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Ein Häftling kostet die Schweiz 390 Franken pro Tag

Die Schweizer Gefängnisse beherbergen 6200 Insassen. Ein Bericht des Bundesrates zeigt erstmals, dass der Strafvollzug jährlich mehr Kosten verursacht – obwohl die Zahl der Inhaftierten stagniert.

Südostschweiz
04.07.13 - 02:00 Uhr

Von Anna Wanner

Bern. – Hartnäckigkeit lohnt sich manchmal. So liess sich die Zürcher SVP-Nationalrätin Natalie Rickli nicht abspeisen, als ihr der Bundesrat erklärte, dass er die Kosten des Strafvollzugs nicht erheben will, weil dieser im Kompetenzbereich der Kantone liege. Rickli wollte wissen, wo die halbe Milliarde hingeht, die der Bund jährlich in den Strafvollzug investiert. Auf das zweite Ersuchen hin lenkte der Bundesrat ein und gab zu, dass es durchaus einem allgemeinen Interesse entspreche, «eine vertiefte Kenntnis über die Kosten zu erhalten, die der Straf- und Massnahmenvollzug landesweit verursacht».

Der Bericht, den der Bundesrat gestern vorlegte, lässt aufhorchen: Die Strafvollzugskosten stiegen innert fünf Jahren um 24 Prozent. 2005 bezahlten Bund, Kantone und Gemeinden 802 Millionen Franken, 2010 waren es 933 Millionen. Seit 1990 (rund 400 Millionen) haben sich die Ausgaben mehr als verdoppelt.

Gefängnisse voller Männer

Zwar mahnt Walter Troxler, Chef des Fachbereichs Straf- und Massnahmenvollzug beim Bundesamt für Justiz, die Zahlen würden eine gewisse «Unschärfe» aufweisen, weil nicht alle Kantone die Strafvollzugskosten auf dieselbe Weise erheben und auch nicht zu allen geforderten Fragen Zahlen liefern können. Trotzdem ist der Bericht gespickt mit interessanten Angaben: Von den 6978 Gefängnisplätzen sind 94,6 Prozent ausgelastet – Stand September letzten Jahres lebten 6599 Gefangene in der Schweiz, davon nicht einmal fünf Prozent Frauen. Rund die Hälfte der Inhaftierten war gar nicht verurteilt: 2051 Personen sassen in Untersuchungshaft, 669 im vorzeitigen Strafantritt, 427 warteten auf ihre Ausschaffung oder Auslieferung.

Insassen mit psychischen Defiziten

Anders als dies Natalie Rickli in ihrem Postulat vermutet, gehen die steigenden Kosten im Strafvollzug nicht mit der erhöhten Kriminalität einher. So sagt Troxler, er könne den Zusammenhang zwischen der Kriminalitätsrate und den Strafvollzugskosten nicht bestätigen. «Die Anzahl der Insassen ist im Verhältnis zu den Kosten nur marginal gestiegen.»

Wie lässt sich die markante Kostensteigerung dann erklären? Troxler nennt einen Hauptgrund: Die Kosten der stationären Massnahmen steigen, weil die Anzahl der Insassen mit stationären Massnahmen zunimmt. Das könne einerseits auf die Regeländerung bei Verwahrung von Gefangenen zurückgeführt werden: Alle, die nach altem Recht verwahrt wurden, sind nach der Gesetzesänderung 2008 neu überprüft worden. Über 110 Insassen wechselten von der Verwahrung in stationäre Massnahmen. Man versucht, die ehemals verwahrten Gefangenen zu therapieren.

Andererseits beobachtet Troxler ein Phänomen, das nicht alleine die Schweiz betrifft: Der Anteil an Insassen mit psychischen Defiziten steigt. Auch bei ihnen müssen mehr stationäre Massnahmen ausgesprochen und die Betreuung entsprechend ausgebaut werden. Und das kostet.

Preis für einzelnen Haftplatz steigt

Weil gerade die Ausgaben für stationäre Massnahmen nur schwer zu erfassen sind, da die Therapien oftmals in Kliniken anstatt in den Gefängnissen stattfinden, sind die folgenden «Durchschnittswerte» gemäss Troxler mit Vorsicht zu geniessen: 2010 kostete ein Insasse in Untersuchungshaft täglich 234 Franken, ein Insasse im Vollzug kostete 390 Franken. In fünf Jahren sind die Kosten um 34, beziehungsweise 58 Franken gestiegen.

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