«Was Glarus Süd mit den Schulen macht, ist richtig»
Die Organisation hat sich in der Bildung stark verändert. Nun verändert sich die Schule auch für Lehrer, Eltern und Schüler. Das sagt die Glarner Bildungsdirektorin.
Die Organisation hat sich in der Bildung stark verändert. Nun verändert sich die Schule auch für Lehrer, Eltern und Schüler. Das sagt die Glarner Bildungsdirektorin.
Mit Christine Bickel sprach Fridolin Rast
Frau Bickel, die Kantonsschule hat ihren eigenen Schulrat, die drei Gemeinden sind Herren über die Volksschule – wofür braucht es das kantonale Bildungsdepartement überhaupt noch?
Christine Bickel: Das Bildungsdepartement ist eben viel mehr als das, was die Gemeinden übernommen haben: Sekundarstufe II und Berufsschulen mit Kantonsschule, Kaufmännischer und gewerblich-industrieller Berufsschule und Pflegeschule, dann Schulisches Zusatzangebot, Berufsbildung und -beratung, Berufsinformationszentrum. Bei der Volksschule braucht es eine Oberaufsicht, die nehmen wir mit einer kleinen Rest-Abteilung wahr. Sport und Integration sind bei uns angegliedert, und dann ist die Kultur ein wichtiger Teil des Departements.
Trotzdem: Was bleibt übrig von der Redimensionierung, die nach der Gemeindestrukturreform erwartet wurde?
Wir haben diesen Abbau gemacht und bei der Volksschule um rund fünf Stellen, im Sekretariat anteilmässig, reduziert. Logopädie und didaktisches Zentrum gingen an die Gemeinden.
«Glarus Süd packt die wesentlichen Fragen an»
Die Gemeinden haben ihre Schulleitungen, der Kanton das Bildungsdepartement – ist die Schule überreguliert?
Die Gemeinden haben Schulleitungen für die Tagesgeschäfte und Schulkommissionen für die strategischen Entscheide. Wie viel Papier es braucht, entscheiden sie vor Ort. Weil die Gebiete grösser geworden sind, braucht es auch etwas mehr Regeln. Das finde ich gut so, es können nicht mehr drei Lehrer beim Pausenkaffee vieles regeln. Es ist halt auch so, dass neue Organisationen sich eher überregulieren, das wird sich sicher einpendeln, man kennt das aus der Organisationslehre als normalen Prozess. Wichtig finde ich, dass es wenig Personalwechsel in den Schulleitungen gibt, das ist ein gutes Zeichen. Andere Kantone haben in den ersten zehn Jahren nach Einführung der Schulleitungen extreme Fluktuationen gehabt.
Hat die Korrektur schon begonnen?
In Glarus Süd überarbeitet man nun die Schulstrukturen. Das ist ein Zeichen, dass man die wesentlichen Fragen anpackt.
Wie stark ist das Ganze von aussen beeinflusst, von Harmos etwa?
Durch Harmos ist für Glarus gar nicht so viel geändert oder zusätzlich reguliert worden. Denn faktisch besuchten das zweite Kindergartenjahr schon alle und war auch das neu obligatorische 9. Schuljahr mit dem Brücken-angebot schon vorhanden. Nun sind auch bedarfsgerechte Tagesstrukturen aufgebaut worden. Wobei die Gemeinden bestimmen, was bedarfsgerecht ist, und der Kanton den sozialen Ausgleich der Tarife finanziert.
Warum sagt Ihr Departement in der Öffentlichkeit nichts zu den Schulstandort-Diskussionen in Glarus Süd?
Weil diese Strukturen klar Sache der Gemeinden sind. Ich finde es richtig und mutig, wie die Schulkommission von Glarus Süd ihren Vorschlag präsentiert und die Diskussion für möglichst viele gute Ideen geöffnet hat. Der Kanton bietet Hilfe an, macht aber keine eigenen Vorschläge. Klar ist allerdings, dass sich die Schule in Glarus Süd verändern muss. Der Anlass ist eigentlich traurig, denn die Gesellschaft hat hier nur noch halb so viele Kinder wie vor etwa 20 Jahren, als die heutigen Strukturen entstanden sind.
Welches Schulmodell würden Sie wählen, wenn Sie entscheiden müssten?
Ich würde wohl eine Mischung wählen, in der Zentrums- und Gesamtschulen vorkommen. Die Bevölkerung muss sich im Klaren sein, wo sie welche Schulen will, das hat dann direkten Einfluss auf die Kosten.
«Die Maturaquote könnte etwas höher werden»
Glarus hat eine tiefe Maturaquote, und Handwerker jammern, sie bekämen keine guten Lehrlinge mehr. Gehen den Schulen die guten Schüler aus?
Auch hier sind es halt weniger Kinder. Ausserdem bietet der Kanton viele Lehrstellen, gerade in technischen Berufen. Hier sind die Chancen, mit Lehre, Berufsmatur und Fachhochschule weiterzukommen, gut – und als Folge ist der Mädchenanteil an der Kanti hoch. Die wirklich etwas tiefe Maturaquote müssen wir aber im Auge behalten. Sie könnte etwas, aber nicht massiv, erhöht werden, doch die Politik stand dem bisher geteilt gegenüber. Und wo sie hoch ist, ist auch die Jugendarbeitslosigkeit hoch. Wichtiger ist die Frage, ob die richtigen Schüler in die Kanti gehen.
«Die Berichte der Gemeinden beruhigen mich»
Sind die Schüler überfordert durch die vielen so früh gelehrten Sprachen, durch Hochdeutsch, Frühenglisch und Frühfranzösisch?
Wir bearbeiten das Thema nicht allein, aber es ist Bestandteil des Lehrplans 21 der Deutschschweizer Kantone. Dieser wird nächsten Sommer breit und öffentlich diskutiert. Wir arbeiten aktiv mit, und der neue Lehrplan kommt für uns zur richtigen Zeit. Denn wir müssten auch den ungefähr zehn Jahre alten Glarner Lehrplan überarbeiten und können so mit wenig eigenen Ressourcen partizipieren.
Gewalt an der Schule – was tut das Bildungsdepartement dagegen?
Im Moment sind keine zusätzlichen Massnahmen nötig. Es bestehen aber Weiterbildungen und Projekte in Gewaltprävention, die wir mit Geld aus dem Alkoholzehntel unterstützen. Und die Schulsozialarbeit wird eingeführt, sie arbeitet auch in der Gewaltprävention.
Heute sind nicht einmal mehr die Lehrerlöhne im Kanton gleich – entwickeln sich die Gemeinden auseinander?
Ihre Ausgangslage ist verschieden, und der Kanton begleitet sie mit ihren unterschiedlichen Problemen. Ich habe keinen Einblick in die Lohnpolitik der Gemeinden, die man bewusst ihnen übertragen hat. Bei Mangel hatte ich eher befürchtet, dass Stellen mit Lehrpersonen besetzt werden, die nicht stufengerecht ausgebildet sind. Die Rechenschaftsberichte der Gemeinden beruhigen mich hier eigentlich, auch wenn es in Glarus Süd etwas öfter vorkommt, dass etwa Primarlehrer in der Oberstufe unterrichten. In Glarus Süd ist der Mangel an stufengerecht Ausgebildeten grösser, aber im akzeptablen Rahmen.
Welche Höhepunkte haben Sie im endenden Jahr erlebt?
Ein Highlight ist sicher die Basisstufe, welche die Landratskommission zuerst ablehnte. Ich freue mich, wie differenziert sie der Landrat unter pädagogischen, finanziellen und organisatorischen Aspekten diskutiert hat. Nun können die Gemeinden Basisstufen einführen, wo sie sie geeignet finden – mit zwei Kindergarten- und zwei Schuljahrgängen in einer Klasse.
«Die Schule wird sich verändern»
Welche Vision haben Sie für die Glarner Schulen in zehn Jahren?
Ich hoffe, wir werden mit dem Lehrplan 21 arbeiten und Verschiedenes wird sich geändert haben. Er hat den Anspruch der Kompetenzorientierung. Der Unterricht soll sich darauf ausrichten, dass die Kinder ihr erworbenes Wissen auch im Kontext anwenden können. Die Lehrpersonen werden über ihren Auftrag Klarheit haben, und so erwarte ich, dass sie ihn nicht mehr als unendlich empfinden. Sie werden im Team und mit den Fachpersonen innerhalb der Schule ihre Verantwortung über die reinen Lektionen hinaus wahrnehmen. Vieles davon ist schon heute in guten Ansätzen vorhanden. Beim Beurteilen und Fördern hoffe ich, dass die Rückmeldungen der Chefs bei den Lehrern als Wertschätzung und Förderung ankommen. Auch sollten die Lehrpersonen sich an den Einfluss der Beurteilung auf den Lohn gewöhnt haben. Nachdem in der letzten Zeit viel bei den Strukturen verändert worden ist, wird in den nächsten Jahren wieder vermehrt am Inhalt gearbeitet.
Ist das noch eine grosse Aufgabe?
Ja, das wird seine Zeit brauchen. Die Schule wird sich weiterentwickeln, weil sie unsere Kinder auf die ständigen Veränderungen der Gesellschaft vorbereiten soll. Weil die Schule aus Menschen besteht, kann das nur geschehen, wenn sich die Beteiligten und ihr Rollenverständnis bewegen und verändern. Das ist anspruchsvoll.
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