt trotz Herausforderungen optimistisch in die Zukunft.
Seit Mitte Mai hat der Schweizerische Hebammenverband eine neue Präsidentin. Barbara Stocker Kalberer blickt trotz Herausforderungen optimistisch in die Zukunft.
Mit Barbara Stocker Kalberer sprach Milena Caderas
Frau Stocker Kalberer, als Präsidentin des Schweizerischen Hebammenvebands wollen Sie sich vor allem für eine bessere Sichtbarkeit der Hebammen einsetzen. Weshalb ist dies nötig?
Barbara Stocker Kalberer: In den letzten Jahren sind die Hebammen vom Radar verschwunden. Früher gab es in jedem Dorf eine Hebamme. Es war absolut klar, dass sie für alle Belange rund ums Kinderkriegen und Wochenbett zuständig war. Sie war erste Ansprechperson. Das hat sich verändert. Die Kompetenzen sind zwar alle noch da. Doch gehen viele Frauen zum Gynäkologen, weil sie nicht mehr wissen, dass eine Hebamme auch Schwangerschaftskontrollen durchführen kann. Für die Geburt vertraut man dem Spital. Viele Frauen wissen auch nicht, dass ihnen nach der Geburt eine Hebammenbetreuung zusteht.
Weshalb haben Hebammen nicht mehr ihre frühere Bedeutung?
Es ist schwer zu sagen, weshalb das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Hebammen abhanden gekommen ist. Vielen Frauen ist nicht mehr präsent, dass wir Hebammen die nötige Ausbildung und Kompetenzen haben. Wir brauchen tatsächlich ein Marketing für uns selber!
Weshalb, glauben Sie, haben die Gynäkologen immer mehr die Aufgaben der Hebammen übernommen?
Das hängt sicher auch mit den Gynäkologen zusammen. Früher gab es die Hausärzte, man hat keine Vorsorgeuntersuche gemacht, Verhütungsmittel gab es nur natürliche. Verschiedene gynäkologische Vorsorgentersuchungen wie der Pap-Abstrich wurden erst in den letzten Jahrzehnten eingeführt. Erste Ansprechperson für Frauen ist heute der Gynäkologe.
«An Geburten verdienen Spitäler wenig»
Auch bei den Geburten zeichnen sich Veränderungen ab. Heute ist jede dritte Geburt ein Kaiserschnitt – Tendenz zunehmend.
Es ist schwer, einen Grund dafür zu finden, weshalb es immer mehr Kaiserschnitte gibt. Auch der Bundesrat hat diese Frage in seiner Antwort auf ein Postulat meiner Vorgängerin und Genfer Ständerätin Liliane Maury Pasquier nicht abschliessend beantworten können. Zudem sind die Unterschiede zwischen den Kantonen sehr gross: Im Jura sind 16 Prozent der Geburten Kaiserschnitte, in Zug sind es 42.
Wie steht es um die Rolle der Hebammen bei spontanen Geburten im Spital?
Wenn Hebammen die werdenden Mütter schon während der Schwangerschaft betreuen, können viele Ängste besiegt werden. Viele Frauen erwerben sich heute ein Halbwissen im Internet, sind verunsichert und haben keine Ansprechperson. Auch bei der Geburt würden die Frauen und wir uns natürlich eine 1:1-Betreuung wünschen. Die Entwicklung geht aber in die andere Richtung: Heute werden die grossen Zentren gepusht. Nur ganz wenige Häuser bieten noch Beleghebammen an. Die Frauen lernen heute die Hebamme, die ihre Geburt betreut, meist nicht mehr im Voraus kennen.
Viele hegen Bedenken wegen der Sicherheit der Geburtshäuser.
Vor allem die grösseren Geburtshäuser stehen auf der Spitalliste, erfüllen also hohe Anforderungen. Die Geburtshäuser werden von den Gesundheitsdirektoren kontrolliert.
Im heutigen Gesundheitssystem ist viel von Fallpauschalen und Taxpunkten die Rede. Beobachten Sie eine grundsätzliche Entwicklung hin zu einem System, das immer mehr der Ökonomie untergeordnet wird?
Genau dies ist die Schwierigkeit. Die Hebammenarbeit bei der physiologischen Geburt besteht ja eigentlich aus Nichtstun. Man kann schlecht erfassen und abgelten, was eine Hebamme überhaupt macht. Bei einer physiologischen Geburt ist die Präsenz der Hebamme gefragt, die beobachtet, wartet, anleitet oder schweigt. Das kann man schlecht mit Fallpauschalen in Rechnung stellen. An physiologischen Geburten verdient ein Spital sehr wenig.
«Lohn- und Tarifverhandlungen sind nötig»
Aber auch die freischaffenden Hebammen stehen nicht gut da.
Vor 20 Jahren hat man mit Santésuisse Tarifverträge ausgehandelt, die seither nie mehr angepasst wurden. Wenn ein Handwerker zu mir nach Hause kommt, erhält er nur schon für die Wegpauschale 80 oder 100 Franken. Als Hebamme kann ich für den Weg hingegen nur 60 Rappen pro Kilometer in Rechnung stellen, und Zeit kann ich gar nicht erst verrechnen. Das ist grotesk.
Auch die Arbeitszeiten sind nicht gerade optimal.
Drei Wochen vor und zwei Wochen nach dem Termin ist alles noch Geburtszeit. Als Hebamme bin ich deshalb fünf Wochen für die Gebärende auf Abruf. Die Zeit kann eine Hebamme nicht aufschreiben, muss für die Frau aber jederzeit erreichbar sein. Für die Freizeitgestaltung ist das natürlich extrem schwierig. Zwar kann man Wochenbett-Besuche planen. Doch gibt es immer wieder Zwischenfälle, die sich nicht vorhersehen lassen. Solche Ereignis
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