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«Für die Majorzgegner ist es sicherlich einen Versuch wert»

Chur/St. Gallen. – Zwei Parteien, die sonst eigentlich nie am gleichen Strick ziehen, haben sich gefunden – zumindest vorübergehend. Sowohl die Bündner SVP wie auch die SP wollen dem veralteten Bündner Majorzwahlsystem den Garaus machen (Ausgabe vom 9.

Südostschweiz
17.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Von Hansruedi Berger

September). Beide machen sie Druck auf Regierung und Parlament. Sollte von dieser Seite kein positives Echo zur Einführung des Proporzwahlrechts erfolgen, wollen die beiden Parteien die Gerichte bemühen.Und dieser Absicht könnte tatsächlich Erfolg beschieden sein. Denn der kürzlich veröffentlichte Entscheid des Bundesgerichts, dass Grössenunterschiede bei den Wahlkreisen für kantonale Parlamentswahlen rechtswidrig sind, könnte nach Ansicht von Silvano Moeckli, Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule St. Gallen, tatsächlich das Ende des Bündner Majorzwahlsystems bedeuten.

Konsequenzen für gewisse Kantone

Mit dem Entscheid aus Lausanne sei nicht nur klar, dass die Proporzinitiative der SVP Graubünden, welche die bisherigen Wahlkreise unverändert belassen will, ungültig sei, meint Moeckli. Das Urteil könnte sehr wohl auch Konsequenzen für Kantone wie Graubünden haben, die ihr Kantonalparlament immer noch nach dem Majorzwahlrecht wählen lassen.Zwar sei es beim Nidwaldner Urteil um Proporzwahlen gegangen. Aber das Bundesgericht habe klar aufgezeigt, dass sich die Erfolgswertgleichheit bei verschieden grossen Wahlkreisen unterscheide, so Moeckli. Dies möge bei Ständeratswahlen in Ordnung sein, sei jedoch bei Parlamentswahlen nicht gerechtfertigt. Denn das Parlament sollte nicht nur ein Abbild der einzelnen Regionen abgeben, sondern auch der sozialen Kräfte im Kanton. «Ich kann mir vorstellen, dass man bei einer guten Begründung vor Bundesgericht eine gewisse Chance hätten, glaubt der Politikwissenschafter.Dazu komme, dass in den Kantonen mit Majorzwahlrecht ehemals dominierende Parteien sich weniger gegen einen Wechsel zum Proporz wehren würden. In Appenzell Ausserrhoden betreffe dies die FDP. Hier hätten Parteilose ihren Erfolg dem Majorzsystem zu verdanken. Sonst hätten sich diese zuerst in einer Partei organisieren müssen.Moeckli sieht aber auch einen historischen Grund für die Ablösung des Majorzsystems: Alle Kantone hätten früher ihr Parlament nach diesem System gewählt. Bei den meisten sei dies jedoch heute nicht mehr der Fall, der Trend gehe klar in Richtung Proporz, und man könne auch feststellen, dass sich dieses System bewähre.

Wie beim Frauenstimmrecht

Auch dass das Bundesgericht bisher lediglich bei einem Systemwechsel zum Proporz festgestellt habe, dass die Erfolgswertgleichheit der Stimmen gewährt bleiben müsse, sieht Moeckli kein Hindernis. «Das war auch beim Frauenstimmrecht der Fall.» Hier habe man angenommen, das Bundesgericht überlasse diese Entscheidung den Kantonen. Trotzdem habe Lausanne im Jahr 1990 im Fall von Appenzell Innerrhoden interveniert.Auch im vorliegenden Fall kann sich Moeckli deshalb eine Praxisänderung vorstellen: «Für die Majorzgegner ist es sicherlich einen Versuch wert.»

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