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«Herr» über 194 Steinböcke

Seit 20 Jahren kümmert sich Otto Berri um das Steinwild am Calanda. Trotz Einsätzen mitten in der Nacht und langen Arbeitstagen spricht Berri von einem «Traumjob».

Südostschweiz
05.03.11 - 01:00 Uhr

Von Marc Melcher

Dass das Bündner Wappentier heute zahlreich im Kanton vertreten ist, darf nicht als selbstverständlich angesehen werden. Mitte des 19. Jahrhunderts war der Steinbock in den Alpen nur noch in einer einzigen Kolonie in Italien anzutreffen. Zuvor ist das Steinwild der Jagd und dem Aberglauben zum Opfer gefallen.

Am 14. Mai 1968 schliesslich wurden drei Tiere, darunter ein Männchen, bei Tamins ausgesetzt. Sie haben den Grundstein für die heute rund 200 Tiere zählende Steinwildkolonie am Calanda gelegt. Dafür, dass diese auch in Zukunft erhalten bleibt, sorgt Wildhüter Otto Berri. Der Untervazer lebt für die Tiere und die Natur. Für die Steinböcke schlägt sein Herz aber ganz besonders. Auch wenn er «nicht jeden Steinbock persönlich kennt», gewisse Tiere könne er an ihren speziellen Merkmalen schon erkennen, wenn er sie auf einem Rundgang antreffe.

Steinwild in der Talsohle

194 Steinböcke und -geissen wurden im letzten Jahr auf dem Calanda gezählt. Die Kolonie erstreckt sich über den gesamten Berg, von Mastrils bis Tamins, von Graubünden bis nach St. Gallen. «Wobei die Tiere die St. Galler Seite in der Regel eher als Sommerresidenz nutzen», weiss der Wildhüter. Bemerkenswert sei, dass sich zwischen Haldenstein und Chur auch immer wieder Tiere im untersten Teil des Berges befinden, ja sogar auf den Kiesbänken des Rheins zu beobachten sind. Berri erklärt diese Besonderheit so: «Steinböcke brauchen vor allem felsiges Gebiet, die Höhe spielt dabei gar keine so grosse Rolle.» Die Bedingungen für die Wildtiere seien am Calanda ideal.

Während der Brunftzeit im Winter, wenn die Männchen sich mit den weiblichen Rudeln zusammenschliessen, könne man grosse Rudel mit bis zu 100 Tieren beobachten. Danach zieht sich das Steinwild wieder in kleinere, nach Geschlecht unterteilte Gruppen zurück. Diese Gruppen bleiben dann für den Rest des Jahres «mehr oder weniger am gleichen Ort».

Traumberuf mit Schattenseiten

In Berris Büro sieht man nicht ein einziges Steinbockgehörn. Darauf angesprochen, meint er: «Ich sehe die Tiere lieber lebend in der Natur als an meiner Wand.»

Der Posten eines Wildhüters besteht aber nicht nur aus schönen Aufgaben. Daran, mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen zu werden und auf die Strasse zu müssen, hat sich der ehemalige Kantonspolizist längst gewöhnt. Nicht ganz einfach für Berri ist es aber, wenn er ein angefahrenes Wildtier erlegen muss. Der Einzige trost dabei, so der Untervazer, sei: «Dass ich das Tier so von seinen Leiden erlösen kann.» Wenn er im Sommer dafür auf den Calanda steigen könne, um «seine» Steinböcke zu beobachten, dann entschädige dies für all die bitteren Momente und langen Arbeitstage. Berri lehnt sich zurück und lächelt: «Wissen Sie, ich habe meinen Traumberuf gefunden.»

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