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«Legt euch auch mal zwischen die Kühe»

Sehen mit den Augen einer Kuh: Das ist das Geheimnis hinter dem Kuhsignal-Training, das der Plantahof neu in Kursen anbietet. Dem Vieh soll es zu einem besseren Leben verhelfen, den Bauern zu mehr Arbeitsfreude – und Gewinn.

Südostschweiz
03.11.12 - 01:00 Uhr

Von Jano Felice Pajarola

Cazis. – «Wenn eine Kuh Dreck hinter den Ohren hat, was sagt uns das?» Marcel Wipfli schaut fragend ins Rund der Bündner Arena in Cazis-Unterrealta. Die Mitglieder des kantonalen Braunviehzuchtverbandes Bruna Grischuna treffen sich an diesem Freitagmorgen zu ihrer Hauptversammlung, und Wipfli steht für eine Dreiviertelstunde nicht in der Funktion als Verbandsgeschäftsführer am Rednerpult, sondern als Lehrer am Plantahof und Trainer in einer besonderen Disziplin. Die Bauern schweigen, Wipfli gibt die Antwort selbst. «Der Dreck bedeutet: Die Kuh kann sich mit ihrem Hinterbein am Ohr kratzen. Und das heisst: Der Boden im Stall ist standfest.»

Eine einfache Beobachtung, wenn man sie zu deuten weiss. Wie das geht, kann man ab sofort am Plantahof lernen: in sogenannten Kuhsignal-Kursen. Sieben Trainer hat das landwirtschaftliche Bildungs- und Beratungszentrum in dieser relativ jungen Disziplin ausbilden lassen; Wipfli ist einer von ihnen. Und der Plantahof ist erst die zweite Schule in der Schweiz, die solche Lehrgänge für Bauern anbietet.

Sehen, erklären und reagieren

Wipfli erklärt den Bruna-Grischuna-Mitgliedern das Grundprinzip der Arbeit mit Kuhsignalen. «Ihr müsst euch fragen: Was erkenne ich? Warum ist das so? Und was bedeutet es für mein Betriebsmanagement?» 40 bis 50 Zeichen könne man an einer Kuh sehen und deuten, meint Wipfli; er zeigt ein Beispielfoto. Dass mit dem Tier etwas nicht stimmt, kann auch ein Laie erahnen. Aber wo genau sind die Signale? Wipfli klärt auf: Tief hängender Kopf. Kein Ohrspiel. Nicht normale Distanz zwischen Hinter- und Vorderbein. Unnatürliche Hängeform des Schwanzes. Gekrümmter Rücken. Markante Hungergrube, kaum gefüllter Pansen. Die Diagnose, später durch eine Untersuchung bestätigt: Das Tier leidet an einem Fremdkörper und liegt zudem in einer zu engen Box.

«Besseres Management beginnt mit genauerem Hinsehen», erklärt Wipfli. «Denkt in Kuhlängen und -breiten. Legt euch auch mal zwischen die Tiere.» So erkenne man Schwachstellen in der Einrichtung des Stalls. «Es gibt auch indirekte Kuhsignale, zum Beispiel glänzende Metallteile.» Letztere weisen darauf hin: Hier stösst das Tier an, das Objekt könnte ihm störend im Weg sein. «Letztlich», meint Wipfli, «geht es darum, Betriebsblindheit zu durchbrechen und Krankheiten beim Vieh vorzubeugen.»

Langes Ruhen gibt mehr Milch

Für Wipfli ist klar: «Die Kühe verdienen ein langes und besseres Leben.» Futter, Wasser, Licht, Luft, Ruhe und Raum – von all dem müsse genügend vorhanden sein. «Eine Kuh sollte zum Beispiel jeden Tag 14 Stunden liegen, auf Stroh, Sand oder Sägemehl.» Ist das möglich, beeinflusst das auch den Milchertrag positiv. Natürlich: Ob das Beachten von Kuhsignalen «betriebswirtschaftlich aufgeht und vom höheren Arbeitsaufwand her möglich ist, das muss jeder Bauer selbst entscheiden», räumt Wipfli ein. Doch er ist von den Vorteilen auch für die Landwirte überzeugt: «Es gibt mehr Arbeitsfreude – und mehr Gewinn. Und es bringt auch Respekt und Wertschätzung von den Konsumenten.»

Am Schluss gibt es viel Applaus für den Kuhsignal-Experten, und so manches Bruna-Grischuna-Mitglied denkt bereits an einen Kursbesuch am Plantahof. Wipfli geht unterdessen mit den Medien in die Stallungen der Arena, gibt noch Anschauungsunterricht am Tier. Eine Kuh lässt gerade einen Fladen fallen. Wipfli, unerschrocken, hält schnell den Schuh hin, fängt ein wenig Kot auf. «Seine Beschaffenheit», sagt er lachend, «ist auch ein Signal.» Und fängt schon an zu interpretieren.

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