×

Der Bündner «Brain-Drain» und viele mögliche Erben

Die Bündner Delegation im Bundesparlament wird sich nach den Wahlen im Herbst kommenden Jahres stark verändert präsentieren. Es zeichnet sich ein Grosskampf um die Ständeratssitze ab.

Südostschweiz
26.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Von Olivier Berger

Chur/Bern. – Mindestens 44 Jahre Parlamentserfahrung gehen Graubünden nach den nationalen Wahlen im kommenden Jahr verloren: Mit Ständerat Theo Maissen (CVP) sowie den Nationalräten Andrea Hämmerle (SP) und Sep Cathomas (CVP) treten gleich drei der sieben Bisherigen nicht mehr an. Ständerat Christoffel Brändli (SVP) und Nationalrätin Brigitta M. Gadient (BDP) wollen sich zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden, ob sie für eine weitere Amtsperiode zur Verfügung stehen.

Hassler und Caviezel treten an

Wieder antreten, falls es ihre Parteien wünschen, wollen dagegen die Nationalräte Hansjörg Hassler (BDP) und Tarzisius Caviezel (FDP) – wobei Caviezel auch eine Ständeratskandidatur nicht ausschliesst. Selbst für den Fall, dass sich auch Gadient und Brändli für eine weitere Kandidatur entscheiden, brächten es die vier verbleibenden Mitglieder der Bündner Bundeshaus-Delegation zusammen aber lediglich auf knapp mehr Amtsjahre als die drei abtretenden. Nicht nur deshalb spricht Brändli von einer wichtigen Wahl für den Kanton. «Je nach Ausgang droht Graubünden einen Teil seines heutigen Einflusses im Bundeshaus zu verlieren.»Der Verlust von Netzwerken und politischem Gewicht droht laut Brändli allerdings nicht nur wegen des Abgangs seiner drei langjährigen Parlamentskollegen. «Auch die parteipolitische Zusammensetzung der künftigen Delegation wird eine Rolle spielen.» Wer Bündner Anliegen zum Durchbruch verhelfen wolle, müsse Mehrheiten schaffen. «Das ist nur möglich, wenn der Kanton Vertreterinnen und Vertreter grosser Parteien nach Bern entsendet.»Als Beispiel nennt Brändli die Verhältnisse im Ständerat, wo FDP und CVP die grössten Abordnungen stellen. «Wenn Graubünden nicht durch ein Mitglied mindestens einer der beiden Parteien vertreten ist, wird es sehr schwierig.» Brändli ist sich bewusst, dass auch er als SVP-Mann im «Stöckli» einer kleineren Kraft angehört. Ihm komme aber zugute, dass er auf eine lange Amtszeit zurückblicke und als ehemaliger Ständeratspräsident über die Parteigrenzen hinaus gut vernetzt sei.SP-Nationalrat Hämmerle hält Brändlis Warnungen für «reine Parteipolitik». Es liege in der Natur der Sache, dass es in der parlamentarischen Delegation Graubündens immer wieder zu Wechseln komme. «Dabei meint man immer, es werde nachher schlechter, was aber bisher nie eingetreten ist.» Wichtig sei, dass die Parteien rechtzeitig kompetenten politischen Nachwuchs aufbauten. Zudem verfüge Graubünden in Bern neben den sieben Parlamentsmitgliedern auch über eine Bundesrätin und eine Bundeskanzlerin. «Herr Brändlis Aussagen sind wohl eher eine persönliche Rechtfertigung, um noch einmal zu kandidieren.»

Gerangel um den Ständerat

Hämmerle dagegen wird auf eine Ständeratskandidatur verzichten, wie er betont. Mit seinem Ausscheiden aus dem Nationalrat gehe er parlamentspolitisch in Rente. Dagegen ist nicht ausgeschlossen, dass die Bündner Sozialdemokraten mit einem Kandidaten ins Rennen um die beiden Ständeratssitze steigen werden. Die SP hält sich diese Möglichkeit ausdrücklich offen und macht sie auch vom Vorgehen der anderen Parteien abhängig. Dabei dürfte gelten: Je mehr Bürgerliche kandidieren und sich gegenseitig die Stimmen streitig machen, umso besser stehen die Chancen für die SP.Tatsächlich zeichnet sich schon ein Jahr vor dem Wahlgang ein Gerangel um die Sitze im «Stöckli» ab. So werden SVP und CVP auf jeden Fall versuchen, ihren Besitzstand zu wahren. Auch die BDP will um einen Sitz in der kleinen Kammer kämpfen, wie der voraussichtliche neue Parteipräsident, Jon Domenic Parolini, erklärt. Und die FDP schielt ebenfalls auf einen Ständeratssitz: Nach dem guten Resultat bei den Grossratswahlen im Juni dieses Jahres wolle die Partei künftig mit zwei Personen in Bern vertreten sein, betont Präsident Michael Pfäffli.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Zeitung MEHR