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Chinesische Sklavenarbeit – garantiert «Made in Italy»

Nach dem Brand in einer Textilfabrik im italienischen Prato, bei dem sieben chinesische Arbeiter gestorben sind, reagieren die Behörden mit Razzien und Verhaftungen. Ob sie den «Wildwest-Zuständen» damit beikommen, bleibt fraglich.

Südostschweiz
07.12.13 - 01:00 Uhr

Von Dominik Straub

Prato. – Es hat Tage gedauert, aber inzwischen sind alle sieben Todesopfer identifiziert. Es handelt sich um fünf Männer und zwei Frauen, alle chinesischer Nationalität. Erschwert wurde die Identifikation einerseits durch die Schwere der Brandverletzungen, andererseits – und vor allem – aber durch eine Mauer des Schweigens seitens der Überlebenden.

Erbärmliche Bedingungen

Der Brand in Prato vom vergangenen Sonntag hat in Italien Missstände in Erinnerung gerufen, die seit Jahren bekannt sind, aber immer wieder verdrängt werden: In der toskanischen Stadt unweit von Florenz hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten die grösste Chinatown Europas gebildet, eine Art Staat im Staat. Im 250 000 Einwohner zählenden Prato leben schätzungsweise 45 000 Chinesen, 15 000 davon ohne Aufenthaltsbewilligung. Sie leben abgeschottet von den Einheimischen, viele sprechen kein Wort Italienisch. Sie arbeiten in insgesamt 4800 rein chinesischen Betrieben, die mehrheitlich Stoffe und Kleider herstellen und den europäischen Markt mit Billigprodukten überschwemmen. Pro Tag verlassen laut Schätzungen eine Million Kleidungsstücke die chinesischen Fabriken von Prato – alles hundertprozentig «Made in Italy», versteht sich. Der Gesamtumsatz beläuft sich auf zwei Milliarden Euro pro Jahr.

Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den oft illegalen Betrieben sind überwiegend erbärmlich: Als eine Art moderne Sklaven schuften die Arbeiterinnen und Arbeiter bis zu 15 Stunden am Tag zu einem Stundenlohn von einem Euro. Meist wohnen die chinesischen Arbeiter auch in den Fabrikhallen, in winzigen Verschlägen mit Gemeinschaftstoilette und Gemeinschaftsküche. So war es auch in der Fabrik «Teresa Mode», wo am Sonntag der Brand ausgebrochen war. Die Flammen versperrten den Opfern den Ausgang, und die Fenster waren mit Eisenstangen vergittert. «Die meisten Fabriken hier sind so organisiert wie diese: Das sind Wildwest-Zustände», betont Staatsanwalt Piero Tony, der in der Brandsache ermittelt. «Was hier passiert ist», sagt Tony weiter, «war voraussehbar.» Denn die Kontrollen seien ungenügend und die dafür zuständigen Beamten viel zu wenige. Hinzu kommt: Wird eine illegale Fabrik von den Behörden geschlossen, wird wenige Tage später in einer anderen leer stehenden Halle unter anderem Namen eine neue eröffnet. Dieses Katz- und Maus-Spiel zwischen Behörden und chinesischen Unternehmern konnte in den vergangenen vier Jahren insgesamt 1200 Mal beobachtet werden.

Aktionismus der Behörden

Wie immer, wenn altbekannte Missstände durch eine plötzliche Tragö- die ins Bewusstsein rücken, reagiert der italienische Staat mit Aktivismus und Absichtserklärungen. «Der Staat muss wieder ein Minimum an Legalität und Normalität herstellen», forderte Pratos Stadtpräsident Roberto Cenni von der Berlusconi-Partei PDL. Cenni war 2008 in der roten Hochburg Prato für sein Versprechen gewählt worden, in der Chinatown aufzuräumen – was ihm, wie seinen linken Vorgängern, offensichtlich nicht gelungen ist. Auch Staatspräsident Giorgio Napolitano schaltete sich ein: Er forderte ein «konzertiertes Vorgehen auf allen Ebenen» um diese «unhaltbaren Zustände der Illegalität und der Ausbeutung» in Prato zu beenden. Also genau das, was jahrelang ausgeblieben ist.

Immerhin: Letzte Woche hat die Finanzpolizei über 300 Hausdurchsuchungen durchgeführt; unter den Einheimischen Pratos, die den Chinesen ihre Schuppen vermieten, macht sich nun Panik breit: Sie profitieren ebenfalls von der Ausbeutung und kas- sieren den grössten Teil der Miete schwarz.

«Wo seid ihr gewesen?»

«Jetzt schreien alle ‘Skandal, Skandal’, aber viele Italiener sind dank uns reich geworden», erklärt

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