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«Die Schweiz schaut immer noch auf den Kanton Glarus»

Die Gemeindestrukturreform hat Strahlkraft in der ganzen Schweiz. Auch wenn Parlament und 15er-Gemeinderat aus Expertensicht noch nicht das Optimum sind. Behörden und Personal würden stark belastet.

Südostschweiz
01.01.12 - 01:00 Uhr

Von Fridolin Rast

Chur/Glarus. – «Ich höre immer wieder, dass die Glarner Gemeindestrukturreform als Pionierprojekt wahrgenommen wird.» So kommentiert Ursin Fetz, Professor und Leiter des Zentrums für Verwaltungsmanagement an der Hochschule HTW Chur die Fusionen, die vor einem Jahr zu den neuen drei Gemeinden geführt haben. In der ganzen Schweiz sei man sehr gespannt auf die Ergebnisse.

«Das Personal ist sehr belastet»

Und Fetz schränkt auch gleich ein: Ein Rückblick schon nach einem Jahr sei sehr schwierig, er werde den operativ tätigen Leuten in den Gemeinden nicht immer gerecht. Denn: «Die Effekte sind erst mittelfristig realisierbar. Um sie zu erreichen, braucht es meist fünf oder mehr Jahre.» Umso mehr, als das Personal, die Behörden wie die Angestellten in der ersten Zeit stark belastet seien. Beide müssten neue Aufgaben lösen, oft in der ersten Zeit auch ein paar heisse Kartoffeln aus dem Feuer holen, die während der Vorbereitung nicht angegangen wurden.

Dies zeigt sich laut Fetz auch in einer Untersuchung der HTW Chur, bei welcher alle Gemeinden der Schweiz befragt wurden, welche zwischen 2000 und 2008 fusioniert haben.

Teilnahme sinkt – Urne könnte eine Alternative sein

Auch im Glarnerland bestätige sich die relativ laue Teilnahme an den Gemeindeversammlungen: Je grösser die Gemeinden, desto tiefer sei die Stimmbeteiligung. Unterbrechen lasse sich diese Entwicklung nur mit dem Wechsel zur Urnengemeinde.

Auch die allgemeine Tendenz, dass Behördenmitglieder schwerer zu rekrutieren sind, werde Glarus erhalten bleiben, so Fetz: «Aber bei den ersten Wahlen für die neuen Gemeinden im Jahr 2010 war das Verhältnis zwischen Kandidierenden und Sitzen recht erfreulich.» Weder das grosse Parlament in Glarus Nord, noch den grossen Gemeinderat hält Fetz aber für die optimale Organisationsform. «Doch ich verstehe gut, dass man für eine ausgewogene Vertretung der kleinen Dörfer sorgen wollte.»

Die Lösungen seien wohl in einer Übergangsphase wichtig und könnten dann, vielleicht nach einer oder zwei Legislaturen, überprüft werden. Glarus Süd habe ja mit seinem Modell von fünf Departementen die Struktur «bereits etwas bereinigt», die Tendenz gehe zum schweizerischen Mittel von fünf Exekutivmitgliedern.

Zu den Finanzen jetzt schon etwas zu sagen, sei noch schwieriger, sagt Fetz.

«Immer wieder wird in den Fusionsberichten Einsparpotenzial geortet. Aber ob es realisiert wird, ist eine Frage des politischen Willens.» Und neben den Kosten stehe die Qualität im Zentrum: Oft würden bessere Dienstleistungen geboten als in kleinen, aber noch autonomen Gebieten.

Bei den Investitionen komme dazu, dass eine angezeigte Verschiebung in der fusionierten Gemeinde oft nicht gemacht werde, um den Fusionsgegnern keinen Anlass zur Kritik zu liefern, «obwohl kein objektiver Zusammenhang besteht».

«Das Thema Fusion verliert nach dem Start rasch an Bedeutung.» Diese These haben Fetz und sein Team in der Befragung aufgestellt: «Und alle Gemeinden mit über 5000 Einwohnern stimmen zu.»

Selbst in den kleinen Glarner Gemeinden mit bis 1000 Einwohnern war die Hälfte der Befragten einverstanden. Das Thema Identität bleibe in der Regel nur bei einem kleinen Teil der – meist älteren – Bevölkerung aktuell.

Das Fazit von Fetz: Die Ziele von Fusionen in der Schweiz betreffend Kosten und Nutzen könnten mindestens zum Teil, die Professionalisierung von Verwaltungen sicher realisiert werden. Nur teilweise oder nicht erfüllt hätten sich die Ziele, leichter Behörden zu rekrutieren. Hingegen: «Für den Kanton Glarus gilt sicher, dass die drei Gemeinden dem Kanton gegenüber gewichtiger auftreten können.»

Glarus. – Die neuen Gemeinden haben ihr erstes Jahr hinter sich. Die «Südostschweiz» wagt eine erste Bilanz und startet heute in der Sonntagsausgabe eine kleine Serie. Sie hat sich dafür mit verschiedenen Akteuren unterhalten, für den heutigen Blick von aussen mit Ursin Fetz, Professor und Leiter des Zentrums für Verwaltungsmanagement an der Hochschule HTW in Chur. Es folgen Projektleiter, Personal, Präsidenten, Kunden und Kundinnen sowie ein Staatsrechtler. (so)

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