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Uniformierte Individualisten

Kleider machen Leute, sagt ein altes Sprichwort. Wer also keine Lust hat, so zu sein wie die breite Masse, der drückt dies am wirkungsvollsten durch sein äusseres Erscheinungsbild aus.

Südostschweiz
10.10.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Von Silvia Kessler

Seit Menschengedenken ist es immer wieder die Generation der Heranwachsenden, welche diese Form der Abgrenzung besonders hingebungsvoll pflegt und Eltern und Lehrer mit modischen Eskapaden bezüglich Garderobe und/oder Frisur geradezu schockiert. Die Provokationen sind durchaus gewollt, sie gehören zum Erwachsenwerden und sie sollen – zumindest bis anhin – den Drang nach Individualität und gegen das Genormtwerden unterstreichen.Irgendwie scheint der Jugend nun aber die Fantasie abhandengekommen zu sein. Die jungen Männer zu Stadt und Land jedenfalls sind heute fast nur noch aufgrund der Farbe ihrer Dächlikappen (sprich «Caps») zu unterscheiden. Der Hosenboden ist mittlerweile bis auf Kniehöhe hinuntergerutscht, was einen Spurt auf den abfahrbereiten Bus zum Vornherein verunmöglicht. Mit Schlabberpullover, idealerweise mit Kapuze über dem Käppli und übergrossen Schuhen, besonders «cool» mit offenen Schuhbändeln, kommen die Buben daher wie wandelnde Kartoffelsäcke. Weil Kleider aber früher wie heute Leute machen, vermitteln diese Kopien von Darstellern aus amerikanischen Gangsta-Rap-Videos einzig die Botschaft: «Ihr alle um mich herum seid mir wurscht, und wie ich aussehe ist mir erst recht wurscht.»Diese trübe weil einfallslose Uniformierung der Jugend könnte einem aufs Gemüt schlagen, wäre da nicht die Gewissheit, dass die nächste Generation der Heranwachsenden bereits in den Startlöchern steht. Die jungen Männer der Zukunft haben zumindest den Vorteil, dass sie sich allein schon durch das Weglassen des «Caps» auf dem Haupt von ihren Vorgängern abheben können.

Silvia Kessler ist Regionalredaktorin beim «Bündner Tagblatt».

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