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Die «Swiss Connection» des Kosovo soll angeklagt werden

Fünfzehn Jahre nach Kriegsende soll die politische Führung im Kosovo vor einem Sondergericht wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden. Mehrere Mitglieder der heutigen Machtelite begannen ihre oft bizarre Karriere in der Schweiz.

Südostschweiz
04.08.14 - 02:00 Uhr

Von Rudolf Gruber

Priština. – Losgetreten hatte den strafgerichtlichen Prozess der ehemalige Schweizer Europaratsabgeordnete Dick Marty Ende 2010 mit einer Studie. Darin beschuldigt er den Kosovo-Premier Hashim Thaci und mehrere seiner Gefolgsleute schwerer Verbrechen im Kosovo-Krieg 1998/99 gegen den Polizeistaat Serbien sowie der tiefen Verstrickung in der organisierten Kriminalität. Funktionäre und Kommandanten der ehemaligen Rebellenbewegung UCK, deren Oberkommandierender Thaci war, hätten politische Gefangene – überwiegend serbische Zivilisten, Roma sowie politische Gegner aus den eigenen Reihen – entführt, in Lagern gefoltert, sexuell missbraucht und getötet. Marty bezichtigte die UCK-Führung auch der Mitwisserschaft des Handels mit Organen, die Häftlingen gegen deren Willen entnommen wurden und an reiche Interessenten verkauft worden waren.

Eine Ermittlungsgruppe der EU-Überwachungsmission Eulex hat diese Vorwürfe in den letzten zweieinhalb Jahren untersucht und weitgehend bestätigt. Lediglich für den behaupteten Organhandel habe man noch keine Beweise gefunden, sagte kürzlich deren Vorsitzender Clint Williamson. Aber er kündigte die Einrichtung eines Sondertribunals an, dem die Regierung in Kosovo eher widerwillig zugestimmt hatte. Thaci, potenziell der Hauptangeklagte und seit 2008 Premier, bestreitet sämtliche Anschuldigungen als «haltlos», der UCK-Veteranenverband nennt sie «unlogisch, lächerlich und tendenziös».

Kopf der «Swiss Connection»

Thaci und seine Gefolgsleute hatten jahrelang den Unabhängigkeitskampf in der Schweiz vorbereitet, er war einer der Köpfe der «Swiss Connection». Der heute 46-Jährige studierte in Zürich Geschichte und Politik, nebenbei organisierte er Studentenproteste, baute mit anderen Landsleuten die UCK auf, organisierte die Finanzierung und den Schmuggel von Waffen in den Kosovo. Nach vier Jahren kehrte er 1998 als einer der UCK-Anführer in die Heimat zurück, eineinhalb Jahre später liess er sich als grosser Befreiungsheld feiern. Thaci war der Liebling der damaligen US-Aussenministerin Madeleine Albright. Bei der Friedenskonferenz im Februar 1999 in Rambouillet bei Paris ging sein politischer Stern auf: Nicht mehr der Untergrund-Präsident Ibrahim Rugova – die Galionsfigur des gewaltlosen, aber letztlich erfolglosen Aufstands gegen Belgrad – sondern der smarte, damals kaum 30 Jahre alte UCK-Anführer Thaci war fortan der Ansprechpartner des Westens.

Die USA wollten den UCK-Rebellen mit der Nato-Intervention zum Sieg verhelfen, um den damals starken Mann Serbiens und Kriegstreiber auf dem Balkan, Slobodan Milosevic, zu schwächen. Über die kriminellen Machenschaften der UCK sah der Westen bis heute hinweg. Die mehr oder minder stabile Lage auf dem Balkan, die nunmehr seit 15 Jahren anhält, war stets wichtiger als die berechtigten Forderungen der Opfer nach Gerechtigkeit. Das könnte sich nun mit der Einrichtung des Sondertribunals ändern.

Drogen, Waffen, Prostitution

Ein weiterer potenzieller Kandidat für die Anklage ist einer der engsten Gefolgsleute Thacis: Xhavit Haliti, 57, der bereits 1987 in die Schweiz kam und dort 13 Jahre lebte. Der ehemalige Finanzverwalter der UCK kontrolliert heute laut dem Marty-Report und Nato-Geheimdienstakten in Thacis Auftrag die kosovarische Unterwelt, die eng mit der Politik verknüpft ist. In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» von Ende Januar 2011 schüttelte Haliti die Anschuldigungen – Handel mit Drogen und Waffen, Geldwäsche, Prostitution – gelassen ab: «Es soll mir jemand einmal einen konkreten Beweis vorlegen.»

Zu einiger Berühmtheit in der Schweiz brachte es Ramush Haradinaj, 46, dessen Onkel ein Bauunternehmen in Luzern leitete. Neffe Ramush schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, wegen seiner kräftigen Statur spielte er gern Sicherheitssheriff bei Sportveranstaltungen oder Rausschmeisser in Discos. In der Schweiz schloss sich Haradinaj der «Volksbewegung Kosovo» (LPK) an, die von Diaspora-Albanern ebenfalls Spenden für Waffen eintrieb. Haradinaj, ein politischer Gegner Thacis, brachte es 2005 für wenige Monate zum Premier, ehe ihn Carla Del Ponte, die damalige Chefanklägerin des Uno-Tribunals in Den Haag, wegen Kriegsverbrechen verhaften liess. Er wurde zweimal freigesprochen, zuletzt Ende 2012. Doch im Umfeld Haradinajs, seit Jahren der unumstrittene Mafiaboss im Westkosovo, kamen über ein Dutzend potenzieller Zeugen der Anklage aus mysteriösen Gründen ums Leben. Die Tessinerin Del Ponte schildert in ihrem 2009 erschienenen Buch «Im Namen der Anklage» ausführlich die Tatenlosigkeit der Uno-Behörden im Kosovo gegen Einschüchterung von Zeugen und die geradezu freundschaftlichen Beziehungen Haradinajs zu westlichen Spitzendiplomaten vor Ort.

Nun in der Regierungsverantwortung

Ausser Thaci, Haliti und Haradinaj hielt sich ein weiteres halbes Dutzend ehemals führender UCK-Mitglieder in der Schweiz auf, wie aus einer Interpellation an den Nationalrat vom 18. März 2011 hervorgeht. Bardhyl Mahmuti, Azem Syla, Adem Grabovci, Jasha Saliu und Kadri Veseli nehmen heute im Kosovo allesamt Spitzenposten in Regierung und Verwaltung ein. Ali Ahmeti, 55, einst Studentenführer und heute Chef der stärksten Albanerpartei in Mazedonien, lebte 15 Jahre in der Schweiz, begründete dort die kosovarische UCK mit und baute nach seiner Rückkehr 2001 die gleichnamige Bewegung in Mazedonien auf.

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