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Das Laboratorium des Dr. von Planta

Es ist ein Bijou der Bündner Wissenschaftsgeschichte, aber kaum einer kennt es: das 160 Jahre alte chemische Laboratorium in Schloss Reichenau. Die Besitzerfamilie von Tscharner möchte es restaurieren, doch es fehlen die finanziellen Mittel.

Südostschweiz
25.12.11 - 01:00 Uhr

Von Jano Felice Pajarola

Reichenau. – Es ist die zweite Juliwoche des Jahres 1853. Doktor Adolf von Planta und sein Assistent August Kekulé kauern vor der Fassung der Mauritius-Quelle in St. Moritz, füllen Heilwasser in mitgebrachte Flaschen, verschliessen sie sorgfältig, packen sie ein. Von Planta hat Pläne und ein Ziel: Er will die Flüssigkeit aus der Quelle den Winter über analysieren, mit den neusten Methoden der Chemie. Seine Resultate sollen dem Kurort zur Blüte verhelfen, denn er ist überzeugt, sie werden gut ausfallen. Kekulé nimmt die Tasche, die beiden Herren verlassen zufrieden die Quellfassung. Bald werden sie die Heimreise antreten. In Reichenau, von Plantas Schloss, wartet viel Arbeit auf sie.

Hochmodern für die damalige Zeit

Bestimmung des Chlors. Geschah auf die gewöhnliche Weise durch Ansäuern mit Salpetersäure und Fällen mit salpetersaurem Silberoxyd. Das Filter wurde eingeäschert und nach dem Behandeln mit Salpetersäure und Salzsäure sammt dem Niederschlag bis zum beginnenden Schmelzen geglüht.

«So, da wären wir. Bitte.» Gian-Battista von Tscharner öffnet die bläuliche Tür neben der Schlosskapelle, eine weitere Tür dann im Erdgeschoss. «Das ist es. Nach Ihnen.» Ein schmaler Eingangsraum, die Decke bemalt, unbehandelte Holzmöbel mit Gestellen, Vitrinen, ein Sessel. Ein zweiter Raum, noch länger gezogen, mit noch mehr Gestellen, einem Wandbrunnen, einem Ofen. Hinter einem Deckenbogen eine Inschrift: «Erbaut und eingerichtet von Dr. G. Mosmann 1852». Schliesslich: der dritte Raum. Das Laboratorium von Planta, auch «die Küche» genannt. Zwei Herde mit Rauchabzug. Eine «Kapelle», das verglaste Gehäuse für das Hantieren mit kritischen Stoffen. Mit Ventilationssystem, damals hochmodern. Noch ein Herd: mit Öffnungen für Wasser- und Sandbad. An der Wand ein Trockenschrank für Pflanzen. Von Tscharner greift hinein, klaubt ein faseriges Ding heraus, lacht: «Darf ich vorstellen? Stachysknolle, Jahrgang Achtzehnhundert-irgendwas. Ja, es ist ein Glück. Alles ist noch da und eingelagert, seine Instrumente, seine Chemikalien in Fläschchen, dicht verschlossen mit Därmen. Zwölf Bananenschachteln mit Material, unzählige Unterlagen. Eine grosse chemische Bibliothek aus seiner Zeit, weit über hundert Bücher.»

Bestimmung der Kieselsäure. Das Eindampfen des angesäuerten Wassers geschah auf dem Wasserbad. Der scharf getrocknete Rückstand, mit Salz- und Salpetersäure befeuchtet und dann mit Wasser erhitzt, lieferte die Kieselsäure.

Der Assistent wurde berühmt

Von Planta und Kekulé: Für eineinhalb Jahre waren sie in Reichenau ein Team. Der Bündner Adelssohn, 1820 geboren, hatte in Deutschland Naturwissenschaften studiert, einer seiner Lehrmeister war Justus Liebig, Vater der organischen Chemie. Auch seine Bildungsreisen hatte von Planta absolviert: Skandinavien, England, Orient. Dann die Rückkehr ins väterliche Schloss, der Einbau des eigenen Laboratoriums – und die Suche nach einem guten Assistenten. Liebig empfahl Kekulé, den neun Jahre jüngeren Darmstädter Chemiker.

Von Tscharner kramt in der Hängeregistratur des Archivs von Reichenau, zieht eine Mappe heraus. Der Arbeitsvertrag Kekulés, datiert ab 1. Mai 1852. Sieben Stunden Tages-Arbeitszeit, zwei Monate Ferienanspruch im Jahr, 300 Reichsgulden Lohn, «Kost, Logis, Heizung und Beleuchtung erhält der Chemikant frei». Unterzeichnet: von Planta, Kekulé. Noch ist der Deutsche «nur» Gehilfe. 13 Jahre später, in Paris, wird er die Struktur des Benzolrings entdecken, in die Annalen der Chemie eingehen. Von Tscharner grinst. «Ich bin sicher, die Eingebung hatte er schon in Reichenau. Kekulé schreibt von nächtlicher Inspiration, also im Traum, quasi göttlich, das kann nur hier gewesen sein.»

Bestimmung der Alkalien. Hierzu wurde das Wasser für sich, dann mit Chlorbaryum und Baryt gekocht, eingedampft, zur vollständigen Abscheidung der Kieselerde mit Salzsäure eingetrocknet, dann zur Entfernung der Magnesia mit Quecksilberoxyd behandelt und die Alkalien als Chlormetalle gewogen.

«Von Plantas Laboratorium ist vermutlich das einzige aus der damaligen Zeit überhaupt, das so authentisch erhalten geblieben ist, und dazu noch in den extra dafür gebauten Räumlichkeiten», erklärt von Tscharner. Aber er, heute zusammen mit seiner Familie der Besitzer von Reichenau, weiss auch: Der Zustand des Kulturguts ist, so sagt er es selbst, «skandalös», mag das Allernötigste jeweils auch erledigt sein; der Wurm beispielsweise ist aus den Möbeln vertrieben, der Holzboden teils erneuert. Doch nach wie vor ist vieles im Argen. «Ich fühle eine gewisse Pflicht, das Laboratorium zu bewahren, es interessiert mich ja auch sehr. Aber wir brauchen unsere finanziellen Mittel für Dinge wie die Fassaden und Dächer von Reichenau, da gibt es keine Chancen, etwas für das Laboratorium zu reservieren.»

Von Tscharner gibt nicht auf

200 000 bis 300 000 Franken wären nötig, um von Plantas und Kekulés Arbeitsräume zu restaurieren, eine kleine Ausstellung zu gestalten, zwei, drei chemische Prozesse nachzustellen, so von Tscharners Schätzung. Dann würde er das Laboratorium für Gruppen zugänglich machen oder auf Schlossführungen zeigen. «Ich habe bereits mehrmals versucht, Sponsoren zu finden, in der Chemiebranche vor allem, aber ohne Erfolg.»

Die Reichhaltigkeit der Quelle gestattet eine grossartige Verwendung zum Bade. St. Moritz sieht nunmehr, bei den erfreulichen Aussichten zur Neugestaltung der Trink- und Badeeinrichtung, bei der vollen Sicherheit, in wenigen Jahren die Schienenwege von allen Seiten an den Fuss der Alpen gerückt zu sehen, einer schönen Zukunft entgegen.

Chur, 1854. Dr. A. v. Planta, Dr. A. Kekulé.

Von Tscharner betrachtet die Schiefertafel an der Wand des Laboratoriums. «Schauen Sie, man erkennt noch von Plantas Handschrift, Kratzspuren der Kreide. Man könnte ein Bijou aus diesen Räumen machen. Wie schade, wenn das alles zerfiele.» Der Schlossherr seufzt, fasst sich. «Ich werde weiter nach Unterstützung suchen.»

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