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«Wein ist immer noch ein Getränk»

Der Malanser Martin Donatsch ist für seinen Pinot Noir zum zweiten Mal als Weltmeister ausgezeichnet worden. Der 33-jährige Winzer setzt bei der Produktion auf Ehrlichkeit und Innovation – und sieht Wein nicht als Glaubensfrage.

Südostschweiz
10.09.11 - 02:00 Uhr

Mit Martin Donatsch sprach Olivier Berger

Herr Donatsch, wie fühlt man sich als Weltmeister?

Martin Donatsch: Man fühlt sich sehr gut. Es kommen auch von überall Gratulationen. Letztes Jahr war das Echo im Ausland fast grösser als in der Schweiz – schon eine Woche nach dem Titel wollte ein Burgunder Weinmagazin ein Interview mit mir machen. Dieses Jahr hat man die Auszeichnung auch in der Schweiz wahrgenommen.

Sie haben die Auszeichnung als weltbester Pinot-Noir-Produzent jetzt zum zweiten Mal in Serie gewonnen. Was machen Sie so viel besser als andere?

Ich glaube nicht, dass wir etwas besser machen. Unser Ziel war schon immer, haltbare und ehrliche Weine zu produzieren. Das wird von Weinkennern wieder vermehrt honoriert. Den Trend zu überstylten Weinen haben wir nie mitgemacht. Ich mag Weine, die Ecken und Kanten haben. Ich vergleiche das manchmal mit Frauen, wo alles veroperiert ist; Silikon, wo man hinblickt. Auf den ersten Blick mag so etwas schön sein, aber nach einem Gespräch merkt man, dass es nicht allein darum gehen kann. Für mich zählt der Charakter – auch beim Wein (lacht).

Auszeichnungen für Weine werden inflationär vergeben; kaum eine regionale Gewerbemesse, die nicht auch noch Medaillen verleiht. Was unterscheidet den Mondial du Pinot Noir von diesen Veranstaltungen?

Es stimmt, es gibt haufenweise Degustationen, wo Goldmedaillen verliehen werden, die man dann auf die Etikette drucken und im Keller aufhängen kann. Es sind meist aber nicht die Produzenten von grossen Weinen, die so etwas tun. Im Unterschied zu solchen Veranstaltungen bewertet am Mondial du Pinot Noir eine internationale Expertenjury drei aufeinanderfolgende Jahrgänge des gleichen Weins. Da nützt einem auch ein Glücksgriff in einem bestimmten Jahr nichts, da ist Kontinuität gefragt. Und dann waren am Gesamtanlass – nicht nur in «meiner» Kategorie – 1310 Weine aus 21 Ländern dabei, auch einige aus dem Burgund. So etwas zählt dann schon.

Wein ist doch Geschmackssache. Ist die Qualität überhaupt messbar?

Messbar im wissenschaftlichen Sinn ist die Qualität eines Weins natürlich nicht. Die Geschmäcker sind tatsächlich verschieden. So kann es sein, dass ein Wein einem Degustator extrem gefällt und einem anderen gar nicht. Bei manchen Degustationen werden deshalb das beste und das schlechteste Resultat gestrichen. Ob das bei der Weltmeisterschaft auch so war, weiss ich nicht. Aber es war wie gesagt eine international besetzte Jury aus Leuten, die etwas vom Pinot Noir verstehen.

Haben Sie den ersten Titel Ende des vergangenen Jahrs auch in der Kasse gemerkt? Zahlt sich so etwas aus?

In der Kasse nicht. In der Regel ist unsere Produktion sowieso ausverkauft. Die Mehrheit geht in die gehobene Gastronomie, 75 Prozent, das meiste davon an Stammkunden in der Schweiz und in Liechtenstein. Wir haben zwar immer wieder Anfragen, zum Beispiel aus Deutschland, England und Spanien. Aber da müssen wir jeweils absagen. Das mussten wir sogar beim Luxushotel «Burj al Arab» in Dubai. Würden wir in den Ex- port einsteigen wollen, müssten wir Stammkunden verärgern, die uns seit Jahren begleiten. Und das wollen wir einfach nicht.

«Ich vergleiche das manchmal mit Frauen»

Im vergangenen Jahr haben Sie nicht nur mit dem Weltmeistertitel Schlagzeilen gemacht. Ein beträchtlicher Teil Ihrer Ernte fiel dem Mehltau zum Opfer. Wie geht man mit solchen Rückschlägen um?

Es gab eine Solidaritätsaktion im Verein Vinotiv, in dem einige innovative Winzer aus der Region zusammengeschlossen sind. Die vom Mehltau betroffenen Produzenten haben von ihren Kollegen Traubengut erhalten. Da hat sich gezeigt, dass dieser Verein nicht nur funktioniert, wenn es gut läuft. Sondern, dass man auch zusammensteht, wenn jemand Hilfe braucht. Das war eine schöne Erfahrung.

Die Bündner Herrschaft hat in den letzten 30 Jahren einen markanten Qualitätssprung gemacht. Hat man in der Region den Braten einfach früher gerochen und vermehrt auf Qualität statt auf Quantität gesetzt?

Ich glaube, die Weinqualität ist in den letzten drei Jahrzehnten überall auf der Welt gestiegen. Ich denke, in fast allen Weingebieten gibt es heute bessere Weine als früher. Die Herrschaft hat aber im Vergleich tatsächlich einen grossen Sprung gemacht. Wir sind eine kleine Region mit einer erstaunlich breiten Spitze; wenn Sie heute die 100 Topwinzer der Schweiz auflisten, sind mindestens zwölf Betriebe aus unserer Region dabei.

Wieso gibt es diese grosse Leistungsdichte?

Ich denke, wichtig waren einige Pioniere, innovative Leute wie Daniel Gantenbein, Gian-Battista von Tscharner, Georg Fromm, der durch seine Verbindungen nach Neuseeland eine internationale Dimension in die Szene gebracht hat. Und natürlich mein Vater Thomas Donatsch. Diese Winzer haben etwas gewagt, und die anderen waren dann angespornt und sind dann mitgezogen.

Ihr Vater hatte es allerdings nicht immer leicht mit seinen Ideen.

Das stimmt (lacht). Er war in den Siebzigerjahren der Erste in der Region, der mit Barrique-Fässern gearbeitet hat. Das widersprach damals noch der Lehrmeinung, dass alles möglichst steril sein sollte. Dann hat er als Erster in der Herrschaft Chardonnay gepflanzt, wofür er sogar eine Busse bezahlen musste, weil das keine ortsübliche Traubensorte war. Und als sich der Riesling x Sylvaner nicht mehr verkauft hat, hat er begonnen, aus der entsprechenden Traube Schaumwein zu machen – und wieder haben ihm alle abgeraten (lacht).

Was braucht es neben Ideen noch, um einen guten Wein zu machen?

Das Allerwichtigste ist das Ausgangsmaterial, also die Trauben. Es ist wie beim Kochen. Wenn man einen wunderbaren Fisch von hoher Qualität hat, dann reichen ein bisschen Salz, Pfeffer und Butter und das Resultat ist super. Mit einem verdorbenen Fisch kann nicht einmal ein Spitzenkoch noch etwas anfangen. Den rettet keine noch so gute Sauce.

Wieso sind die Trauben in der Herrschaft denn so gut?

Ich denke, wir haben einige sehr gute Voraussetzungen. Die Böden sind gut. Bei uns dauert es von der Blüte bis zur Weinlese etwa 100 Tage, das ist viel mehr als in anderen Pinot-Regionen und gut für die Qualität. Und dann profitieren wir vom Wetter. Wir sind für den Weinbau eine eher hoch gelegene Region; die Nächte sind im Herbst schon kühl. Dadurch reifen die Trauben langsamer, wir können sie länger hängen lassen, was für die Aromabildung wichtig ist.

In Weinbaugebieten in Frankreich, Italien und Spanien ist es bereits Usus, dass Investoren aus Asien oder dem Nahen Osten die ganze Produktion namhafter Produzenten als Geldanlage aufkaufen. Kann das in der Herrschaft auch passieren?

Nein, das denke ich nicht. Dafür ist unsere Region zu klein und noch zu unbekannt. Für die meisten Weinjournalisten lohnt es sich nicht, in die Herrschaft zu reisen und über uns zu schreiben. Es wäre auch widersinnig, Weine vorzustellen, die dann im jeweiligen Land gar nicht erhältlich sind. Die Gefahr ist also klein.

Aber die Herrschaft wird von den Weinmedien und Kennern auch im Ausland wahrgenommen.

Das stimmt. Wir waren mit dem Verein Vinotiv kürzlich in Deutschland, da hat uns ein bekannter Moderator als die letzte grosse unbekannte Weinregion Europas bezeichnet. Man schätzt unsere Qualität, aber für die Investoren, die nur aufs Geld schielen, sind wir halt wirklich zu klein.

Verdienen die Herrschäftler Winzer dank der Qualitätssteigerung heute eigentlich mehr als damals, als Bündner Weine noch eher etwas für Turnfeste und ähnliche Anlässe waren?

Darüber habe ich mir ehrlich gesagt noch gar nie Gedanken gemacht. Aber die Frage stellt sich ohnehin nicht. Jene Weine, die vor 30 Jahren noch produziert wurden, könnte man heute gar nicht mehr verkaufen. Das Wein-Trinkverhalten der Konsumenten hat sich stark verändert.

«In der Schweiz sind wir im oberen Segment»

Der Qualitätsanspruch hat seinen Preis. Herrschäftler Weine sind alles andere als günstig. Ist guter Wein ein Luxus?

In der Schweiz sind wir sicher im oberen Segment. Aber wenn Sie sich ein Produkt wie unsere Spitzenauslese «Unique» anschauen, dann steckt da viel Arbeit dahinter. Die Herstellung ist so aufwendig, dass man daran nicht viel mehr verdient als an jedem anderen Wein, da geht es eher ums Prestige. Ich finde es aber wichtig, dass jeder Produzent auch einen Wein herstellt, den sich jedermann leisten kann. Ausserdem stimmen bei uns Preis und Leistung. Für einen Pinot Noir mit der gleichen Qualität wie aus der Herrschaft bezahlt man beispielsweise im Burgund rasch mehr als das Doppelte.

Wie erklären Sie einem Konsumenten, dass er sich für 30 Franken Ihren weltmeisterlichen «Passione» kaufen soll, wenn er für einen Zehntel des Preises einen ganz ordentlichen Rotwein aus Chile bekommt?

Wie erklären Sie jemandem, der jeden Tag bei «McDonald’s» isst, dass er zu einem besonderen Anlass einmal in ein Gourmetlokal oder ein gutbürgerliches Restaurant gehen soll? Ich denke, man muss die Leute davon überzeugen, sich darauf einzulassen. Dann werden sie auch sehen, dass es vielleicht noch etwas Besseres gibt als das Gewohnte.

Aus dem Ausland und besonders aus Übersee kommen Weine auf den Markt, die exakt dem Massengeschmack entsprechen. Wird da nicht auch ein wenig nachgeholfen?

Die Schweiz hat eines der strengsten Weinbaugesetze überhaupt. In den bilateralen Verträgen mit der EU wurde festgeschrieben, dass Schweizer Wein keine ausländischen Trauben enthalten darf. Ich denke, in der EU ist das anders; da werden viel mehr Wein und Trauben herumgeschoben, um eine bestimmte regionale Herkunft vorzugaukeln. Das ist nicht nur beim Wein so. Ich glaube nicht, dass es in Norditalien so viele Schweine gibt, dass man all den Parmaschinken herstellen könnte, der auf dem Markt ist (lacht). In Übersee ist es auch gang und gäbe, statt Barrique-Fässern Holzschnitzel zu verwenden. Und ich habe schon Werbung gesehen, die die Schnitzel-Praxis als veraltet bezeichnet: Der Barrique-Geschmack kommt jetzt aus dem Tetra-Pack. So etwas geht in der Schweiz nicht. Hier hat man viel ins Vertrauen der Konsumenten investiert, dass unsere Produkte sauber und rein sind.

«Man hat viel ins Vertrauen investiert»

Apropos: Was trinkt Martin Donatsch, wenn er nach einem langen Arbeitstag im Weinberg nach Hause zurückkehrt? Eigenen Wein oder fremden?

Nach einem langen Arbeitstag trinke ich gerne auch einmal einen gespritzten Weisswein. Sonst trinken wir in der Familie sehr viele Weine von Kollegen; schliesslich muss man die Augen offen halten, was die so machen (lacht). Wenn wir ausgehen, bestellen wir oft aber auch unsere eigenen Weine – einfach, um zu sehen, wie diese zusammen mit dem Essen schmecken und sich entfalten.

Aus Wein wird teilweise fast so etwas wie eine Glaubensfrage gemacht; man muss etwas von Wein verstehen, damit man mitreden kann. Sie sind also niemand, der immer möglichst exklusive Tropfen trinken muss?

Nein, bei mir gibt es so etwas wie eine absolute Obergrenze bei etwa 200 Franken. Ich sage immer, auch zu diesem Hype, der über manche Weine gemacht wird: «Wein ist immer noch ein Getränk.» Ein wunderbares Getränk zwar, aber für mich weder Geldanlage noch Kunstobjekt.

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