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Die Leute haben die Zustände satt

Afghanistans Parlamentswahl vom Samstag war nicht frei, weil Wähler sogar von Kandidaten bedroht wurden. Sie waren nicht allgemein, weil manche Afghanen wegen des Kriegs keinen Zugang zu Wahlurnen hatten.

Südostschweiz
20.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Von Willi Germund

Ob sie transparent waren, muss sich angesichts der zahlreichen Schummeleien noch zeigen. Die Wahl war jedenfalls nicht «gut genug», wie General David Petraeus, der Kommandeur der Internationalen Sicherheitskräfte, das neue Minimalziel des Westens am Hindukusch umschreibt.Die Nato und die westlichen Regierungen entschuldigen die Mängel am Hindukusch gerne mit dem Argument, Afghanistan sei nicht die Schweiz oder Deutschland. Afghanen sind freilich keine Menschen zweiter Klasse. Wie jeder Schweizer oder Deutsche will selbstverständlich auch jeder Afghane, dass seine Stimme gleichberechtigt zählt und nicht der Umfang seines Dollar-Bündels, um die käuflichen Beamten des Karsai-Regimes zu bestechen. Und wie jeder Schweizer oder Deutsche hat jeder Afghane ein Recht auf freie, faire, allgemeine Wahlen.Aber gegenwärtig verhält sich der Westen wie ein Lehrer, dessen Schüler bei allen Tests Klassenarbeiten mit der Note «ungenügend» abliefern – und der statt seines miesen Unterrichts die vermeintliche Dummheit der Schüler verantwortlich macht. Nun will der Westen sich mit Ausflüchten aus der Verantwortung stehlen.Die Afghanen besitzen übrigens ein Gedächtnis. Ihr Erinnerungsvermögen ist sogar besser, als Politikern und Militärs im Westen lieb sein kann. Afghanen erinnern sich bestens an die Versprechen, die es nach der Vertreibung der Talibanmilizen im Jahr 2001 gab. Sie lauteten: wirtschaftliche Entwicklung, Menschenrechte, Demokratie, Gleichstellung von Mann und Frau, Sicherheit und Korruptionsfreiheit.Kein einziges dieser Versprechen wurde erfüllt – während es zur Zeit der verfemten Taliban-Herrschaft zumindest Sicherheit gab und Korruption unbekannt war. Die Afghanen haben die Zustände am Hindukusch mittlerweile dermassen satt, dass sie diesen Vergleich immer häufiger ziehen.

zentralredaktion@suedostschweiz.ch

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