Büne Huber: «Ich fühlte mich ausgebrannt und traurig»
Nach einer schweren Lebens- und Schaffenskrise von Sänger Büne Huber melden sich Patent Ochsner nach vier Jahren mit «Johnny – The Rimini Flashdown Part II» zurück. Huber erzählt, wie er zu alter Stärke zurückgefunden hat.
Nach einer schweren Lebens- und Schaffenskrise von Sänger Büne Huber melden sich Patent Ochsner nach vier Jahren mit «Johnny – The Rimini Flashdown Part II» zurück. Huber erzählt, wie er zu alter Stärke zurückgefunden hat.
Mit Büne Huber sprach Reinhold Hönle
Herr Huber, was bedeutet Ihnen «Johnny – The Rimini Flashdown Part II» vier Jahre nach dem ersten Teil?
Büne Huber: Ich bin froh, doch noch einen Ausweg aus einem ziemlich dunklen Loch gefunden zu haben. Ich musste eine schlimme Schaffenskrise, wie ich sie in dieser Dimension noch nie erlebt habe, überwinden. Als Musiker oder Schreiber erlebt man immer wieder Momente, in denen es nicht läuft, aber diesmal fühlte ich mich nicht Wochen oder Monate, sondern ein ganzes Jahr lang blockiert. Ich hatte den Eindruck, dass es immer schlimmer wird und ich nie mehr aus dieser Situation herauskommen würde. Ich musste befürchten, dass ich nie mehr einen Song, geschweige denn ein ganzes Album schreiben würde.
Welche Gründe hatte Ihre Krise?
Wenn sich etwas so dramatisch zuspitzt, hat es nie nur eine Ursache. Begonnen hat alles nach der Tour «Rimini Flashdown Part I». Ich war eigentlich sehr euphorisch und wollte gleich wieder ins Studio, um weiterzuarbeiten. Dann hat es mich erwischt. Ich fühlte mich auf verschiedensten Ebenen ausgebrannt und traurig. Es kam vieles zusammen, aber ein entscheidender Punkt war sicher die Trennung von meiner Frau.
Wie haben Sie da heraus gefunden?
Der erste Silberstreif am Horizont war die Arbeit mit dem Berner Symphonieorchester. Die Last der Verantwortung lag nicht allein auf meinen Schultern, ich konnte einfach mitlaufen und im Schatten anderer surfen. Langsam kam wieder Bewegung in die Geschichte. Die Freude kam zurück, und ich entwickelte wieder eine Vorstellung, wie es weitergehen könnte.
«Im Schatten anderer surfen»
Was hat Ihr Umzug in die Loft, von der Sie schon auf Ihrer «Nachtschattengewächse»-Tournee geschwärmt hatten, bewirkt?
Das war der definitive Wendepunkt zum Guten. Die Loft hat rundherum Fenster, sie ist hell, und man sieht in die Welt hinaus. Als ich meinen Flügel aufgestellt habe, begann plötzlich alles zu rollen. Ich merkte, dass ich die neuen Räume nicht mit altem Material in Beschlag nehmen kann. Ich wollte unbelastet starten und sehen, was mir die Räume zurückgeben. Das klingt esoterisch, meint aber nur «Neue Räume, neues Projekt».
Was trug Ihre Band bei?
Wir haben intensiv zu arbeiten begonnen, zuerst Disu, Ändu und ich. Meine privaten Räume wurden zur Werkstatt, in der sich alle frei bewegen konnten. Das war eine Art alter Hippie-Traum von mir. Nach etwa drei Viertel der Aufnahmen habe ich aus unerklärlichen Gründen etwas getan, das ich sonst nie mache. Ich habe mir das gesamte Ochsner-Werk angehört, von der «Schlachtplatte» bis zu «Rimini Flashdown Part I». Es waren fast neun Stunden Material. Ich habe mich genau erinnert, wie wir was ge-macht haben, was uns beschäftigt und was nicht funktioniert hat. Es war eine aufwühlende Nacht!
Was hat sie bewirkt?
Als die letzten Töne am Morgen um 8 Uhr verklungen waren, merkte ich: Mamma mia, die letzten 15 Minuten von «Part 1» nahmen vorweg, was nachher passiert ist! Ich fiel, wie in «21 Gramm» besungen, über den Rand der Erde ins bodenlose Nichts. Ich erkannte, dass die neuen Songs eigenartigerweise einen nahtlosen Übergang bildeten. Das war nicht geplant. Als ich diese Beobachtung unserem Manager mitteilte, meinte er: «Dann ist nun also doch der ‘Rimini Flashdown Part II’ entstanden?» Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
«‘Johnny’ ist etwas sentimental»
Wie kamen Sie ursprünglich auf diesen Titel?
Ich hatte einen eigenartigen Traum, in dem ich in Italien einen Strand entlangging. An einem Tisch sassen Leute, die sich sehr engagiert unterhielten. Ein einziger Stuhl war frei. Ich setzte mich zu ihnen und realisierte, dass ich neben Federico Fellini sass. Im Laufe unseres Gesprächs sagte er zu mir: «Und übrigens, Ihre nächste Scheibe wird ‘The Rimini Flashdown’ heissen.» Nach dem Aufwachen erinnerte ich mich an den Traum und dachte: «Es ist wohl besser, wenn ich Fellini nicht widerspreche!» (lacht) Dass er aus Rimini stammte, habe ich erst viel später gelesen.
Weshalb haben Sie «Johnny» und nicht «Zucker + Zitrone», das leichter verständlich gewesen wäre, als Zusatz gewählt?
«Johnny» war einer der ersten Songs, die inhaltlich klar definiert waren. Er verkörpert den Rock’n’Roll-Archetypus wie beispielsweise Axl Rose, der langsam ins Alter kommt, immer noch lange Haare hat und etwas neurotisch ist. Er hält an seinem Traum fest, der nicht mehr funktioniert, versucht aber die Fassade zu wahren. Er lässt sich den Schmerz nicht anmerken und sagt «Es tuet überhoupt nid weh». Das ist ein Ausspruch von Muhammad Ali, nachdem er von George Foreman eine donnernde Rechte eingefangen hatte. Ich gebe es nur ungern zu, aber es gibt auch ein paar Berührungspunkte zwischen Johnny und mir. Ausserdem nannte mich mein Vater manchmal so. Das ist eine etwas sentimentale Komponente.
Die gibt es auch bei «Guet Nacht, Elisabeth». Was hat es mit dieser schönen Ballade auf sich?
Der autobiografischste Song des ganzen Albums handelt von der Nacht, bevor ich mich als 20-jähriger «Giel» abgenabelt habe. Zwei Jahre zuvor hatte mein Vater einen schweren Unfall gehabt und war seit diesem Moment geistig und körperlich behin-dert. Nach einem Jahr Rehabilitation hat ihn meine Mutter zu Hause weitergepflegt. Ich hörte meine Mutter im Nebenzimmer weinen. Die Vorstellung, mit der ungeheuer schweren Last der Pflege in Zukunft alleine zu sein, beängstigte sie. Ich brachte es nicht fertig, sie zu trösten. Ich hatte schwere Schuldgefühle.
«Ich wollte die Worte des Trostes nachholen»
Wie konnten Sie dieses Erlebnis verarbeiten?
Ich musste 50 werden und selbst eine Tochter haben, die 15 ist und mich bald auch mit dieser Situation konfrontieren wird, um mich besser in meine Mutter einfühlen zu können. Ich habe ihr geschrieben, dass ich ein Lied über diese Situation geschrieben hätte. Ich wolle die Worte des Trostes, die ich damals nicht aussprechen konnte, nun endlich nachholen, auch wenn sie viel zu spät kommen. Meine Mutter reagierte sehr herzlich und meinte, dass es für solche Sachen nie zu spät sei und dass sie sich auf den Song freue. Das hat mich sehr gerührt.
Erkennen Sie sich auch in Ihrer Tochter wieder?
Ich habe das Gefühl, dass sie stabiler in der Welt steht als ich in ihrem Alter. Was uns verbindet, ist ein ausgeprägter Optimismus. Meine Tochter verfügt über eine schöne Nonchalance.
Wie gut kommt sie damit klar, dass Büne Huber ihr Vater ist?
Das war für sie lange gar kein Thema. Sie ging wohl davon aus, dass alle Väter, wenn sie zur Arbeit gehen, Musik machen. Das änderte sich erst im Kindergartenalter. Da merkte sie, dass nicht über alle Väter in der Zeitung geschrieben wird und dass nicht alle im Fernsehen auftreten. Heute ist sie eine 15-jährige junge Frau und zieht neugierig immer weitere Kreise. Als wir mit Patent Ochsner bei der «Tanz dich frei»-Demo morgens um 3 Uhr spontan auf die Bühne gegangen waren und zwei Stunden gespielt hatten, erzählte sie mir am nächsten Tag, dass die anderen vom Schulhaus zu ihr ge-kommen seien und gesagt hätten: «Du hast einen geilen Père!» Das hat sie ein wenig stolz gemacht und mich – ehrlich gesagt – auch ein bisschen.
War sie beim Konzert dabei?
Ich gab mich streng und habe es ihr nicht erlaubt. Sie ist, wie gesagt, erst 15.
Sehen Sie die musikalische Leichtigkeit einiger Songs als Spiegel der wiedergewonnenen Lebensfreude oder als Gegengewicht zu Ihren schweren Erfahrungen?
Es gab eine Phase, in der ich aufpassen musste, dass das Album nicht allzu dunkel wird. Ich wollte vermeiden, dass es mir wieder so geht wie beim Album «Gmües», bei dem der Tod meines Vaters im Zentrum stand. 14 Monate überwiegend mit Themen wie «Tod» und «Abschied» auf Tournee zu sein, war sehr belastend. So sagte ich mir diesmal: «Du bist wieder bei Kräften und lustig drauf. Lass das auch in die Platte einfliessen.» Auf «Gummibaum», in dem Gelassenheit und Leichtigkeit drinsteckt, konnte ich schon zurückgreifen, «Sunnedeck» und die Single «Zucker + Zitrone» schrieb ich später.
Patent Ochsner live: 14. Juli, Bern Gurtenfestival; 3. August, Brienz Rockfestival; 8. August, Zofingen Magic Night; 24. August, Münchenstein Summerstage Basel; 25. August, Arbon Summerdays Festival.
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