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«Das Lampenfieber kommt erst am Eröffnungsabend»

Am kommenden Wochenende startet die neue Spielzeit des Theater Chur – für Direktorin Ute Haferburg und Dramaturgin Ann-Marie Arioli die erste unter ihrer Führung. Wohin geht die künstlerische Reise?

Südostschweiz
26.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Mit Ute Haferburg und Ann-Marie Arioli sprach Carsten Michels

Frau Haferburg, Frau Arioli, mit Beginn der neuen Saison am Theater Chur treten Sie in die Fussstapfen von Markus Luchsinger. Wie gross ist denn das Paar Schuhe, das Sie sich da anziehen?

Ute Haferburg: Das ist vor allen Dingen ein gutes Paar Schuhe. Und da ich selber grosse Füsse habe, bin ich es gewohnt, in grosse Schuhe zu steigen (lacht). Wir beide sind froh, mit Luchsinger einen so hochkarätigen Vorgänger zu haben. Das Vermächtnis nehmen wir an und nehmen es auf. Man sieht an unserem Programm, dass wir nicht streng den gleichen Weg gehen, sondern ihn etwas breiter machen, indem wir neben Schauspiel und Tanz auch mehr Musiktheater zeigen.Ann-Marie Arioli: Luchsinger hat es geschafft, das Theater Chur wieder auf die Landkarte zu setzen. Und das wollen wir weiterverfolgen – manchmal mit etwas anderen Akzenten und auch mit einer Ausweitung, um das Haus wirklich zu einem Zentrum in der Stadt zu machen. Und darüber hinaus.

Fällt Ihnen zum Stichwort «Geborgenheit» etwas ein?

Arioli: (nachdenklich) Ein gutes, aber grosses Wort.

«Geborgenheit» lautete 2006 das Motto von Luchsingers erster Saison in Chur.

Arioli: (lacht) Darin drückt sich wohl das Gefühl aus, das Schweizer haben, wenn sie aus dem Ausland wieder hierher zurückkehren.

Guter Erklärungsversuch.

Haferburg: Uns geht es ja ähnlich. Ann-Marie Arioli kommt nach sieben Jahren in Deutschland wieder in die Heimat zurück. Und ich als Deutsche hatte in Antwerpen tatsächlich Heimweh – nach der Schweiz.

An Luchsingers Erstmotto erinnert sich heute niemand mehr – an seinen Auftakt mit dem britischen Theaterregisseur Peter Brooks schon. Ihr Motto lautet nun «Glücklich leben, aber wie?». Wie beliebig darf oder, freundlicher gefragt, wie offen muss solch ein Motto sein?

Haferburg: Wir haben lange diskutiert, ob wir als Gastspiel- und Koproduktionshaus überhaupt ein Motto brauchen. Aber es hilft uns, die Spielzeit inhaltlich zu strukturieren und über die einzelnen Produktionen hinaus einen Kontext herzustellen.Arioli: Es ist auch gar nicht so entscheidend, dass sich die Leute noch im Mai erinnern, wie das Motto genau hiess. Mit «Glücklich leben, aber wie?» wollten wir eine Frage stellen, eine Anregung geben. Das schafft eine bestimmte Atmosphäre, die für das Theater wichtig ist, weil es ja letzten Endes ein Ort des Dialogs ist – auf der Bühne selber und von der Bühne mit dem Publikum.

«Wir müssen das hiesige Publikum besser abholen»

Der antike Dramatiker Euripides befand einst: «Die erste Bedingung für Glück ist, in einer strahlenden Stadt geboren zu sein.» Strahlend ist nicht gerade das erste Churer Charakteristikum.

Haferburg: Immerhin ist Chur die wärmste Stadt der Schweiz. Und es windet hier heftig.

Wie viel Wind müssen Sie machen, um jene Ausstrahlung ins Unterland, die das Theater Chur unter Luchsinger entwickelt hat, zu erhalten? Mit Peter Konwitschny präsentieren Sie ja demnächst ebenfalls einen der ganz grossen Regisseure des Musiktheaters.

Haferburg: Radio DRS 2 wird nach Chur kommen und hier eine «Parlando»-Sendung mit Konwitschny aufzeichnen. Grundsätzlich geht es uns jedoch um zwei Dinge: Luchsinger hat erreicht, dass Chur schweizweit und über die Grenzen hinaus wahrgenommen wird. Das ist für uns als Theatermacherinnen wichtig. Es geht sicher darum, die Avantgarde ins Haus zu holen, damit wir den Anschluss an das Unterland nicht verlieren und dessen Interesse am Theaterplatz Chur weiter fördern. Wir brauchen uns nicht bescheiden hinter unserem Programm verstecken, sondern müssen selbstbewusst dafür werben, so weit die Mittel es zulassen. Das Entscheidende ist aber, dass wir das hiesige Publikum wieder besser abholen ...

... das sich in der Ära Luchsinger ein wenig verändert hat – weg vom gesetzten, klassischen Theatergänger, hin zu einer jüngeren, quasi urbanen Klientel.

Haferburg: Ich glaube, die «Leuchtturmfunktion» ist dem Publikum weniger wichtig als den Politikern. Deshalb wollen wir mit dem guten Ruf des Theater Chur noch mehr in die Stadt und in den Kanton gehen, um Menschen für ihr Theater zu gewinnen, neugierige Leute anzusprechen, die den Schritt mitmachen vom sogenannten klassischen zum modernen, zeitgemässen Theater, das Platz für Neues und Überraschendes bietet. Als reines Tourneetheater wäre das Theater Chur für bedeutende Theaterschaffende nicht interessant, schon gar nicht für Regisseure vom Kaliber Peter Konwitschnys oder Armin Petras'.Arioli: Theater ist ein riskantes Geschäft, wo es um künstlerische Energien geht. Es ist kein Marketing-Unternehmen oder eine Firma im üblichen Sinn. Wir können hier nicht das Gleiche machen wie Basel oder Zürich. Wir wollen das, was wir für gutes Theater halten, hier zeigen und junge Theatermacher fördern. Dafür ist Chur eine ganz gute Schnittstelle. Und gleichzeitig müssen wir im Auge behalten, was das Publikum spannend findet.

«Der Ruf hinkt der Realität hinterher»

Zeitgenössisches Theater steht im Ruf, kompliziert und anstrengend zu sein. Dabei bauen Theatermacher ihrem Publikum heute mehr goldene Brücken als früher. Was schreckt die Leute ab?

Arioli: Ich glaube, der Ruf hinkt wie immer der Realität hinterher. Bemerkenswerterweise hat sich die Bedeutung des Begriffs «anstrengend» gewandelt. Heute empfinden die meisten Jüngeren zu viel Text als anstrengend, die Älteren legen aber genau darauf grossen Wert. Ich glaube, das Missverständnis liegt darin, dass gar nicht wahrgenommen wird, wie sehr sich seit ein paar Jahren auch anspruchsvolles Theater um die Vermittlung bemüht und Aspekte wie Unterhaltung und Humor miteinbezieht.

Kommendes Wochenendes gilt es dann aber Ernst. Hand aufs Herz, wie aufgeregt sind Sie kurz vor dem Saisonstart?

Haferburg: Oje, bis dahin ist noch so viel zu tun, dass wir gar keine Zeit haben, aufgeregt zu sein. Das Lampenfieber kommt dann erst am Eröffnungsabend.

Werden Sie am Samstag ein paar salbungsvolle Begrüssungsworte an ihr neues Publikum richten?

Haferburg: Na klar (lacht). Das Stück «Chouf Ouchouf!» beginnt offen, da würde eine Ansprache nur stören. Aber direkt nach der Aufführung werde ich ein paar Worte sagen. Und bei der Premierenfeier im Anschluss im Theater und im marokkanischen Königszelt wird es ganz sicher die Gelegenheit geben, mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen.

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