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Der Frauenstreiktag von 1991 als Initialzündung für vieles

Genau 20 Jahre nach dem Frauenstreiktag von 1991 gehen Frauen heute wieder im ganzen Land auf die Strasse. In geringerer Zahl und mit andern Zielen.

Südostschweiz
14.06.11 - 02:00 Uhr

Von Karen Schärer

Bern. – «Wir haben am Streiktag mitgemacht, uns aber nicht getraut, die Tramgleise zu blockieren, so wie dies andere taten», erinnert sich Rosmarie Zapfl, ehemalige Zürcher CVP-Nationalrätin und heutige Präsidentin des Frauendachverbandes Alliance F. Vor 20 Jahren war Zapfl Präsidentin des katholischen Frauenbundes des Kantons Zürich – und setzte sich mit ihren Kolleginnen am ersten nationalen Frauenstreiktag in die Fraumünsterkirche und hörte Konzerte.

«Es riss viele mit – und es war elektrisierend»

Viele Frauen erlebten den Frauenstreiktag am 14. Juni 1991 als prägend, so auch Zapfl: «Es war elektrisierend. Denn das hatte es noch nie gegeben: dass Frauen sich öffentlich weigerten zu arbeiten, um für ihre Rechte einzustehen.» Auch die Berner Nationalrätin Therese Frösch (Grüne) sagt, mit dem Frauenstreiktag, bei dem eine halbe Million Frauen ihre Arbeit niederlegten, sei die Frauenbewegung «auf einem ihrer historischen Höhepunkte» gewesen. «Es riss viele mit.»

Der heutige zweite nationale Frauenaktions- und Streiktag, wie er offiziell heisst, wird kaum gleich viele Frauen zu begeistern vermögen. Die rund 50 Organisationen, welche zum Streiktag aufrufen, rechnen mit etwa 100 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Mit dieser Zahl zeigt sich Christina Werder, Zentralsekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), sehr zufrieden. «Es geht nicht um eine Wiederholung des Frauenstreiktags von 1991. Damals ging es darum, überhaupt gesetzliche Grundlagen im Bereich Gleichstellung zu schaffen. Heute geht es darum, bestehende Gesetze durchzusetzen.» Übergeordnetes Motto des Tages ist: «Ein Ziel: gleich viel.» Werder sagt: «Wir hoffen, dass der Aktionstag nachhaltig wirkt: So sollen zum Beispiel Firmen ihre Lohnpolitik überdenken, die Löhne überprüfen und sich dem Lohngleichheitsdialog anschliessen.»

Doch lassen sich Frauen – gerade junge Frauen – mit dem Thema Gleichstellung noch mobilisieren? Therese Frösch ist sich bewusst: «Die Frauenbewegung hat an Schwung verloren, nachdem sie viele Verbesserungen erkämpft hat, von denen viele junge Leute heute profitieren. Jüngere Menschen sind sich weniger bewusst, dass es auch für die Aufhebung weiterer Ungerechtigkeiten wie die Lohnungleichheit ausserhalb des Parlaments eine breite Mobilisierung braucht. Denn im Parlament haben die Verhinderer die Mehrheit.»

Schwung ging verloren

Auch Rosmarie Zapfl erwartet nicht, dass der heutige Tag jüngere Frauen gross mitreisst. «Junge Frauen haben heute alle Möglichkeiten in der Bildung, sie haben Freiheiten in der Ehe. Es ist deshalb für sie schwierig, auf die gleiche Art Rechte zu fordern, wie wir das taten.» Erst bei einer Scheidung, wenn es um die AHV oder die Pensionskasse gehe, spürten die Frauen die fehlende Gleichstellung, sagt Zapfl. «Wir hingegen waren alle direkt betroffen: Als ich meinen Mann heiratete, wurde er damit zu meinem Vormund. Solches prägte sehr», erklärt Zapfl die starke Frauenbewegung noch vor 20 Jahren.

Auch unter politisch aktiven jüngeren Frauen herrscht eine gewisse Skepsis. Brenda Mäder etwa, Präsidentin der Jungfreisinnigen, wird nicht am Aktionstag teilnehmen: «Streik ist nicht mein Mittel. Wegen dieses Streiks wird kein einziger Lohn erhöht werden», sagt sie überzeugt. Andrea Arezina, SP-Einwohnerrätin aus Baden, engagiert sich hingegen stark für den Frauenstreiktag: Sie organisiert die Anlässe in den Städten Olten und Aarau. Doch auch die 26-Jährige macht sich keine Illusionen: «Vielen Jungen sagt der 14. Juni gar nichts. Ich hoffe, dass es heute gelingt, wieder viele für das Thema Gleichstellung zu sensibilisieren.»

«Vielen Jungen sagt der 14. Juni gar nichts»

Junge Sozialdemokratinnen stehen ihren Vorkämpferinnen bezüglich Feuer und Engagement in nichts nach – und doch unterscheiden sie sich von ihnen. So hat Arezina gemeinsam mit anderen jüngeren Mitgliedern der SP ein Papier verfasst, um den Weg für eine neue Gleichstellungspolitik zu ebnen: «Gleichstellungspolitik geht uns alle an, Frauen und Männer», sagt Arezina. Die SP Schweiz delegiere die Gleichstellungspolitik an die SP- Frauen und stehle sich so aus der Verantwortung.

Die Bäuerinnen sind dabei

Während die Frauenbewegung dank Meilensteinen wie dem Frauenstimmrecht, dem Verankern der «gleichen Rechte für Mann und Frau» in der Verfassung und des Gleichstellungsgesetzes an Kraft verloren hat, gewinnt sie an unerwarteter Stelle an Schwung: Der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband nimmt zum ersten Mal an einer Frauendemo teil. Präsidentin Christine Bühler begründet: «Die Frauenbewegung ist auf dem Land verzögert. Doch wir sind ein nationaler Frauenverband und gehören damit ganz klar zur Frauenbewegung dazu.» Gleichstellung sei auch im bäuerlichen Milieu ein Thema: Viele Bäuerinnen seien nicht sozialversichert. «Kommt es zu einer Scheidung, fallen Bäuerinnen durch alle sozialen Netze», sagt Bühler. Deshalb geht sie heute in Bern auf die Strasse, um mehr Rechte für Bäuerinnen einzufordern.

Der Frauenstreiktag von heute stellt linke Parlamentarierinnen vor eine schwierige Entscheidung: Sollen sie die Sitzung im National- oder Ständerat schwänzen oder auf den symbolischen Streik für die Gleichstellung verzichten? Die traditionell für Frauenrechte kämpfende Linke ist gespalten.

Die SP und die Grünen haben sich die Gleichstellung seit jeher auf die Fahnen geschrieben. Die beiden Parteien unterstützen denn auch offiziell das Komitee des nationalen Frauenstreik- und Aktionstages. Von ihren Parlamentarierinnen und Parlamentariern wird sich aber nur eine Minderheit am Streik beteiligen – die meisten ziehen es vor, an der Session teilzunehmen. «Ich kann nicht verstehen, dass man wegen eines Streiks darauf verzichtet, im Nationalrat abzustimmen», sagt die grüne Waadtländer Nationalrätin Adèle Thorens Gomaz. «Wir haben so lange für unsere politischen Rechte gekämpft, nun will ich diese auch nutzen.» Sie werde vor Beginn der Sitzung bis 14.30 Uhr am Frauenaktionstag teilnehmen. Ins gleiche Horn stösst die Basler SP-Ständerätin Anita Fetz, die ebenfalls auf einen Streik verzichtet: «Diesen Gefallen mache ich meinen bürgerlichen Kollegen nicht», sagt sie. Denn streike sie, würde im Stöckli eine linke Stimme fehlen, erklärt Fetz. Vor Beginn der Sitzung wird die Ständerätin in Basel am Aktionstag teilnehmen. Anders sieht es ihre Parteikollegin Margret Kiener Nellen: Die Berner SP-Nationalrätin wird nur für die Fragestunde – zu Gleichstellungsthemen notabene – im Nationalratssaal sitzen. «Es gibt zwar gute Gründe, nicht zu streiken, die Gründe für einen Streik wiegen aber schwerer», erklärt sie. Auch 30 Jahre nach der Verankerung der Gleichstellung in der Verfassung seien Frauen im Berufsleben gegenüber Männern systematisch benachteiligt. (sda)

Unter dem Motto «Ein Ziel: gleich viel» gibt es heute in der ganzen Schweiz Hunderte von Aktionen und Aktivitäten im öffentlichen Raum und in Betrieben. Um 14.06 Uhr gibt es an zahlreichen Orten einen Trillerpfeifenprotest. Die Frauen verlangen tatsächliche Lohngerechtigkeit und bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben. Wer nicht teilnehmen kann, ist aufgefordert, mit Kleidungsstücken in Pink, Lila oder Fuchsia «Farbe zu bekennen». (ks)

www.14juni2011.ch

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