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Lettisches Märchen mit Fast-Happyend

Im lettischen Valmiera haben die Unihockeyfrauen von Piranha Chur am Samstag beim Europacup Silber gewonnen – und nicht Gold verloren. Ein Rückblick in mehreren Akten auf eine ereignisreiche Woche.

Südostschweiz
11.10.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Von Reto Voneschen

Unihockey. – Der Finaleinzug wurde von den Churer Piranhas als Ziel vorgegeben, hinter vorgehaltener Hand wurde gar von der Goldmedaille gesprochen. Geworden ist es nun die silberne Auszeichnung. Mit ihrem erfrischenden Auftritt haben die Churer Piranhas das Europacup-Finalturnier sehr belebt. Nach sechs Jahren Absenz war wieder eine Churer Unihockey-Equipe international engagiert. Noch gingen die Namen der Spielerinnen und der Stadt den Organisatoren ungelenk über die Zunge. Von «Tschür» bis zu «Gohr» war alles zu hören. Es blieb einer der wenigen Mängel der umtriebigen Organisatoren. Leider spielte das Publikum im lettischen Hinterland aber nicht mit. Trotz vielen Plakaten in der Innenstadt und bei Bushaltestellen blieben die Zuschauer lieber zuhause.• Der FrustZurück zu den Piranhas. Kurz nach dem Finalspiel war die Enttäuschung riesengross. Nur Zentimeter entschieden über Sieg oder Niederlage. Was niemand wusste: Die Freischlagvariante, welche Trainer Mark van Rooden in seinem Timeout kurz vor Spielende erklärte, wurde vom schwedischen Finalgegner Iksu Umea übernommen. «Wir haben dies am Samstag vor dem Spiel erstmals angeschaut», klärte Torhüterin Sara Vitetti auf. Schützin Sabrina Arpagaus machte alles richtig – einzig, dass ihr Schuss ein klein wenig zu fest nach links driftete. «In der Verlängerung hätten wir sie gepackt», war sich Vitetti sicher, welche sich noch lange über den Gegentreffer zum 4:5 ärgerte.• Die FreudeSchon bald kehrte aber die Stimmung. Noch lange nach Spielschluss waren die Spielerinnen in den Tenüs unterwegs, die Atmosphäre ähnelte derjenigen der Meisterfeier im Frühling. Einzig, dass nun eine silberne Auszeichnung um die Hälse der Akteurinnen baumelte. «Ich bin trotz allem stolz auf meine Equipe», fand der ehrgeizige Trainer Mark van Rooden als einer der Ersten die gute Laune wieder. Auch wenn er bei seiner sechsten Europacup-Teilnahme zum fünften Mal den zweiten Platz belegte. «Die Entwicklung, welche die Mannschaft allein in dieser Woche durchgemacht hat, stimmt mich sehr optimistisch», bilanzierte der Churer Trainer. Vor allem das Finalspiel hatte es ihm angetan. «Am liebsten würde ich jede Woche gegen schwedische Teams spielen», träumte van Rooden.• Die EntdeckungEin Europacup-Routinier war auch Mirca Anderegg. Bei ihrer dritten Teilnahme blieb ihr vor allem der einmalige Teamgeist und der Auftritt der nominell dritten Churer Formation in Erinnerung. Géraldine Rossier, Michelle Russi und Katrin Zwinggi werden sonst meist als «Checker-Block» mit Defensivaufgaben betraut. «Im Halbfinal haben sie uns den Allerwertesten gerettet», lobte Allstar-Team-Flügel Anderegg ihre Kolleginnen. Die Ausgeglichenheit des Churer Teams war in der Tat bemerkenswert. Nur Sieger Iksu Umea, welcher die halbe schwedische U19-Nationalmannschaft der letzten WM stellt, hatte eine grössere Breite.• Die ErkenntnisMit Zusatzschichten, wie beispielsweise Trainings am Samstagnachmittag als Simulation für den Europacup, verlangte Trainer van Rooden viel von seinen Schützlingen. Die lupenreinen Amateure – selbst die beiden Finninnen Eija Pasanen und Karoliina Kujala gehen arbeiten – trainierten beinahe wie die Profis. Als die erschöpften Finninnen von Classic im letzten Drittel des Halbfinals buchstäblich überrannt wurden, war aber auch der letzten Akteurin klar, dass der grosse Aufwand sich gelohnt hatte. «Physisch waren wir Iksu im Finale ebenbürtig», sagte van Rooden stolz.• Der ChefDie Reise nach Valmiera, welches rund zwei Stunden von der lettischen Metropole Riga entfernt ist, lohnte sich aber nicht nur wegen der Spiele der Piranhas. Allein der Auftritt des finnischen Ausnahmekönners Mika Kohonen war die holprige Anreise wert. Der Spielführer des schwedischen Meisters Storvreta hat eine ähnliche Dominanz wie einst Michael Jordan in den 90er-Jahren bei den Chicago Bulls. Wie D-Junioren liess «der Chef» seine Gegenspieler aussehen, wenn er als letzter Mann nach vorne dribbelnd versuchte, ein Tor zu erzielen. Oder wie es der finnische Naticoach und Malanser Trainer Petteri Nykky so schön sagte: «Es gibt Spieler in der Schweiz, die machen in einem Spiel mehr Fehler als Kohonen in der ganzen Saison.»• Die ZukunftLetztmals wurde der Europacup mit je acht Teams durchgeführt. Ab nächstem Jahr wird es einen Champions Cup und einen Europacup geben. Bei zweiterem spielen die immer zahlreicheren sogenannt kleinen Nationen eine Art «Uefa-Cup» unter sich aus. Der Sieger qualifiziert sich dann für den Champions Cup. Dort trifft dieser auf die Meister der Top-4-Nationen Finnland, Schweden, Tschechien und der Schweiz sowie ein zusätzliches Team des Gastgebers. So sollen sich Szenen wie in Valmiera, als die Spiele vor leeren Plätzen ausgetragen wurden und Teams wie der schwedische (bei den Frauen) und tschechische (bei den Männern) Meister aus Finanzgründen und/oder Desinteresse dem Turnier fernblieben, nicht mehr wiederholen.

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