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Getragen von der Leidenschaft

2005 war Petra Kundert auf dem Unihockeygipfel angelangt. Meisterschaft, WM-Titel, Europacup – die Igiserin gewann alles, was es zu gewinnen gab. Doch der Erfolg hatte seinen Preis: Der Körper litt unter dem Mammutprogramm.

Südostschweiz
27.12.14 - 01:00 Uhr

Von Jonas Schneeberger

Unihockey. – Ein kühler Dezembertag in Winterthur: Petra Kundert schlendert durch die Strassen der Stadt, vorbei am Bahnhof, durch den Weihnachtsmarkt. Der Geruch von geschmolzenem Käse hängt in der Luft, vermischt sich beim Passieren eines Gebäckstandes mit dem von frischen Berlinern. Kundert atmet tief ein und freut sich schon auf den Glühwein auf dem Rückweg. Später. Über ein paar verwinkelte Gassen und Schleichwege steuert sie zuerst ihr Lieblingscafé an: «Il Piccolo Mondo» – ein kleines, gemütliches Café mit vier Tischen und viel italienischem Charme, wo es sich wunderbar verweilen und paudern lässt. Ein Geheimtipp.

Kundert, die gebürtige Igiserin, kennt sich aus in der Stadt. Seit sie vor zwölf Jahren dem Lockruf der Red Ants folgte, dem Unihockey-Rekordmeister bei den Frauen, ist sie hier heimisch geworden. «Winterthur ist mein neues Zuhause», sagt sie. Sie ist auch geblieben, als sie vor gut fünf Jahren ihre Unihockey-Laufbahn beendet hat. Und sie kam zurück, nachdem sie 2011 für ein Jahr ins Toggenburg gezogen war. «Hier gefällt es mir», sagt die heute 34-Jährige, «und hier sind meine Freunde.»

Ein Leben auf der Überholspur

Kundert zieht sich die Jacke aus, nimmt Platz und bestellt sich etwas zu Trinken und ein Toast-Sandwich. Zeit für Musse. Etwas, das Kundert besonders geniesst, seit sie sich vom Spitzen-Unihockey verabschiedet hat. Kein Wunder: Jahrelang lebte sie ein Leben auf der Überholspur, ganz nach dem Motto «Wer rastet, der rostet». Mit den Red Ants tanzte sie meist auf drei Hochzeiten (Meisterschaft, Cup, Europacup), mit dem Nationalteam reiste sie durch Europa – und nach Singapur.

Singapur. 2005. Zwei Stichworte, die bei Kundert sofort Emotionen hervorrufen. 2005 ist das Jahr, in dem die Bündnerin mit Winterthur und mit dem Nationalteam alles gewinnt, was es zu gewinnen gibt: Im Januar triumphieren die Red Ants als erster Schweizer Klub am Europacup, der «Unihockey-Champions-League». Später gewinnen sie den Schweizer Cup und die Meisterschaft. An der WM in Singapur folgt die Krönung mit dem ersten und bis heute einzigen Schweizer WM-Titel.

Bei all den Erfolgen ist Kundert weit mehr als bloss dabei: «Sie ist die herausragende Akteurin», schreibt der «Tages-Anzeiger» über die pfeilschnelle, technisch versierte und mit einem vorzüglichen Spielverständnis ausgestattete Stürmerin. Im Halbfinal des Europacups glänzt «Petzi» als dreifache Torschützin gegen Titelverteidiger Classic Tampere, im Final erzielt sie den entscheidenden Treffer zum 3:2 über die Finninnen von Tikkurilan Tiikerit. Im Anschluss wird sie zur wertvollsten Spielerin des Turniers ausgezeichnet. Im Cupfinal brilliert sie beim 10:3 über Burgdorf mit fünf Skorerpunkten, in der Meisterschaft führt sie die Red Ants als teaminterne Topskorerin zum Titel. Und dann, in Singapur, erzielt sie im Final gegen Finnland unterwegs zum 4:3-Sieg zwei Treffer, darunter jenen zum vorentscheidenden 4:2. Auch hier wird sie zum MVP gekürt.

Petra Kundert war auf dem Unihockeygipfel angelangt. Allerdings nicht ohne negative Begleiterscheinungen: Bereits 2005, nach dem Mammutprogramm mit den Red Ants und dem Nationalteam, fühlte sie sich erschöpft. Wahrscheinlich litt sie am Pfeifferschen Drüsenfieber, vermutet sie, als ein Arzt Jahre später ein Zweitstadium der Krankheit diagnostiziert und sie sich an einen heftigen Fieberschub in den Tagen nach der WM erinnert.

Kundert biss sich durch, trainierte so intensiv wie eh und je und arbeitete nebenher in einem 100-Prozent-Pensum als KV-Angestellte. «Sport war für mich wie eine Droge, ich war süchtig nach den nach einem gewonnen Titel ausgeschütteten Glückshormonen», sagt Kundert rückblickend. Die Signale des Körpers ignorierte sie: «Meine Leidenschaft für den Unihockeysport hat mich da durchgetragen. Ich wollte innerhalb des Teams auf keinen Fall ein ‘Sonderzüglein’ fahren.»

Kurzer Abstecher nach Schweden

Nach dem Bombenjahr 2005 klopften zahlreiche schwedische Topklubs bei Kundert an. 2006 wechselte sie, wie es sich für eine Unihockeyspielerin von Format gehört, zu Umea ins Mutterland des Unihockeys. Rasch lernte sie die Sprache und fand sich im fremden Land zurecht. Doch glücklich wurde sie nicht. Nach fünf Monaten brach sie ihre Zelte ab und kehrte zu den Red Ants zurück. Mit wertvollen Erfahrungen im Gepäck, aber auch der Frage: «Ging ich, weil ich es wollte, oder ging ich wegen dem Druck von aussen?»

2009 tritt Kundert mit 29 Jahren vom Spitzensport zurück. Die letzte Saison übersteht sie kräftemässig mehr schlecht als recht. Turbulente Zeiten bei der Arbeit mit notwendig gewordenen Zusatzschichten raubten ihr zusätzlich Energie. «Ich merkte immer mehr, wie erschöpft und müde mein Körper war. Ich war ausgebrannt», sagt Kundert. Mehr und mehr gelangte sie zur Einsicht, dass «alles zusammen vielleicht zu viel ist». Es war auch die Zeit, in welcher der Arzt das Drüsenfieber diagnostizierte.

Ein Ordner voll mit Erinnerungen

Inzwischen ist Kundert im «Piccolo Mondo» beim Kaffee angelangt. Sie kramt einen Ordner voller wunderbarer Erinnerungen hervor, einen Ordner gefüllt mit Zeitungsberichten und Fotos. «Den hat mein Mami gemacht, ohne dass ich es je mitgekommen hätte», erklärt sie.

Kurz nach ihrem Rücktritt sei es ihr schwergefallen, im Ordner zu stöbern. Jetzt, mit der nötigen Distanz, erinnert sie sich mit positiven Gefühlen zurück: «Ich bin stolz auf das, was ich geleistet und erreicht habe. All die Erinnerungen sind unbezahlbar. Ich frage mich aber heute, wie ich das alles unter einen Hut gebracht habe.»

Auszeit im Toggenburg

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich Kundert von den Strapazen erholt hatte, die sie ihrem Körper über die Zeit zugefügt hatte – gut zwei Jahre, wie sie selbst sagt. Zwischenzeitlich nahm sie eine einjährige Auszeit, entfloh in die Abgeschiedenheit des Toggenburgs, wo sie auf einem Hof Schlittenhunde betreute, Ausflüge organisierte und die meiste Zeit von frühmorgens bis spätabends in der Natur verbrachte. «Das hat mir gutgetan», erzählt sie.

Wieder zurück in Winterthur startete sie einen beruflichen Neuanfang, wandte sich vom Bürowesen ab und begann, sich bei der Brühlgutstiftung für körperlich und geistig beeinträchtige Menschen einzusetzen. Daneben absolviert sie seit letztem Jahr eine Ausbildung zur Arbeitsagogin.

«Jetzt stimmt es für mich», sagt Kundert. Einmal pro Woche spielt sie mit dem Plauschteam der Red Ants noch Unihockey. Ansonsten nimmt sie sich die Freiheit, Raum für Spontanes zu haben. «Das ist das, worauf ich mich beim Rücktritt am meisten gefreut habe – die Spontanität zu leben und auch mal einfach nichts zu tun.»

Es bekommt ihr gut: «Ich will die Zeit von damals nicht missen – die Erlebnisse, das Reisen, die Emotionen, die Anerkennung», sagt Kundert. «Aber heute bin ich viel, viel entspannter und gelassener als früher.» Sie nimmt einen letzten Schluck Kaffee und macht sich auf den Weg zurück zum Weihnachtsmarkt. Zeit für den Glühwein.

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