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Achterberg heftet sich an die Fersen eines kauzigen Nomaden

Südostschweiz
25.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Von Valerio Gerstlauer

Chur. – Er ist ein Getriebener, einer der nicht still sitzen kann. Mittels endloser Märsche scheint er seinem Leiden Linderung zu verschaffen. Doch diese Therapieform zwingt ihn zu körperlichen Höchstleistungen – bis zu zwölf Stunden wandert Herr Sommer umher, offenbar ziellos. Über die Ebenen schallt nur das rhythmische Klopfen seines riesigen Wanderstocks, denn Herr Sommer schweigt, ist immer allein unterwegs. Spricht man ihn an, murmelt er meist Unverständliches vor sich hin. Wortfetzen verraten allerdings: Der Mann hat es eilig. «Muss dringend noch Besorgungen machen» – der am deutlichsten zu verstehende Satz.Der deutsche Schrifsteller Patrick Süskind veröffentlichte «Die Geschichte von Herrn Sommer» 1991. Rund 18 Jahre später haben sich der Bündner Schauspieler Jaap Achterberg und der Regisseur Klaus Henner Russius darangemacht, die Novelle als Erzählstück auf die Bühne zu bringen. Im vergangenen März folgte die Premiere in Zürich. Seither tourt Achterberg mit dem Einmannstück durch die Lande, und ab dem 1. Oktober macht er damit Halt im Theater Klibühni in Chur. In Graubünden wird es im Oktober ausserdem in Valchava und Lavin die Möglichkeit geben, dem Monolog Achterbergs zu lauschen.

Die Sprache steht im Zentrum

Mehr als einen Stuhl, einen Tisch und eine Flasche benötigt Achterberg nicht, um in die Kindheit des Ich-Erzählers aus «Die Geschichte von Herrn Sommer» einzutauchen. Dies belegte er gestern an einer Medienorientierung im Theater Klibühni mit einer Kostprobe seines Könnens. Auf Musik oder gar Videoproduktionen verzichtet der Schauspieler völlig, um der poetischen Sprache Süskinds und dem gestischen Spiel volle Entfaltungsmöglichkeit zu lassen.Neben dem Leitmotiv des verschrobenen Herrn Sommer steht eine ganze Reihe weiterer Kindheitserinnerungen im Zentrum der Erzählung. Vor allem die exakte Beobachtungsgabe Süskinds würden ihn ungemein faszinieren, erzählte Achterberg. «Es gibt so viel in diesem Text, worin man sich selber erkennt.» Diese Momente würden selbst dann aufblitzen, wenn Süskind ganz Banales beschreibe, wie etwa das Klettern auf Bäume oder den verhassten Besuch beim Zahnarzt. Besonders berührt Achterberg die im Buch thematisierte Fantasie vieler Kinder, sich mit dem eigenen Tod für alle Ungerechtigkeiten zu rächen. «Die Vorstellung von der eigenen Beerdigung, es allen heimzuzahlen, indem man sich verabschiedet und damit alle in Trauer stürzt – das ist ein Gefühl, das die meisten Menschen in ihrer Kindheit verspürt haben», sagte Achterberg. Die Erzählung beziehe ihre Stärke gerade daraus, dass die wesentlichen Elemente der Kindheit herauskristallisiert würden.Geschickt findet Achterberg auch die Konstruktion der Figur des Herrn Sommer. Dieser ist bis zum Schluss der Erzählung unfassbar, seine Persönlichkeit bleibt undefiniert. Da die «Erinnerungen» in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fallen, taucht die Frage auf, ob Sommer ein Opfer oder gar ein Täter gewesen ist, den sein Gewissen plagt. Auch die Möglichkeit eines schizophrenen Leidens schliesst Süskind nicht aus.

Abstecher nach Deutschland

Achterberg wird «Die Geschichte von Herrn Sommer» auch in Bonn aufführen können. Weitere Auftritte in Deutschland seien aber unwahrscheinlich, meinte er. Erstens gebe es dort Produktionen wie Sand am Meer, und zweitens seien überall die Kulturetats massiv zusammengestrichen worden. «Man kann froh sein, dass die Schweiz im Bereich Kultur noch immer über ein gutes Netz verfügt.»

«Die Geschichte von Herrn Sommer». 1., 2., 7., 8., 9. Oktober, jeweils um 20.30 Uhr. Theater Klibühni, Chur. Sowie am 14. Oktober um 20.30 Uhr, Museum Chasa Jaura, Valchava und am 30. Oktober um 20.30 Uhr, La Vouta, Lavin.

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