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«Die Qualität der Spermien hat massiv abgenommen»

Seit fünf Monaten bietet das Kantonsspital Graubünden am Standort Fontana ein Kinderwunschzentrum an. Die Abteilung für künstliche Befruchtung stiess bisher auf grosses Interesse.

Südostschweiz
25.04.13 - 02:00 Uhr

Von Denise Erni

«Die Nachfrage ist riesig», sagt Naomi Ventura, die Leiterin des Kinderwunschzentrums im Fontana. Das Angebot, dass nun in Chur künstliche Befruchtungen sogenannte In-Vitro-Fertilisationen (IVF) durchgeführt werden, sei extrem gut angekommen. Seit November 2012 betreibt das Kantonsspital Graubünden (KSGR) am Standort Fontana ein Kinderwunschzentrum. Seither haben schon mehrere Paare, deren Kinderwunsch unerfüllt blieb, den Weg ins Zentrum gefunden.

Woran liegt die Unfruchtbarkeit? Neben anatomischen Gegebenheiten wie undurchlässige Eileiter, schwere Endometriose oder auch schwere Erkrankungen beim Mann, sind vor allem das Alter der Frau und die Qualität der Spermien Gründe für die Unfruchtbarkeit», weiss die Ärztin. «Die Spermien-qualität hat in den letzten Jahren massiv abgenommen.» Dies zeigte eine Schweizer Studie, die an Rekruten durchgeführt worden war. Woran es aber liegt, ob an Umwelteinflüssen, Handystrahlen oder dem Östrogen im Grundwasser, konnte nicht nachgewiesen werden. Sicher sei aber, so Ventura, dass Rauchen der männlichen Fruchtbarkeit sehr schade. «Aber auch den Frauen. Raucht eine Frau, altern ihre Eierstöcke um zehn Jahre. Eine 30-Jährige hat dann die Eizellreserve der Eierstöcke einer 40-Jährigen. Diese produzieren naturgemäss nicht mehr sehr viele Eizellen.»

Mit 35 bereits im «hohen» Alter

Früher war eine Frau bei ihrer ersten Schwangerschaft unter 30 Jahre alt, heute ist die Mehrheit über 30 Jahre, wenn sie an Nachwuchs denkt. Die Lebensumstände der Frauen haben sich mit den Jahren verändert. Zuerst kommt die Karriere, dann die Familie. Das kann verheerende Folgen haben. «Ab 35 Jahren ist die Frau schon in einem vergleichsweise ‘hohen’ Alter für eine erste Schwangerschaft. Da rät man Frauen, die sich Kinder wünschen, ‘nur’ sechs Monate zu versuchen, auf natürlichem Weg schwanger zu werden», so die Fortpflanzungs-Spezialistin. «Ansonsten gilt ein Jahr.» Wenn es bis dahin nicht klappe mit einer spontanen Schwangerschaft, lohne es sich, weitere Abklärungen zu machen und dem Grund der Unfruchtbarkeit nachzugehen.

Kosten bis 6000 Franken

Die meisten Paare werden laut Ventura vom Frauenarzt oder dem Urologen zu ihr geschickt. Einige würden sich aber auch direkt melden. «Zuerst führe ich ein ausführliches Gespräch mit dem Paar, frage, was ihre Wünsche und Vorstellungen sind. Wir versuchen darin auch zu erörtern, was überhaupt infrage kommt.» Danach folge eine gründliche Untersuchung beim Mann und der Frau. Erst wenn alles geklärt ist, und beide auch für eine reproduktionsmedizinische Behandlung infrage kommen, startet Ventura mit einer Hormonbehandlung der Frau. «Wird eine IVF durchgeführt, bekommt die Frau während zehn bis 14 Tagen Hormonspritzen zur Eizellenstimulation», erklärt sie. «Danach werden ihr mittels einer kleinen Operation die Eizellen entnommen. Am selben Tag gibt der Mann seine Spermien ab.»

Zusammengeführt werden Eizelle und Spermium im Fiore-LAB (Fachinstitut für Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie) in St. Gallen, mit dem das KSGR eng zusammenarbeitet. Danach werden die befruchteten Eizellen, höchstens zwei, wieder in Chur der Frau eingesetzt.

Die Chancen einer Schwangerschaft liegen bei den 25- bis 30-Jährigen bei 60 Prozent, bei 40-jährigen Frauen sind es nur noch 20 Prozent. Schweizweit werden 1,5 bis 2 Prozent der Kinder durch IVF gezeugt. Zwischen 5000 bis 6000 Franken kostet ein sogenannter Frischzyklus mit Hormonbehandlungen. Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, kann ein weiterer Versuch, ein Aufbauzyklus, in Angriff genommen werden, bei dem wiederum befruchtete Eizellen eingesetzt werden. Dieser kostet dann rund 1600 Franken. Die Krankenkassen übernehmen keine Kosten.

Das Höchstalter einer IVF bei einer Frau liegt bei 43 bis 44 Jahren. «Aber dann muss schon eine vernünftige Aussicht auf Erfolg vorhanden sein, sonst führe ich keine Behandlung mehr durch», sagt Ventura. Eine australische Studie habe gezeigt, dass eine von insgesamt 1500 45-jährigen behandelten Frauen schliesslich ein Kind zur Welt bringt.

«Leide mit den Frauen mit»

Rund 14 Tage nach Einpflanzung der Eizelle weiss man, ob die Frau schwanger ist oder nicht. «Ich leide schon mit den Frauen mit», sagt Ventura. «Es tut mir auch weh, wenn es nicht klappt. Oder noch schlimmer, wenn es klappt, die Frau aber eine Fehlgeburt erleidet, was leider auch ab und zu vorkommt.» Die ganze Angelegenheit sei sehr emotional und psychisch sehr belastend für die Frau, aber auch den Mann. Es gebe Frauen, die nach einem missglückten Versuch tagelang unter einer Depression leiden. «In solchen Momenten sind Gespräche mit dem Paar enorm wichtig. Wir schauen, wo das Paar steht und welche Ressourcen noch vorhanden sind.» Das Kinderwunschzentrum Fontana arbeitet mit psychologisch geschulten Personen von Adebar, der Beratungsstelle für Familienplanung, Sexualität, Schwangerschaft und Partnerschaft, zusammen, um die Paare zu unterstützen.

Verstärkung im Team

Mehrere Hundert Kinder hat Ventura, die über sieben Jahre im Fiore-LAB gearbeitet hat, durch IVF gezeugt. Und auch in der Frauenklinik Fontana hat sie bereits einigen Paaren zum Glück verholfen. «Im Sommer kommt das erste Kind zur Welt», sagt sie. Etwas früher wird ihr Team, zu dem Kurt Biedermann, Co-Chefarzt im Fontana, gehört, um zwei Oberärztinnen er-weitert. «Damit wir für die riesige Nachfrage gerüstet sind.»

Weitere Informationen: www.fiore.ch; www.ksgr.ch/kinderwunschzentrum.aspx.

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