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«Mein Herz schlägt hier, denn ich bin ein Puschlaver»

Unter dem Titel «Barone Utopia» beleuchtet das Ostschweizer Theater Jetzt das Leben des Bündner Adligen Franz Maria de Bassus. Am Samstag war am Originalschauplatz in Poschiavo Premiere des umjubelten Freilichttheaters.

Südostschweiz
23.06.14 - 02:00 Uhr

Von Marina U. Fuchs

Poschiavo. – An diesem Abend in Poschiavo stimmte einfach alles: Das Theater Jetzt aus St. Gallen konnte vor ausverkauftem Haus spielen, das Publikum war begeistert, und Petrus zeigte sich gewogen – die Sonne strahlte, und später ergänzte der Sternenhimmel die Kulisse im Innenhof des Palazzo Massella. In diesem prächtigen Gebäude, dem heutigen Hotel «Albrici», hat der historische Baron Tommaso Francesco Maria de Bassus (1742–1815), wie er mit vollem Namen heisst, mit seiner Familie tatsächlich gelebt.

Der romantische Innenhof, der über mehrere Stockwerke von Gängen umrahmt ist, wird ins Spiel einbezogen. Die über 100 Zuschauer sitzen gegenüber der abgestuften Bühne ganz nahe am Geschehen. Die gelungene Inszenierung von Regisseur Oliver Kühn orientiert sich am Roman «Baron de Bassus und die Illuminaten» von Massimo Lardi, interpretiert aber manches anders.

Überzeugende Darsteller

Gilles Tschudi gibt einen eindrücklichen und überzeugenden Baron, der einen mitnimmt in eine andere Welt und Zeit. Ihm und dem Ensemble, das durch die Theatergruppe Filodrammatica Poschiavina und Laien nicht nur aus dem Tal ergänzt wurde, gelingt es, die Zuschauer fast das Hier und Jetzt vergessen zu lassen. Das Stück erinnert an eine Nummernrevue, es ist witzig, temporeich, lässt an manche Fernsehshow denken, verbindet überzeugend Unterhaltung, Information und Nachdenklichkeit.

Alles beginnt mit einer Quizshow, der Tombola della Vita. Der Baron zieht einen Joker und hat die Karriere, die hier für einmal als Person dargestellt wird, auf seiner Seite. Elena Morena Weber, die kurzfristig als Karriere eingesprungen ist, spielt im Minikleid mit Raubtierdruck überzeugend und selbstbewusst. Sie hat den Baron sofort im Griff.

Aufstieg...

Der Jurist, der im bayrischen Ingolstadt aufgewachsen ist, heiratet in die reiche Puschlaver Familie Massella ein, wird Podestà in Poschiavo, Tirano und Traona, lernt Goethe kennen, druckt dessen «Leiden des jungen Werthers» als Erstausgabe auf Italienisch in seiner neuen Druckerei in Poschiavo und erbt ein bayrisches Schloss. Er will als Aufklärer die Welt erneuern und trifft auf den Geheimbund der Illuminaten, begeistert sich für deren Ideen.

Herrlich überzeichnet persifliert werden die Riten, die man dem Geheimbund zuschreibt. Dazu ist aber erst einmal ein Ortswechsel angesagt: Das Publikum wird in den Gewölbekeller des Nebenhauses geleitet, wo sich Unheimliches tut. Zurück im Palazzo geht es in den Sybillensaal wo eine schwache Kirche gegen die Illuminaten Stimmung macht.

Vom Balkon des Palazzo dankt der Baron den Puschlavern für den täglichen Einsatz für die Heimat. «Mein Herz schlägt hier, denn ich bin ein Puschlaver», ruft er aus.

... und Fall

Nach einer Pause auf der Piazza hat die Karriere plötzlich andere Ziele. «Game over», meint sie Kaugummi kauend. Sie verbündet sich mit Napoleon (in dieser Rolle der aktuelle Podestà von Poschiavo, Alessandro della Vedova), der von Europa Besitz ergriffen hat. Mit dem Baron geht es bergab: Er wird angeklagt, der Geheimbündelei überführt und verliert alles. Zum Abschluss singt das ganze Ensemble hoffnungsfroh «Se oggi seren non è, domani seren sarà. Se non sarà seren, si rasserenerà.»

Wer mehr über die geschichtlichen Hintergründe und Zusammenhänge erfahren will, dem sei die Ausstellung «Dai Bassi ai de Bassus – eine Familiengeschichte zwischen Puschlav und Bayern» empfohlen, die derzeit im Museo Poschiavino im Palazzo Bassus-Mengotti gezeigt wird.

Weitere Infos: www.theaterjetzt.ch

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