×

«Totentanz» im Kerchel in Schwyz

Allerheiligen und Allerseelen: Die traditionellen «Totengedenktage» erinnern uns an die Vergänglichkeit des irdischen Daseins. Das Thema «Tod» und «Totentanz» hat sich schon früh auch in der Kunst niedergeschlagen. Der einzige Glasscheibenzyklus im Kanton befindet sich im «Kerchel» in Schwyz. Es ist ein Werk des Basler Künstlers Lothar Albert aus dem Jahre 1924.

Südostschweiz
31.10.13 - 01:00 Uhr

Von Hans Steinegger

Schwyz. – Unter einem Totentanz versteht der Volksmund gemeinhin sagenhafte Berichte über tanzende Tote. Seit dem Hochmittelalter sind damit jedoch bildliche Darstellungen von Menschen unterschiedlichen Standes und Alters gemeint, die plötzlich dem personifizierten Tod gegenüberstehen, und dabei erkennen, dass sie sterben müssen. Sie alle, ob Kaiser oder Kardinal, Ritter oder Krieger, Mutter oder Tochter, Bauer oder armer Mann, sind gleichermassen betroffen, denn niemand kann sich dem Tod entziehen.

Berühmte Darstellungen

Im deutschsprachigen Raum gilt der einst rund 60 Meter lange Totentanz auf der Friedhofsmauer des Basler Dominikanerklosters als die älteste Darstellung. Der Zyklus ist um 1440 entstanden, heute jedoch nur noch in wenigen Fragmenten erhalten. Die Szenen des «Basler Totentanzes» wurden später umgestaltet, vor allem zur Zeit der Reformation. Da entstanden beispielsweise zwischen 1515 und 1519 der berühmte «Berner Totentanz» von Niklaus Manuel oder in der Innerschweiz nahezu 100 Jahre später (1626 bis 1635) die Bildtafeln von Kaspar Meglinger auf der Spreuerbrücke in Luzern. Totentänze sind in der Schweiz aber auch in Büchern und Kalendern, als Glasscheiben und Denkmäler, in Liedern oder als Schauspiele zu finden.

Wandbilder in Arth und Schwyz

Die Kunstform des Totentanzes als «memento mori» – das heisst: Gedenke des Todes! – ist aus früher Zeit auch im Kanton Schwyz an profanen, nicht aber an sakralen Bauten nachgewiesen. So gab es zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine Totentanzszene an der Nordfassade des Grosshus an der Strehlgasse (Ochsenplatz) in Schwyz und nach dem Dorfbrand von 1719 eine Totentanzdarstellung im Dorfkern von Arth, die sich an der Nordseite des Hauptplatzes über die Fassaden mehrerer Häuser hinweg zog. Diese Wandbilder sind nicht erhalten geblieben. Aus viel späterer Zeit stammen der Glasscheibenzyklus «Totentanz» des Basler Künstlers Lothar Albert und die Bronzeskulptur «Totentanz» des Bildhauers Josef Nauer aus Freienbach. Albert gestaltete seine Glasscheiben 1924 im Rahmen der Restaurierung des Kerchels in Schwyz, Nauer sein Werk für das 1955 auf dem Kirchhof in Lachen eingeweihte Denkmal zur Erinnerung an die im Ersten und Zweiten Weltkrieg verstorbenen Wehrmänner.

Erinnerung an Schwyzer Beinhaus

In die Entstehungszeit der berühmten Schweizer «Totentänze» fällt auch der Bau der spätgotischen Doppelkapelle (1512–1518) auf dem alten Friedhof nördlich der Schwyzer Pfarrkirche. Während der «Kerchel», das kryptaartige Untergeschoss, ursprünglich ein Beinhaus war und heute noch als Totenaufbahrungskapelle dient, ist die Kapelle im Obergeschoss dem heiligen Michael geweiht. Anlässlich der umfassenden Restaurierung der Doppelkapelle (1923–1926) erhielt 1924 der junge Basler Künstler Lothar Albert (1902–1972) den Auftrag, für den Kerchel einen Glasscheibenzyklus zum Thema «Totentanz» zu schaffen. Was die Beweggründe dazu waren, lässt sich heute nur noch vermuten: Vielleicht sollten die Totentanz-Szenen an die ursprüngliche Bestimmung des Raumes als Beinhaus erinnern: Möglicherweise war die Thematik aber auch ein zeitnahes Gedenken an die Unbill des Ersten Weltkriegs. Denn nicht nur Kriege, sondern auch Erdbeben, Hungersnot und Seuchen waren schon immer eng mit der Vergänglichkeit alles Irdischen verbunden. Ebenso bemerkenswert ist, dass damals ein junger Basler mit der künstlerischen Gestaltung des «Totentanzes» betraut wurde – also einer aus jener Stadt, wo nahezu 500 Jahre zuvor der erste monumentale «Totentanz» in der Schweiz gestaltet worden war.

Einziger Totentanz-Zyklus

Zudem ist der Glasscheiben-Zyklus im Kerchel seit nunmehr 90 Jahren die einzige «Totentanz»-Darstellung dieser Art im Kanton Schwyz geblieben. Jedes der vier bogenförmigen Fenster enthält je zwei Rundscheiben, während darunter in einem Rechteck ein vierzeiliger Text das jeweilige Thema vertieft (siehe Legenden zu den Abbildungen der Glasscheiben). Dabei tritt der Tod «als Leichnam mit eingefallenen Zügen und bleckenden Zähnen auf und trägt einen Anzug oder einen weiten Mantel». Der Inhalt kreist um den Menschen und seine letzten Dinge, eingebunden in die christliche Tradition des Sterbens und Auferstehens. Den Todesreigen eröffnen Adam und Eva als «Ursache des Todes», gefolgt vom «Ersten Tod», symbolisiert durch den Totschlag Kains an seinem Bruder Abel. In der Bildtradition der alten Totentänze folgen darauf vier verschiedene Stände: «Tod und Soldat», «Tod und Bauer», «Tod und reicher Mann» und «Tod und armer Mann». Der Totentanz mündet schliesslich im trostreichen Abschluss mit den Themen «Stunde des Sterbens» und «Auferstehung». Auffallend, dass dabei nicht Christus dem Sterbenden beisteht, sondern ein Priester mit der Eucharistie, Christus jedoch in menschlicher Gestalt daran erinnert, dass er durch sein Sterben dem Menschen den Zugang zum Himmel öffnete. Die beiden Scheiben (Sterben und Auferstehung) konfrontieren sich notabene mit den Darstellungen von Adam und Eva sowie Kain und Abel im gegenüberliegenden Fenster. Damit will der Künstler wohl den Gegensatz von Sündenfall und Totschlag einerseits sowie von Hoffnung auf Erlösung und Auferstehung anderseits verdeutlichen.

Quellen: Robert Hess, Der neue Totentanz in Schwyz, in: Kalender der Waldstätte, 1926; Regula Odermatt-Bürgi, Totentänze der Innerschweiz, in: Todesreigen – Totentanz, 1996; Oliver Landolt, «ein mercklicher unerhörter grusamer sterbend» – die Pest und ihre Auswirkungen im Länderort Schwyz im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: MHVS 104 / 2012.

Im «Kalender der Waldstätte» von 1926 hat Robert Hess den «Neuen Totentanz in Schwyz» vorgestellt. Der Zeitzeuge lobt den jungen Basler Künstler Lothar Albert, habe er doch «dieses Werk mit dramatischer Kraft und farbensatter Klangfülle geschaffen». Darin sei auch «noch etwas von den Schöpfern der berühmten alten Totentänze seiner Stadt lebendig». Denn gross sei die Schwierigkeit gewesen, «die verschiedenen Szenen nach den Bedingtheiten der Glasmalerei in die Kreise der Scheiben zu komponieren» und einen Totentanz neu und zeitgemäss zu gestalten, nachdem so viele Grosse der Vergangenheit dieses Thema so unvergleichlich gelöst hätten. «Und doch, was Albert geschaffen, ist, wie die religiös ideelle Folge der Darstellungen, etwas einheitlich Ganzes, ein Werk unserer Zeit und unseres heutigen künstlerischen Empfindens. Ohne äusserliches Imitieren früherer Vorbilder, ohne Problematik, hat er die echten Errungenschaften der zeitgenössischen Kunst, ihre intensive Farbenglut und ihre flächenhaften expressiven Formen, in diesen Zyklus zu einer frischen, eindrucksstarken Auswirkung gebracht», schreibt Robert Hess zwei Jahre nach Platzierung des Werkes im alten «Beinhaus» von Schwyz. (hs)

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu MEHR