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Als man Abfall noch guten Gewissens in den Bach warf

Abfallrecycling war bereits vor Jahrhunderten im Trend; aber nicht aus ökologischen, sondern aus ökonomischen Gründen. Zum Problem wurde Müll erst im letzten Jahrhundert.

Südostschweiz
29.01.14 - 01:00 Uhr

Von Manuel Bühlmann

Straff organisiert war die Abfallentsorgung hierzulande schon vor über 500 Jahren: Am Samstagmorgen hatten zum Beispiel die Winterthurer ihren Haus- und Strassenkehricht abzuliefern. Allerdings stellten sie ihn nicht geordnet an den Strassenrand, sondern warfen ihn in den Stadtbach. Nachdem alle ihre Abfälle ins Wasser geschüttet hatten, öffneten sich am Nachmittag die Schleusen des Stadtweihers – das Entsorgungsproblem war gelöst. Den Unrat in Gewässern zu entsorgen, entsprach dem damaligen Hygieneverständnis, wie im «Historischen Lexikon der Schweiz» zu lesen ist.

Flicken statt entsorgen

Dem Wasser habe dieses Vorgehen damals kaum geschadet, sagt Historiker Martin Illi. Die Leute entsorgten auf diese Weise vor allem organische Abfälle – etwa zusammengewischte Essensreste oder Staub. Doch – problematischer – auch tote Tiere landeten regelmässig in Schweizer Gewässern. Jedenfalls war diese Praxis verbreitet genug, um sie zu verbieten: Die Obrigkeiten in den Städten untersagten ihren Bürgern schon im 15. Jahrhundert, Tierkadaver in den Fluss zu werfen. Sogenannte Abdecker kümmerten sich in der Folge um dieses Problem. «Totengräber für Tiere», nennt sie Illi. «Vorläufer der heutigen Verbrennungsanlagen für Tierkadaver.»

Die Menschen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit warfen nur wenig weg: Recycling war schon damals angesagt. Ein ganzer Wirtschaftszweig war darauf spezialisiert. Flicken statt wegwerfen lautete die Devise. Kesselflicker reparierten Töpfe. Flickschuster stellten aus Altleder neuwertige Schuhe her. Lumpensammler suchten alte Stoffen, um sie zu verarbeiten. «Es gab fast keine Abfälle, die nicht weiterverwendet worden wären», sagt Illi.

Das Verbrennen ist relativ neu

Im Laufe der Zeit erklärten die Stadtregierungen Kehrichtabfuhr und Sauberkeit des öffentlichen Raums vermehrt zu ihrer Aufgabe. Im 18. Jahrhundert liessen sie unter anderem Sträflinge und Bettler die Gassen reinigen und Abfall sammeln. Was nicht verwendbar war, landete in Gruben.

Die Idee, den Kehricht zu verbrennen, gelangte erst Anfang des 20. Jahrhunderts von Hamburg in die Schweiz. Die Stadt Zürich errichtete 1904 nach dem Vorbild der Hansestadt die erste Kehrichtverbrennungsanlage des Landes. Davos folgte dem Zürcher Vorbild zehn Jahre später – aus Furcht vor den verbreiteten Tuberkulosebazillen. Die restliche Schweiz liess sich Zeit: Basel (1943), Bern (1954) und Lausanne (1958) errichteten erst Jahrzehnte später Kehrichtverbrennungsanlagen. Die Massnahmen richteten sich vor allem auch gegen die wachsenden Abfallberge – Ausdruck des Schweizer Wohlstands in der Nachkriegszeit.

Die Konjunkturlage wirkte sich allerdings auch andersrum auf die Menge des Mülls aus. So hätte dieser während des Zweiten Weltkriegs deutlich abgenommen, sagt Martin Illi. «Die Menschen konsumierten weniger, warfen weniger weg und gingen mit den Ressourcen sparsamer um.»

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