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Närrisch guat!

Einen schöneren «Abgang» nach einem höllischen, Kritik hagelnden Jahr hätte man sich für Hans-Rudolf Merz nicht wünschen können. Was ich mir jedoch grundsätzlich von der neuen Regierung wünsche, ist mehr Herz und mehr Lachen bei der Arbeit, auch und vor allem dort, wo gewichtige Geschäfte verabschiedet werden.

Südostschweiz
26.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Eine gesunde Portion Selbstironie hilft, den nötigen Abstand zu den Dingen zu bekommen, die viel persönliches Engagement bedingen, aber genauso Objektivität abverlangen. Es ist völlig dahingestellt, über was Merz im Konkreten kürzlich so herzhaft lachen musste. Es geht mir um den zugelassenen «Kontrollverlust» in diesem Moment. Man sieht ihm regelrecht an, dass er mit sich kämpft, um Fassung kämpft, und wie er doch nichts anderes will und kann, als dem Impuls nachzugeben: lauthals zu lachen, prustend in die Faust rein. Herrlich!Lachen fördert bekanntlich die Produktion der hormonellen Botenstoffe Adrenalin und Beta-Endorphin, die als Glücksstoffe bezeichnet werden und sich positiv auf die Gesundheit auswirken. Zudem sind 80 Gesichtsmuskeln in Bewegung und erzeugen jene sympathischen Lachfältchen, die wiederum dafür sorgen, dass wir sozial besser ankommen. Lachen lohnt sich also fürs eigene Wohlbefinden. Dennoch verlernen wir das Lachen: In den Fünfzigerjahren lachten die Menschen im Schnitt 18 Minuten am Tag, nicht ununterbrochen, aber immerhin. Heute sind es nur noch sechs Minuten.So genannte Lach-Berater versuchen seit den Achtzigerjahren, die Unternehmen davon zu überzeugen, dass Lachen den Unternehmenserfolg in nackten Zahlen steigert. Dabei gehen gewisse in ihren Ansätzen so weit, dass sie Humorausschüsse im Unternehmen vorschlagen, sozusagen als moderne Hofnarren. Das Problem ist bloss: Lachen lässt sich nicht delegieren. Lachen setzt eher den genannten Kontrollverlust voraus. Dass dies in unserer sicherheitsfanatischen Kontrollgesellschaft zwischen «Big Brother» und Überwachungskameras, zwischen Überversicherten und Kontrollfreaks auf der einen Seite und jenen, die sich nicht abgrenzen können, die «distanzlos» sind auf der anderen Seite, nicht ganz einfach ist, mag eine Erklärung dafür sein, warum uns trotz verkündeter Spassgesellschaft das Lachen langsam, aber sicher vergeht. Herrlich also, wenn sich ein hoher Politiker auf sympathische Weise traut, närrisch zu lachen, ohne sich zum Narren zu machen.

Eva Riedi promovierte im interdisziplinären Bereich zwischen Soziologie und Literatur, lebt in St. Gallen, wo sie eine Abteilung für Unternehmensverantwortung (CSR) leitet.

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