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Anders und doch gleich – Juden in Davos

Sie gehören zum Dorfbild mit dazu. Viele jüdische Gäste verbringen ihre Ferien in Davos. Wie fühlen sie sich dort? Wie reagieren Einheimische auf sie? Das BT hat sich in Davos umgehört.

Südostschweiz
19.08.14 - 02:00 Uhr

Flavio bundi

Davos Platz. Eine Gruppe orthodoxer Juden entsteigt der Rhätischen Bahn. Schwer bepackt mit grossen Rollkoffern und in dunkler Kleidung machen sie sich auf den Weg zu den Bussen. Kinder tollen umher. Ein Sprachenwirrwarr aus Hebräisch, Englisch und Schweizerdeutsch ist auszumachen. Eine ganz normale Szene in Davos Mitte August – und doch: hier ist vor einer Woche ein orthodoxer Jude verbal und tätlich angegriffen worden. Ein Einzelfall?

Gleich und doch anders

Auf der Bahnhofstrasse schlendert ein junges jüdisches Ehepaar. Der Mann schwarz gekleidet mit langen Schläfenlocken, einem langen Bart und einem hohen Hut, die Frau mit weisser Bluse und knielangem Rock. Vom Übergriff auf den orthodoxen Juden wüssten sie nichts, antwortet die Frau. «Wir hatten noch nie Probleme hier in der Schweiz, die Leute hier sind sehr nett», so die junge Jüdin weiter. Sie seien hier in den Ferien. Auf die Frage, was ihr an Davos besonders gefiele, meint sie kurz und knapp: «Das Wetter und die Luft.» Der Mann schaltet sich dazwischen. Mit einem hastigen Lächeln verabschieden sie sich und ziehen vondannen.

Eine ältere Dame kommt gerade vom Einkaufen. Seit rund 65 Jahren wohne sie hier in Davos, und noch nie habe sie ein Problem mit jüdischen Gästen gehabt. «Sagen wirs so: Sie sind anders. Was jedoch wichtig ist, ist der gegenseitige Respekt», so die Davoserin. Ihr sei jedoch aufgefallen, dass die Juden in den letzten Jahren netter geworden seien: «Sie grüssen uns Einheimische vermehrt.»

Auf dem Spielplatz neben der Vaillant-Arena ist nicht viel los. Ein jüdisches Ehepaar aus Zürich sonnt sich auf einem der Bänke. Ihre drei Kinder tummeln sich auf der grossen Schaukel. Die älteste Schwester gibt den Ton an. «Davos bietet viel, das Angebot für uns Juden ist gross, insbesondere auch für die kleinen Kinder», antwortet die Frau in breitem Zürichdeutsch. Die Familie sei nicht zum ersten Mal in Davos: «Wir kommen gerne hierhin. Zusammen mit den anderen jüdischen Gästen bilden wir hier eine grosse Gemeinschaft.»

Etwas abseits sitzt eine junge Davoserin mit ihrem Kleinkind auf dem Schoss. Auf die jüdischen Gäste angesprochen meint sie: «Sie fallen natürlich auf, stören aber nicht im Geringsten. Ins Gespräch mit ihnen kommt man jedoch nicht.»

An einer Bushaltestelle wartet Pieder Casutt auf den Bus. Seit rund 35 Jahren lebt der 63-Jährige in Davos. Vor allem im Sommer sehe man viele jüdische Gäste. Still und ruhig seien sie. Nur im Restaurant seien sie nie anzutreffen. «Aber sicherlich profitiert Davos von den jüdischen Gästen», so Casutt weiter.

Beim Dorfseeli trifft man auf viele Juden. Auf den Bänken sieht man sie wild gestikulierend sprechen. Ein jüdisches Ehepaar aus Basel zieht vorbei. «Seit Jahren sind wir hier in Davos in den Ferien. Davos bietet religiösen Juden die Möglichkeit, ihre Religiösität auszuleben», so der ehemalige Versicherungskaufmann. «Grundsätzlich ist man nett zu uns, aber es gibt immer Ausnahmen.» Vermehrt käme es in letzter Zeit zu verbalen Attacken. Auch er selbst sei schon solchen ausgesetzt gewesen. Er versuche stets nett zu sein und lehre auch seine Kinder und Enkelkinder Respekt gegenüber anderen.

Spezielle Angebote für Juden

Seit Jahren gilt Davos als beliebtes Ferienziel für Juden aus der ganzen Welt. «Wir schalten keine spezifische Werbung. Davos bietet jüdischen Gäste jedoch vieles: Gebetshäuser, Hotels, die koscheres Essen servieren und auch Grossverteiler, die Produkte speziell für die jüdischen Gäste anbieten», sagt Nuoth Lietha von Davos Tourismus. In den letzten Jahren habe die Anzahl an jüdischen Gästen leicht zugenommen. Nuoth glaubt nicht, dass der Angriff auf den orthodoxen Juden grossen Einfluss darauf habe. Dennoch bedaure man den Übergriff sehr. Einige Einheimische hätten sich mit dem Opfer solidarisch gezeigt. Dies zeige: «Davos ist weltoffen. Jeder Gast kann sich hier wohl- und sicher fühlen.»

Ebenfalls von den jüdischen Touristen profitieren die Grossverteiler. «Etwa Mitte Juli bis Ende August kaufen regelmässig viele Juden bei uns ein. Dies ist für unser Geschäft sehr gut», so Roger Gall, Filialleiter der Migros Davos Dorf. Lebensmittelhändler Spar bietet gar koschere Produkte zum Verkauf.

Von wetterkonformer Kleidung

Beim Bahnhof Davos Dorf warten orthodoxe Juden auf den Zug Richtung Klosters. Zwei junge Knaben aus Davos spielen Fussball. Beim Anblick der jüdischen Familie meint der kleinere der beiden halblaut: «Meinst du nicht auch, die haben extrem warm in diesen Kleidern?»

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