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«Niemand ist vor Einbrüchen gefeit»

Im Linthgebiet nahm die Anzahl Straftaten letztes Jahr ab. Christian Rudin, Regionenchef der Kantonspolizei, führt dies auch auf die hohe Polizeipräsenz in der Region zurück. Der Personalstopp erschwere der Polizei jedoch die Arbeit.

Südostschweiz
27.04.13 - 02:00 Uhr

Mit Christian Rudin sprach Marc Allemann

Jedes Jahr erstellt die Polizei eine Kriminalstatistik. Was können Sie mit den Zahlen überhaupt anfangen?

Christian Rudin: Es ist immer schwierig, aus der Statistik Schlüsse zu ziehen. Die Kantonspolizei reagiert mehrheitlich auf Tatbestände. Wir leisten zwar auch Präventionsarbeit. Wir können aber nicht messen, was diese für einen Einfluss hat.

Im letzten November gab es eine beispiellose Einbruchswelle. Wird sich das auch dieses Jahr wiederholen?

Davon ist leider auszugehen. Die Polizei kämpft in allen Kantonen gegen dieses Problem.

Ist die Täterschaft heute besser organisiert?

Sie haben ihre Vorgehensweise in den letzten Jahren nicht gross geändert. Es sind vornehmlich Banden aus Rumänien und Ex-Jugoslawien, die bei uns unterwegs sind. Die Banden ändern aber ihre Einsatzgebiete. Letztes Jahr hat es unseren Kanton und die Region auch erwischt.

Im Linthgebiet gab es 2012 aber trotz Einbruchswelle weniger Einbrüche als im Vorjahr. Dennoch stieg das Unsicherheits-Gefühl. In Schmerikon war gar von einer Bürgerwehr die Rede.

Wenn es innerhalb einer kurzen Zeitspanne viele Einbrüche gibt und die Medien darüber berichten, entstehen solche Diskussionen. Ausserdem hat die Polizei aktiv über die Einbrüche kommuniziert. Das verstärkt das öffentliche Bewusstsein und leider auch die Angst. Niemand ist vor einem Einbruch gefeit. Auch ich bin manchmal abends mit einem mulmigen Gefühl nach Hause gekommen und habe gehofft, dass niemand bei mir eingestiegen ist.

Wie erklären Sie sich, dass es 50 weniger Einbrüche im Vergleich zum Vorjahr gab?

Wir hatten in der Region eine massive Präsenz und waren mit Mann und Maus unterwegs. Zum Teil haben wir Vertreibungstaktiken angewendet: In einem Quartier waren wir mit uniformierten Polizisten unterwegs – in einem anderen waren wir zivil vor Ort. Es wurden enorm viele personelle Mittel investiert.

Konnten Sie Erfolge vorweisen?

Im Oktober und November konnten wir drei bedeutende Täterschaften im Linthgebiet festnehmen. Nach den Festnahmen hatten wir in der Region eigentlich Ruhe. Ein Teil dieser Banden war schon in früheren Jahren bei uns unterwegs. Darum hatten wir schon Spurenmaterial, das sie belastete.

«Ordnungsdienst kann Polizisten nicht ersetzen»

Genügen die heutigen Gesetze, um Einbrecherbanden erfolgreich bekämpfen zu können?

Die Gesetze sind ausreichend. Voraussetzung ist, dass die Strafmasse ausgeschöpft werden. Es besteht aber häufig ein Interessenkonflikt zwischen der Staatsanwaltschaft und der Polizei. Die Polizei versucht möglichst viele Delikte aufzuklären, was auch im Interesse der Geschädigten ist. Die Staatsanwaltschaft hingegen setzt die Priorität bei der Erledigungsmaxime. Um das höchstmögliche Strafmass zu erreichen, müssen einem Täter nicht immer alle begangenen Delikte nachgewiesen werden. Darum werden manche Straftaten nicht aufgeklärt.

Dann könnte die Aufklärungsquote bei Delikten höher sein, wenn die Staatsanwaltschaft auch auf dieses Ziel hinarbeiten würde?

Davon bin ich überzeugt.

Die Aufklärungsquote bei Einbrüchen ist sehr tief. Woran liegt das?

Die Täterschaft arbeitet international. Sie begeht Einbrüche und verschwindet in der gleichen Nacht wieder.

Kantonal stieg 2012 die Anzahl Straftaten, im Linthgebiet nahm sie im Vergleich zum Vorjahr um 4,8 Prozent ab.

Das ist schwierig zu erklären, da die Anzahl Straftaten von sehr vielen Faktoren und auch von Zufällen abhängt. Wir haben in kritischen Phasen eine hohe Polizeipräsenz. Im Linthgebiet haben wir zudem nur zwei Brennpunkt-Gebiete: Rapperswil-Jona und Uznach. Ansonsten ist die Region mehrheitlich eine ruhige Gegend.

Bei vielen Delikten werden heute bedingte Strafen ausgesprochen. Ist die Justiz zu lasch?

Es steht mir nicht zu, die Justiz zu kritisieren. Für mich stimmt aber das Verhältnis zwischen Strassenverkehr und Strafgesetz nicht. Wenn wir höhere Geldstrafen und mehr unbedingte Strafen aussprechen würden, würden es sich mehr Leute zweimal überlegen, hier straffällig zu werden.

In Rapperswil-Jona nahm die Anzahl Straftaten pro Tausend Einwohner um 17 Prozent ab. Ist das nur auf die Polizeipräsenz zurückzuführen?

Die Präsenz hat sicher eine Auswirkung. Aber auch das Anzeigeverhalten hat sich möglicherweise verändert. In Rapperswil-Jona haben wir das Glück, dass wir eine von der Stadt mitfinanzierte Stadtpolizei haben. Insgesamt sind 24 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort, sechs davon sind von Rapperswil-Jona finanzierte Stadtpolizisten. Leider baut die Stadt nun eine Stelle ab. Das wird eine Verschlechterung geben, welche die Bürger spüren werden. Ich persönlich finde es eine ganz schlechte Entwicklung.

Warum ist das eine schlechte Entwicklung?

Die Stadt baut ein eigenes Ordnungsamt auf. Dies erachte ich eigentlich als sinnvoll. Damit sie dieses Amt kostenneutral finanzieren kann, baut man bei der Polizei ab. Das ist problematisch, weil der Ordnungsdienst keine Polizisten ersetzen kann.

Die Stadt wird mit dem Ordnungsdienst viel mehr Bussen eintreiben können.

Das wird ihre primäre Tätigkeit sein. Den ruhenden Verkehr zu kontrollieren ist sicher sinnvoll. Aber ein gutes Ordnungsamt sollte nicht auf Kosten der Polizeistellen errichtet werden. Die Angestellten des Ordnungsamtes können bei einem Vorfall nicht intervenieren, obwohl sie mit einer Polizeiuniform herumlaufen. Das ist problematisch, weil die Leute denken, dass hier Polizisten am Werk sind. Es ist eine trügerische Sicherheit, die mir Kummer bereitet.

«Es gibt Polizisten, die man zweimal anspucken kann»

Laut Kriminalstatistik nehmen Gewalt und Drohungen gegen Polizeibeamte weiterhin zu. Kann die Polizei diesem Trend entgegenwirken?

Es ist eine gesellschaftliche Erscheinung, dass man vor gar nichts Respekt mehr hat. Das merken wir nicht nur bei der Polizei. Von den Aggressionen sind auch Ambulanzfahrer und Ärzte betroffen. Wir versuchen unsere Leute in der psychologischen Gesprächsführung zu schulen. Sie sollen deeskalierend vorgehen können.

Manche Polizisten beherrschen dieses Vorgehen nicht.

Einigen Polizisten kann man zweimal ins Gesicht spucken und sie bleiben ruhig – andere explodieren nach dem ersten Vorfall. Es gelingt nicht immer, deeskalierend zu wirken.

Fühlen sich Polizisten zu wenig geschätzt?

Das glaube ich nicht. Die immer wiederkehrende Kritik ist aber sehr belastend. Wir leben aber damit, dass wir es nie allen recht machen können.

Letztes Jahr demonstrierten viele Kantonspolizisten gegen vorgesehene Lohnkürzungen. Sind Sie auch an die Demo in St. Gallen gegangen?

Ich war an diesem Tag dienstlich abwesend. Ansonsten wäre ich definitiv hingegangen.

Dann standen Sie hinter den Protesten?

Ja, klar. Die drohende Lohnkürzung war zusätzlich zum Personalstopp, der Verzögerung des Stufenanstiegs, den Kürzungen bei der Pensionskasse und der Steuererhöhung eindeutig zu viel.

Wie macht sich der Personalstopp bemerkbar?

Wir können für nächstes Jahr zirka zwölf neue Polizisten rekrutieren. Rund 20 Polizisten werden in den Ruhestand treten. Obwohl der Kantonsrat einen Ausbau bei der Polizei bewilligt hat, schrumpft darum der Personalbestand. Wir leisten unanständig viele Überstunden, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Es gibt Momente, bei denen die Personaldecke sehr dünn ist. Wenn dann mehrere Vorfälle gleichzeitig passieren würden, könnte es Probleme geben.

Schmerikon. – Christian Rudin (Jahrgang 1956) ist seit 2005 Chef der Region Linthgebiet und Toggenburg im Polizeistützpunkt Schmerikon. Der ausgebildete Elektromonteur wuchs in Wil auf und begann seine Polizeikarriere in Jona. Später arbeitete er bei der Kriminalpolizei. Während 12 Jahren war er Schulpräsident und CVP-Kantonsrat. (mal)

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