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«Die Tuchfabrik Truns war alles für mich»

Vor 100 Jahren öffnete in Trun die Tuchfabrik ihre Tore. Zum Jubiläum zeigt das Museum Sursilvan in der Cuort Ligia Grischa in Trun eine Ausstellung von «GR Focus» mit Fotografien, Filmen und Zeitzeugen.

Südostschweiz
04.06.12 - 02:00 Uhr

Von Juscha Casaulta

Die Eröffnung der Ausstellung «100 Jahre Tuchfabrik Truns» im Museum Sursilvan in Trun zog am Samstagnachmittag viel Publikum an. Es schien, als hätte jeder der Besucher irgend einen Bezug zur Fabrica da ponn, die 1912 ihre Tore öffnete und 2001 endgültig schloss. Erinnerungen wurden ausgetauscht, unterstützt durch die Ausstellung. Erinnerungen sind denn auch Teil der Ausstellung. Das Projekt «GR Focus» hat unter der Leitung von Severin Rüegg und Pascal Werner Bilder aus dem Archiv geholt und die Bevölkerung aufgerufen, Dokumente zur Tuchfabrik zur Verfügung zu stellen. Laut den Projektleitern hat sich damit die Zahl der Fotografien verdoppelt.

Industrie-Erbe der Region

Mit Hilfe von Zeitzeugen, Bildern und Filmen wird das Industrie-Erbe der Region nun in der Ausstellung erlebbar gemacht. Zahlreiche Fotos sind auf Tuchbahnen gedruckt zu sehen. Sie geben spannende Einblicke in die Geschichte der Tuchfabrik, die alle Produktionsschritte vom Schaf bis zum Massanzug bot. Wie Fotohistorikerin Verena Huber Nievergelt erklärt, sollten Fotografien aus den Archiven von Industriebetrieben stets ein positives Image der Firma vermitteln. In diesen Aufnahmen sei kaum etwas von der Hitze und vom Lärm zu spüren, die in den Fabrikhallen geherrscht haben. «Bilder, welche eine andere Seite der Industriegeschichte zeigen, lassen sich wohl eher aus Berichten und Erzählungen von Arbeiterinnen und Arbeitern rekonstruieren oder finden sich in privaten Alben, wo eine persönliche Perspektive möglich war.»

Beide Seiten kommen in der Ausstellung zum Zug. Interviews mit Zeitzeugen, geführt von Esther Berther, vermitteln einen eindrücklichen Einblick in den Fabrikalltag. Das BT hat mit zwei dieser Zeitzeugen an der Vernissage gesprochen. Der heute 84-jährige Bernhard Lombriser war «über die Pension hinaus» 53 Jahre für die Tuchfabrik tätig. Der rüstige Rentner, der heute in Rapperswil wohnt, öffnete das Jackett seines Massanzuges und zeigte stolz das «Truns»-Markenzeichen. In Darvella aufgewachsen, absolvierte er die Schneiderlehre in der Tuchfabrik. Später war Lombriser als Handelsreisender unterwegs. «Ich habe für rund 37 Millionen Franken Kleider verkauft», sagte er. «Die Firma Truns war für mich alles.» Sie sei auch zu ihm stets korrekt gewesen. Sicher sei es für ihn ein Vorteil gewesen, immer auf Reisen zu sein. So war er auf sich selber gestellt. «Und je mehr ich verkaufte, umso mehr stieg mein Lohn.» Das Wichtigste war, das Mass genau zu nehmen, denn sonst gabs Lohnabzüge. Lombriser hat alle zwölf Fabrikdirektoren erlebt. Ja, wenn er hier die Ausstellung anschaue, spüre er schon ein bisschen Heimweh.

Sichere Existenzgrundlage

Die Fabrik bot Frauen wie Männern eine sichere Existenzgrundlage, ohne dass sie ihr Dorf verlassen mussten. Laut Historikerin Jolanda Nydegger entstanden in Zeiten der Personalknappheit gar Beschäftigungsformen, die heute modern anmuten. Frauen konnten während den Schulstunden ihrer Kinder arbeiten und für ein paar Jahre gab es sogar einen Kinderhort. An der Gründung dieser Scoletta war Anna Gautschi-Hosang aus Trun beteiligt. Sie arbeitete 25 Jahre bis 1996 im Sekretariat der Fabrik und war fürs Sozialwesen zuständig. Die 77-Jährige erinnert sich mit gemischten Gefühlen zurück. Als negativ empfand sie zum Beispiel die vielen Wechsel der Direktoren. «Doch im Grossen und Ganzen wars für mich persönlich positiv.»

Wie in der Ausstellung zu lesen ist, waren Fidel Tuor und Fritz Staudemann die Gründer der Tuchfabrik. Zunächst mussten sie einen herben Rückschlag hinnehmen, denn kurz nach der Eröffnung brannte ein Teil des Gebäudes nieder. Doch die Gründer gaben nicht auf. Die neu eröffnete Bahnstrecke Ilanz–Disentis bot grosse Chancen. Die Herstellung von Uniformen im Zweiten Weltkrieg liess das Geschäft florieren und die Nachfrage blieb auch in Friedenszeiten ungebrochen. Der Fabrikneubau 1960/61 bildete das Ende der Wachstumsphase, denn die Billigprodukte aus dem Osten stellten später die gesamte Industrie vor grosse Herausforderungen. Managementfehler führten in dieser schwierigen Situation letztlich zur Schliessung der Tuchfabrik Truns.

Die Ausstellung dauert bis 14. Juli 2012. Öffnungszeiten: montags, mittwochs und samstags sowie jeden zweiten und vierten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr.

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