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Das Geheimnis der «La Fiorenzana»

Seit über 90 Jahren hütet die Familie Ponzio-Tonna in Grono ein Geheimnis: die Rezeptur der Gazosa «La Fiorenzana». Die acht fruchtigen Sorten begeistern beidseits der Alpen.

Südostschweiz
13.07.13 - 02:00 Uhr
Leben & Freizeit

Von Denise Erni (Text) und Marco Hartmann (Bilder)

Grono. – Laut geht es zu und her an diesem Vormittag in der Produktionsstätte der Gazosa «La Fiorenzana» der Familie Ponzio-Tonna. Die Maschinen laufen auf Hochtouren, Gazosa al lampone (Himbeere) wird produziert. Am Kopf des Förderbandes steht Afif Bodziri. Der 41-Jährige ist damit beschäftigt, leere Mehrwegflaschen in die grosse Reinigungsmaschine zu stellen. «Die Maschine wäscht und desinfiziert die Flaschen und befreit sie von den Etiketten», erklärt Firmenchefin Agata Ponzio. Die Urenkelin des Firmengründers Francesco Tonna ist stets mit einem Auge bei der Produktion, füllt da etwas Wasser in eine Flasche nach und schliesst bei einer anderen den Keramikdeckel der berühmten Bügelfalsche von Hand. «Bis vor einem Jahr mussten wir noch jede Flasche händisch schliessen. Erst seit wir die neue Maschine haben, fällt diese Arbeit weg», erzählt sie und zeigt auf ihre kräftigen Hände. Ihr Job sei körperlich sehr anstrengend. «Mein Rücken schmerzt oft vom Heben der Harasse.» Und trotzdem hat sich die 42-Jährige vor elf Jahren entschieden, dem Ruf ihres Vaters Orlando Ponzio und dem ihres Onkels Gianni Ponzio zu folgen und die Anstellung bei der Post zu kündigen. Ihr Onkel vertraute Agata die Geheim-Rezeptur der «La Fiorenzana» an. Ein Familiengeheimnis, dessen Details nicht einmal ihr Vater und ihr Bruder Fabrizio Ponzio, die beide auch im Betrieb arbeiten, kennen. Nur ihrem Ehemann Gualtiero Lucchinetti habe sie die Rezeptur verraten, sagt Ponzio.

Erfolg wegen gekochtem Sirup

Das Herzstück der kleinen Fabrik befindet sich im oberen Stock. Dort wird der Sirup hergestellt. In verschiedenen Fässern wird dieser in acht Geschmacksrichtungen gelagert: Zitrone, bittersüsse Mandarine, Himbeere, Bitterorange, Süssorange, Grapefruit, Chinotto und Heidelbeere. Mit einem Schlauch, der durch die Decke reicht, ist das jeweilige Fass mit der Produktionsmaschine im Erdgeschoss verbunden.

«In diesem Fass kochen wir den Sirup», sagt Ponzio und zeigt auf einen weiteren, grauen Behälter und erzählt mit Stolz: «Wir sind eine der wenigen Gazosa-Produzenten, die den Sirup noch kochen. Dadurch bekommt er einen viel intensiveren Geschmack.» Darauf führt sie auch den Erfolg der «La Fiorenzana» zurück. «Die Qualität ist uns sehr wichtig.»

2400 Liter Sirup werden jede Woche nach dem Geheimrezept hergestellt. Rund 850 000 3,5-dl-Flaschen Gazosa verlassen pro Jahr Grono. «70 Prozent der Produktion geht in die Deutschschweiz, die restlichen 30 bleiben im Misox und im Calancatal», erzählt Ponzio. In den Südbündner Tälern herrscht vor allem in den Sommermonaten Hochbetrieb, wenn alle Grotti nach dem bunten Getränk rufen. «Zitrone und Mandarine sind unsere Klassiker.» Die Deutschweizer hingegen würden neben Zitrone vor allem Bitterorange und Heidelbeere lieben, weiss die Firmenchefin. Den Vertrieb auf der Alpennordseite betreut die Firma nicht selber, jenen im Misox und im Calancatal hingegen schon. Beim Vertrieb gibt es für die Familie eine ungeschriebene Regel, an die sie sich schon seit Jahrzehnten hält. Sie vertreibt ihr Sprudelwasser nicht weiter Richtung Süden, da es im Tessin noch gut eine Handvoll weitere Gazosa-Produzenten gibt. «Wir konkurrieren uns nicht», erklärt Ponzio. Könnte die Firma, die insgesamt zehn Mitarbeiter zählt, noch mehr Flaschen herstellen? «Wir sind am Limit. Ich möchte aber auch nicht noch mehr produzieren, sondern unsere Tradition bewahren und uns nicht industrialisieren lassen», sagt sie. «Wir wollen das Familiengeheimnis an die nächste Generation weitergeben.» Mit Agata Ponzios Kindern, dem vier Jahre alten Zeno und der einjährigen Gio ist die fünfte Generation in den Startlöchern. «Wenn sie einmal wollen, weihe ich sie in das Geheimnis ein.»

Im Keller die erste Gazosa gemixt

Inzwischen steht Ponzio wieder im Erdgeschoss und blickt auf die Produktion. Nach der Reinigung werden die Flaschen auf dem Fliessband weiterbefördert, wo in einem nächsten Schritt die immer gleiche Menge Sirup (zwei Finger breit) hineingefüllt wird. Danach kommen Wasser und Kohlensäure hinzu. Sind die Bügelflaschen erst einmal voll, werden sie maschinell verschlossen und mit der Etikette versehen. Am Schluss des Produktionsvorgangs nimmt Simone Consoli die Flaschen in Empfang, stürzt sie, um den Sirup mit dem Wasser zu mischen, und stellt sie in den Harass.

Der Gründer der «La Fiorenzana», Francesco Ponzio hatte seine erste Produktionsmaschine im Keller seines Wohnhauses, das heute neben der Fabrik steht. 1921 begann Agata Ponzios Urgrossvater zu experimentieren und kam so auf die richtige Rezeptur für «seine» Gazosa (Limone, Mandarine, Himbeere und Grapefruit). «Mein Urgrossvater war ein Künstler», erzählt Ponzio. Früh verlor er seine Frau und stand mit fünf Kindern alleine da. Um die Familie zu ernähren, fing er an, ein Süssgetränk zu mischen und selber zu vertreiben. «Mit Pferd und Kutsche reiste er damals von Dorf zu Dorf.»

Sein Geheimrezept gab Francesco Tonna seiner Tochter Matilde Tonna und deren Ehemann Mario Ponzio weiter. Diese führten die Firma viele Jahre und bauten das Angebot weiter aus. «Meine Grosseltern brachten Süss- und Bitterorange sowie Chinotto auf den Markt», sagt Ponzio. Ihren Sohn Gianni weihte das Ehepaar Ponzio-Tonna in das Geheimnis ein. «Mein Onkel erweiterte das Angebot um Heidelbeere.» 2002 verriet er seiner Nichte die Rezeptur für die «La Fiorenzana». Gerne würde Agata Ponzio noch einen eigenen, neuen Geschmack kreieren, aber ihr fehlt die Zeit dazu. «Irgendwann aber, bevor ich das Geheimrezept der nächsten Generation weitergebe, möchte ich noch eine ‘La Fiorenzana’ in Grün im Angebot haben.» Etwas mit Kräutern fehle nämlich noch.

Weitere Infos: https://gazosa-lafiorenzana.swiss/

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