×

Müssen die Schweizer Renten sinken?

Am 7. März wird darüber abgestimmt, ob der Umwandlungssatz zur Berechnung der Renten gesenkt werden soll. Die Mehrheit des Parlaments hält dies für nötig, die Linke hat das Referendum ergriffen. Darum geht es:

Südostschweiz
16.01.10 - 01:00 Uhr
Müssen die Schweizer Renten sinken?

Am 7. März wird darüber abgestimmt, ob der Umwandlungssatz zur Berechnung der Renten gesenkt werden soll. Die Mehrheit des Parlaments hält dies für nötig, die Linke hat das Referendum ergriffen. Darum geht es:

Von Daniel Imwinkelried

Wie funktioniert die Vorsorge in der Schweiz?

Die Schweiz kennt das 3-Säulen-Prinzip. Die AHV bildet die erste Säule. Sie funktioniert nach dem Umlageverfahren. Das heisst, dass das Geld, das die Berufstätigen einzahlen, gleich wieder für Renten ausbezahlt wird. Es wird also nicht gespart. Dieses System steht im Gegensatz zum Kapitaldeckungsverfahren der zweiten Säule. Hier sparen alle Erwerbstätigen für sich ein Altersguthaben, woraus die Renten bezahlt werden. Die dritte Säule umfasst Anlagen von Banken und Versicherern.

Worüber wird am 7. März abgestimmt?

Über die Anpassung des Mindestumwandlungssatzes in der obligatorischen beruflichen Vorsorge. Die Vorlage sieht vor, diesen bis 2016 schrittweise von 6,8 auf 6,4 Prozent zu senken. Selbstverständlich können Kassen weiterhin einen höheren Satz anwenden. Bestehende Renten sind nicht betroffen. Das Parlament hat der Senkung klar zugestimmt. Die Gewerkschaft Unia hat aber das Referendum ergriffen. Die SP, die Grünen, der Gewerkschaftsbund und weitere Organisationen haben sich angeschlossen. Sie fordern, dass der Satz von 6,8 Prozent beibehalten wird.

Was ist der Umwandlungssatz?

Damit wird das Guthaben, das die Versicherten während ihres Arbeitslebens gespart haben, in eine jährliche Rente umgewandelt. Bei einem Guthaben von beispielsweise 500 000 Franken und einem Umwandlungssatz von 6,4 Prozent erhält ein Versicherter pro Jahr 32 000 Franken. Dabei hängt der Umwandlungssatz von zwei Faktoren ab: erstens von der Lebenserwartung des Pensionierten und zweitens von der erwarteten Rendite auf dem Guthaben, das dieser laufend aufbraucht. Rechnet die Kasse mit einer zu hohen Rendite oder zu einer tiefen Lebenserwartung, reicht das Kapital nicht.

Warum sind sich die Mehrheit des Parlaments und die linken Parteien uneinig?

Der Bundesrat und Versicherungsmathematiker sind der Meinung, dass der Mindestumwandlungssatz sich auf eine zu tiefe Lebenserwartung und zu optimistisch geschätzte Kapitalerträge stützt. Der geltende Umwandlungssatz erfordert eine Rendite von fast fünf Prozent auf dem Kapital, um die Renten bezahlen zu können. Zwischen 2001 und 2008 haben Schweizer Pensionskassen aber im Schnitt nur eine jährliche Rendite von einem Prozent erzielt. Vor allem die Börsencrashs von 2001 und 2008 brachten den Kassen hohe Verluste. Die Opponenten bestreiten diese Zusammenhänge. Sie glauben, dass die Kapitalmärkte mehr hergeben würden als in den vergangenen Jahren. So könnten die Vorsorgeeinrichtungen beispielsweise mehr in Immobilien investieren. Zudem rechnen sie teilweise mit tieferen Lebenserwartungen.

Wer hat Recht?

Die zweite Säule beruht auf vielen Annahmen, die sich ändern können. Tatsache ist, dass derzeit die Renten der Pensionierten nicht ausreichend finanziert sind. Es fliesst Geld, aus dem das Altersguthaben der Berufstätigen entstehen sollte, an die Pensionierten. Die zweite Säule ähnelt so ganz wenig dem Umlageverfah-ren, was nicht im Sinne der Erfinder ist.

Was passiert, wenn diese Finanzierungslücke bleibt?

Entweder müssen die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer höhere Beiträge zahlen. Diese würden aber nicht den Altersguthaben der Versicherten gutgeschrieben, sondern dienten dazu, Löcher zu stopfen. Die zweite Lösung bestünde darin, die laufenden Renten zu kürzen.

Was haben die Pensionskassen bisher gegen die Finanzierungslücke unternommen?

Jahreseinkommen von über 82 080 Franken können freiwillig versichert werden. Es handelt sich um das so genannte Überobligatorium. Kassen verzinsen überobligatorische Guthaben bereits mit weniger als dem Mindestzins von zwei Prozent und wenden einen Umwandlungsatz von weniger als 6,4 Prozent an.

Gewerkschaften sprechen davon, dass die Lebensversicherer «Rentenklau» begehen würden. Stimmt der Vorwurf?

Lebensversicherer müssen 90 Prozent des Ertrages den Versicherten zugute kommen lassen. Selbstverständlich könnte man die Aktionäre zugunsten der Versicherten knapper halten. Versicherer verwalten nur 20 Prozent des Kapitals der zweiten Säule. Zudem öffnet sich auch bei Pensionskassen eine Finanzierungslücke, obwohl sie keine Aktionäre bedienen.

So viel fehlt am Ende im Portemonnaie

Wen trifft die Senkung des BVG-Umwandlungssatzes wie hart? Eine Modellrechnung mit verschiedenen angenommenen Monatslöhnen ergibt, dass eine Verkäuferin, die beim Inkrafttreten der neuen Regel im Jahr 2016 in Pension geht und ihr ganzes Berufsleben in die Pensionskasse einbezahlt hat, pro Monat 40 Franken weniger in der Tasche hat.Anders ist die Situation bei besser bezahlten Berufen, etwa Lehrern. Dort sinkt die monatliche Rente mit dem neuen Umwandlungssatz um fast 100 Franken. Allerdings ist das Sparkapital bei einem Lehrerlohn für gewöhnlich deutlich höher als in der Modellrechnung, denn der überobligatorische Bereich, der nicht dem vorgegebenen Umwandlungssatz unterliegt, wurde nicht einbezogen.• Der BauarbeiterJahreslohn: 72 000 Franken Versicherter Lohn: 48 000 Franken Kapital 2. Säule: 240 000 Franken Monatsrente (6,8 Prozent): 1360 Fr. Monatsrente (6,4 Prozent): 1280 Fr. Minus: 80 Franken• Der LehrerJahreslohn: 108 000 Franken Versicherter Lohn: 58 000 Franken Kapital 2. Säule: 290 000 Franken Monatsrente (6,8 Prozent): 1643 Fr. Monatsrente (6,4 Prozent): 1546 Fr. Minus: 97 Franken• Die VerkäuferinJahreslohn: 48 000 Franken Versicherter Lohn: 24 000 Franken Kapital 2. Säule: 120 000 Franken Monatsrente (6,8 Prozent): 680 Fr. Monatsrente (6,4 Prozent): 640 Fr. Minus: 40 Franken

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu MEHR