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Erfindung und Schutz der Bündner «Heimat»

Seit gut einem Jahrhundert gibt es ihn in Graubünden, er hat den Heimatstil-Architekten zu Macht verholfen und zur Restaurierung eines ganzen Dorfes geführt: der Heimatschutz. Seine Geschichte bis 1945 durchleuchtet eine neue Publikation.

Südostschweiz
06.05.12 - 02:00 Uhr

Von Jano Felice Pajarola

Chur. – Die Gegenüberstellungen in der Zeitschrift «Heimatschutz», immer mit Fotobeweis, fielen deutlich aus. Hier das gute, dort das schlechte Beispiel: die «heimischen Baumotive» gegen den «langweiligen und charakterlosen Kastenbau», das «harmonische» gegen das «in seiner ruhigen Schönheit» durch Neubauten «verunzierte» Bergdorf, die «kühne, der Gegend trefflich angepasste» Steinbrücke gegen die «hässliche Eisenkonstruktion» in einer Gegend, in der «Material genügend vorhanden wäre zu einem Steinbau».

Oder dann ein Schulhaus, Hauptcharakteristikum: «Öde Langweile und Heimatlosigkeit!» Gemeint war jenes von Zignau, und genau dort, unweit von Trun, ist jener Autor aufgewachsen, der all diese Beispiele aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts für seine Lizentiatsarbeit an der Universität Zürich aus den Archiven geholt hat: Simon Bundi.

Das Phänomen, welches der junge Historiker zum Thema gemacht hat, entbehrt nicht einer gewissen Aktualität: die Erfindung des Heimatschutzes im Kanton Graubünden ab dem Jahr 1905. Gemeint ist damit nicht der Heimatschutz als Institution im engeren Sinn, sondern die ganze Bewegung inklusive rätoromanische Renaissance, die die Kultur der Altvorderen bewahren und die Natur aktiv schützen wollte.

Schlicht, bescheiden, harmonisch

Inzwischen ist die Lizentiatsarbeit als neuer Band in der Staatsarchiv-Reihe «Quellen und Forschungen zur Bündner Geschichte» erschienen, und als erste Publikation überhaupt versucht sie, die Geschichte des Heimatschutz-Diskurses im Kanton bis 1945 umfassend darzustellen, bis zu jenem Jahr, in dem ein Vorzeigeprojekt der Bewegung endete: die Restaurierung eines ganzen Dorfs, des Schellenursli-Orts Guarda.

Zu den Aspekten, die Bundi dabei darstellt, zählt beispielsweise die Frage von Volkserziehung und Macht. Es zeigt sich schon an den eingangs aufgezählten Gegenüberstellungen: Die Protagonisten des Heimatschutzes sahen sich in der Rolle der Lehrmeister. Das Volk sollte das Gute und Schöne erkennen, das Zweck- und Verhältnismässige, denn das war die oberste Maxime. Schlicht, selbstgenügsam, bescheiden wie die Vorväter, so sollte gebaut werden, und harmonisch in die Landschaft eingefügt.

«Handfeste Machtwirkungen»

Jene Architekten, die diese Tendenzen am stärksten verkörperten, sieht Bundi als eigentliche Profiteure einer Bewegung, die nicht nur über grosse Präsenz in den Medien verfügte, sondern auch – dank engen Beziehungen zur Rhätischen Bahn – über die Möglichkeit, direkt auf Baurealisierungen einzuwirken. Nicolaus Hartmann, Otto Schäfer und Martin Risch, die einflussreichsten Architekten des Bündner Heimatstils, waren nicht von Ungefähr auch die meistbeschäftigten ihrer Zeit in Graubünden. Der Heimatschutz, erklärt Bundi, habe ihr Sozialprestige vergrössert und so «ganz handfeste Machtwirkungen» entfaltet.

Keine geistige Landesverteidigung

Von besonderem Interesse ist auch Bundis Kapitel über die Erneuerung von Guarda – eine wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Aktion fehlte bislang. Sicher 30 Gebäude im Dorf wurden von 1939 bis 1945 vom Engadiner Heimatschutz restauriert, mit finanzieller Hilfe des Bundes, aber ohne sich von dessen geistiger Landesverteidigung vereinnahmen zu lassen, nein, der Beginn einer «ästhetischen Landesplanung» sollte die Pioniertat sein. Und dass das Projekt Guarda gerade in den entbehrungsreichen Jahren des Zweiten Weltkriegs realisiert werden konnte, beweist für Bundi erst recht die Wirkungsmacht des Bündner Heimatschutzes.

Simon Bundi: «Graubünden und der Heimatschutz», Band 26 der Reihe «Quellen und Forschungen zur Bündner Geschichte», 206 Seiten, 38 Franken. &discReturn; Buchpräsentation mit Vortrag in der Kantonsbibliothek Graubünden, Chur: Dienstag, 8. Mai, 18.00 Uhr.

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