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«Am Ende landen sie in der Sozialhilfe»

SVP-Präsident Toni Brunner warnt, dass die Schweiz bald zu den Verlierern gehört, sollte die Zuwanderung weiterhin so hoch bleiben. Deshalb brauche es die Masseneinwanderungsinitiative.

Südostschweiz
18.12.13 - 01:00 Uhr

Mit Toni Brunner sprach Stefan Schmid, Bundeshaus

Herr Brunner, Sie sind ein Toggenburger. Diese Region hat wie viele Schweizer Randregionen seit Jahren mit Abwanderung zu kämpfen. Zuwanderer wären ein Segen.

Toni Brunner: Arbeitsplätze sind ein Segen. Dafür brauchen wir nicht primär Zuwanderer aus dem Ausland. Einwanderer ziehts logischerweise in die Ballungszentren. Dort spitzt sich die Situation zusehends zu.

Ist es nicht absurd, wenn ausgerechnet ein Toggenburger für weniger Einwanderer plädiert?

Unser Problem ist nicht die fehlende Zuwanderung. Wir müssen die Abwanderung stoppen. Dazu brauchen wir vielfältige Arbeitsplätze, damit die Jungen im Tal bleiben. Wir wollen nicht über die Zuwanderung aus dem Ausland das Toggenburg bevölkern.

Wenn ein deutscher Unternehmer in Wattwil eine Fabrik baut und 30 Arbeitsplätze schafft, dann sagen Sie doch nicht: Nein danke, wir nehmen keine ausländischen Zuwanderer.

Ich würde ihm einen Blumenstrauss bringen und ihm sagen, wie leistungswillig und einsatzbereit die Toggenburgerinnen und Toggenburger sind.

Eben.

Aber der Deutsche will lieber nach Zürich, wo wir bereits Tausende Zuwanderer haben. 80 000 neue pro Jahr. Die meisten ziehts in die Zentren.

Das erfolgreiche Zürich zieht Zuwanderer an. Das darbende Toggenburg nicht. Basel ist attraktiv, das Emmental nicht. So ist es doch auch auf internationaler Ebene. Die erfolgreiche Schweiz zieht Leute an. Portugal und Polen verlieren sie. Wollen Sie denn zu den Verlierern gehören?

Wenns so weitergeht, sind bald wir die Verlierer. Die Schweiz ist gar nicht so erfolgreich, wie überall behauptet wird. Das Wachstum ist nicht nachhaltig, pro Kopf stagniert der Wohlstand. Wenn man nur die letzten Jahre anschaut, wo die Kontingente bei der Personenfreizügigkeit weitgehend weggefallen sind, dann haben wir beim BIP pro Kopf praktisch ein Nullwachstum.

Das Bruttoinlandprodukt pro Kopf ist seit der Einführung der Personenfreizügigkeit 2002 gestiegen.

Man muss differenzieren. Das grösste Wachstum hatten wir von 2001 bis 2007. Damals jedoch galt die volle Freizügigkeit noch gar nicht. Es gab Kontingente. Nach 2007 hingegen, als die Grenzen offen waren, ist das Wachstum pro Kopf eingebrochen. Das sind die Fakten.

Ihr Argument blendet die Wirtschaftsentwicklung in Europa aus. 2008 hatten wir die Schuldenkrise. Das hat logischerweise auch die Schweiz gespürt.

Eigenartig, dass genau damals die höchste Einwanderung stattfand. Würde man der Logik des Bundesrates folgen, dann müsste bei einer Wirtschaftskrise die Zuwanderung abnehmen. Das Gegenteil ist jedoch eingetreten. Wir hatten 2008 netto fast 100 000 Einwanderer. Die Schweiz wurde noch attraktiver.

Diese Leute haben alle einen Job gefunden. Unsere Wirtschaft ist auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit so tief wie nirgendwo sonst in Europa.

Wir sind bei den Arbeitslosenzahlen nie mehr so tief gesunken wie vor 2001. Die Sockelarbeitslosigkeit ist also gestiegen. Zweitens vergleichen wir Äpfel mit Birnen. Unsere Arbeitslosenquote hält nicht stand, wenn man – wie kürzlich geschehen – die Erwerbslosenquote international gleich berechnet. Plötzlich relativiert sich einiges. Wir haben sechs bis neun Prozent Erwerbslose bei den EU-Bürgern. Bei Drittstaaten-Angehörigen haben wir beinahe 15 Prozent Erwerbslose. Die Jugenderwerbslosigkeit liegt bei zehn Prozent.

«Das ist doch ein Witz»

Das ist unerfreulich, aber allemal viel tiefer als die Zahlen in der EU.

Bei der Jugenderwerbslosigkeit sind wir bereits höher als Deutschland und Österreich. Es findet bei uns ein Verdrängungswettbewerb unter den Ausländern statt. Wer aus 505 Millionen Arbeitskräften auswählen kann, nimmt den Günstigsten. Der ältere Portugiese wird ersetzt durch den jungen Polen und dieser bald durch den noch billigeren Rumänen. Am Ende landen sie bei uns in der Sozialhilfe.

Sie tun so, als stünde die Schweiz am Abgrund. Das Gegenteil ist der Fall. In den letzten zehn Jahren hat die Schweizer Wirtschaft 300 000 neue Stellen geschaffen. Die Steuereinnahmen sprudeln. Wir sind fast das einzige Land, das Schulden abbauen konnte.

Wo sind denn diese Stellen geschaffen worden? In der Industrie? Nein. Die Zuwanderung findet in die Betreuungsberufe statt, ins Gesundheitswesen, in die Bildung, in die Verwaltungen. Auch die Asylbewerber wollen betreut sein. Die Qualität der Zuwanderung wird schöngeredet. Alles Hochgebildete? Unsinn. Man sollte schauen, wo die Leute arbeiten und nicht welchen Schulsack sie mitbringen.

Viele Zuwanderer haben einen Hochschulabschluss. Das ist ein Fakt.

Wenn ein Universitätsabgänger hier Taxi fährt oder eine Prostituierte einen Matura-Abschluss hat, dann spricht man von hochqualifizierten Zuwanderern. Das ist doch ein Witz.

Sie bringen Extrembeispiele.

In Italien ist die Maturaquote bei 80 Prozent, in Frankreich bei 50 Prozent. Da ist es nicht verwunderlich, dass in den Statistiken mehr Hochqualifizierte erscheinen.

Die Zuwanderer sind produktiver als die bereits Ansässigen. Ihr BIP ist 27 Prozent höher, sie zahlen mehr Steuern als sie Leistungen des Staates beziehen.

Wir stehen am Anfang der vollen Freizügigkeit. Die Völkerwanderung ist auch innerhalb Europas erst am Anrollen. Von den armen zu den sogenannt reichen Staaten. Da können wir nicht einfach zuschauen. Wir müssen die Zuwanderung wieder selber steuern und im Notfall begrenzen können.

Gerade die Bauern sind auf ausländische Erntehelfer angewiesen.

Die Bauern werden ihre Arbeitskräfte bekommen. Allerdings saisonal und ohne Anspruch auf Niederlassung, Familiennachzug und Sozialleistungen. Umso unverständlicher ist der Entscheid des Schweizerischen Bauernverbandes. Das Kulturland ist wegen der Zuwanderung unter Druck. Das wissen die Bäuerinnen und Bauern.

Sie stellen somit die Personenfreizügigkeit und damit die bilateralen Verträge fundamental infrage.

Unsere Initiative beauftragt den Bundesrat, das Dossier über die Personenfreizügigkeit nachzuverhandeln.

Die EU ist dazu kaum bereit.

Das sagt sie vor der Abstimmung. Man hat in Brüssel Angst davor, dass sich plötzlich ein kleines Land gegen die Fehlkonstruktion der Personenfreizügigkeit wehrt. Ich bleibe gelassen. Die EU hat ein grosses Interesse an funktionierenden Beziehungen mit der Schweiz. Zudem gibt es auch innerhalb der EU immer mehr Stimmen, die an der Personenfreizügigkeit zweifeln.

Muss der Bundesrat das Abkommen kündigen, wenn die EU nicht verhandeln will?

Nein. Die Kündigung der Bilateralen ist eine Erfindung der Gegner. Die Schweiz wird doch nicht kündigen.

Aber die EU wird die Schweizer Kontingente nicht akzeptieren und möglicherweise das Abkommen kündigen.

Das ist eine gewagte Behauptung jener, die Angst und Schrecken verbreiten wollen.

Warum?

Weil auch innerhalb der EU die Personenfreizügigkeit immer umstrittener ist. Selbst der britische Premierminister Cameron übt Kritik und sagt, dass es so nicht weitergehen kann.

«Wir müssen jetzt handeln»

SVP-Nationalrat Hans Fehr beschäftigt eine Asylbewerberin, SVP-Fraktionsmitglied Thomas Minder sucht per Inserat deutsche Mitarbeiter…

Was hat das jetzt mit unserer Initiative zu tun?

Es geht um Doppelmoral. Sie als SVP-Präsident machen Stimmung gegen die Zuwanderer, und im richtigen Leben sind wir alle stark auf das Ausland und auf Ausländer angewiesen.

Es ist wohl kein Zufall, dass diese Beispiele jetzt an die Oberfläche gezerrt werden. Dass der Schaffhauser Unternehmer Minder Leute auch in Deutschland sucht, liegt rein geografisch auf der Hand. Anstelle Fehrs hätte ich anders gehandelt. Fakt aber ist: 80 000 neue Zuwanderer pro Jahr sind unverkraftbar. Wir müssen jetzt handeln.

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