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Claudio Abbado ist an seinen Inspirationsort zurückgekehrt

Der weltberühmte Dirigent Claudio Abbado war Sils Maria und dem Oberengadin zeit- lebens verbunden. Nun hat er im Val Fex seine letzte Ruhestätte gefunden. Das autofreie Hochtal war für den Maestro ein Ort der Inspiration.

Südostschweiz
19.11.14 - 01:00 Uhr

Von Marina U. Fuchs

Sils-Maria. – Claudio Abbado verstarb am 20. Januar achtzigjährig in Bologna. Lange wurde spekuliert, wo einer der grössten Dirigenten und Orchestergründer der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Die Medien tippten auf Sardinien, wo Abbado ein Haus besass. Seit Allerheiligen, dem 1. November, aber ist Abbado nun zurück im Engadin – genauer gesagt in der Val Fex. «Liebe Freunde, seit letztem Samstag liegt Claudio im magischen Fextal bei Sils Maria im Engadin, dem Ort der Schönheit und des Friedens, den er so geliebt hat.» Dieser Satz seiner Kinder Daniele, Alessandra, Sebastian und Misha ist auf der Homepage der «Abbadiani, der Freunde Claudio Abbados» zu lesen.

Der Dirigent besass im Val Fex ein Haus. Er verbrachte dort viel Zeit mit langen Spaziergängen, bevor seine Erkrankung ihm den Aufenthalt im Engadin nicht mehr erlaubte. Aber die emotionale Verbindung blieb offenbar weiter intensiv bestehen. In einem seiner raren Interviews, das er 2011 Julia Spinola für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» gegeben hat, hat er von seinem Bezug zur Val Fex gesprochen. «Da gibt es ein Tal, das Fextal, wo seit 100 Jahren nichts verändert werden darf. Dort gibt es keinen Verkehr, man muss mit der Kutsche oder zu Fuss hingelangen. Ich mache im Sommer immer lange Spaziergänge, die ideal für mich sind, um zu studieren.» Er beschrieb, wie er sich dabei die Musik durch den Kopf gehen liess und innerlich alles wiederholt hat.

«Ich liebe den Klang des Schnees»

Besonders hat Abbado die Ruhe dieser Landschaft geschätzt – und den Schnee, den es nach seiner Auskunft auch manchmal im Sommer dort gab. «Ich liebe den Klang des Schnees», liess er seine Gesprächspartnerin wissen. Der Musiker hörte den Schnee nicht nur beim Darüber-Laufen, sondern auch wenn er auf dem Balkon stand. «Natürlich ist das nur ein minimales, nicht einmal ein wirkliches Geräusch: ein Hauch, ein Nichts an Klang. In der Musik gibt es das auch: Wenn in einer Partitur ein Pianissimo vorgeschrieben ist, das bis zum ‘niente’ geht. Dieses ‘niente’ kann man dort oben erfahren.»

Bescheidene letzte Ruhestätte

Nun ruht Abbado in genau dieser von ihm so sehr geliebten Stille auf dem kleinen Friedhof des reformierten Kirchleins in Fex Crasta, das Ende des 15. Jahrhunderts errichtet wurde und für seine Fresken bekannt ist. Manchmal gibt es im Sommer dort auch anspruchsvolle Konzerte.

Abbados letzte Ruhestätte ist bescheiden, so bescheiden, wie der grosse Maestro war, der diesen Titel offenbar gar nicht so sehr geschätzt hat. Schlicht und fast unauffällig ist der Schriftzug «Claudio Abbado» auf der grau gemaserten Natursteinplatte. Ein paar weisse und rosafarbene Blüten in einem Weckglas und ein Arvenzweig schmücken die Urnennische vor der Kirchhofmauer.

Nur zu Fuss zu erreichen

«Claudio Abbado war Einwohner von Sils/Fextal und ist später aus gesundheitlichen Gründen weggezogen, damit erfüllt er die Voraussetzungen der Bestattungs- und Friedhofsordnung der Gemeinde Sils i.E. auf Bestattung in einem Urnengrab der Gemeinde», erklärte der Gemeindeschreiber Marc Römer auf Anfrage. So entschied der Gemeindevorstand Sils am 6. Oktober unter «Diverses»: «Der Gemeindevorstand heisst die Anfrage für die Urnenbestattung des jahrelang in der Val Fex wohnhaften Claudio Abbado auf dem Friedhof in Fex gut.»

Wer den grossen Künstler an seiner letzten Ruhestätte besuchen möchte, darf nicht vergessen, dass das Tal autofrei ist. Je nachdem, wie gut er zu Fuss ist, erreicht der Besucher von Sils-Maria aus Fex Crasta in einer knappen Stunde. Eine Alternative dazu ist die beschauliche Fahrt mit einer Kutsche, gezogen von zwei Pferden.

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Claudio Abbado war der, sicherlich nicht nur für mich, wunderbarste Musiker und Dirigent des 20. und des frühen 21. Jahrhunderts. Seine Eleganz, sein MITEINANDER MUSIZIEREN, sein HÖREN SIE AUF IHREN NEBENMANN/FRAU, sein humanistisches Ideal von Kunst und Gesellschaft, sind stilbildend gewesen. Sein Engagement für zeitgenössische Musik, sein Engagement für die Gründung vieler Orchester, seine zutiefst menschliche Art und seine große Offenheit für Menschen sollen Vorbild sein. Nicht nur für Musiker, sondern für alle Menschen, die Menschen lieben und die Musik. Ich hoffe sehr, sein Grab im Fextal bald besuchen zu können. VIVA CLAUDIO!

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