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Vernommene Freudenschreie aktivieren Hirn stärker als Alarmschreie

Eine Eigenheit der menschlichen Spezies ist es, dass sie auch aus purer Freude und Vergnügen schreit. Wie Zürcher Forschende herausgefunden haben, beginnen die Neuronen im Gehirn des Gegenübers bei dieser Art von Schreien sogar stärker zu feuern als bei Alarmschreien.

Agentur
sda
13.04.21 - 20:00 Uhr
Wirtschaft
Schreien gehört zu den wichtigsten Ausdrucksmitteln eines Babys. Und auch Erwachsene schreien: Aus Wut, Ärger, Schmerz, Vergnügen, Traurigkeit oder Freude. (Archivbild)
Schreien gehört zu den wichtigsten Ausdrucksmitteln eines Babys. Und auch Erwachsene schreien: Aus Wut, Ärger, Schmerz, Vergnügen, Traurigkeit oder Freude. (Archivbild)
KEYSTONE/EPA/PAULO CUNHA

Schreien gehört zum natürlichsten der Welt: Babys beginnen zu schreien, sobald sie das Licht der Welt erblicken. Menschen juchzen, wenn der favorisierte Fussballclub das Spiel gewinnt, sie jaulen, wenn sie sich verletzten und kreischen, wenn sie sich fürchten.

Auch Tiere schreien. Doch sie nutzen diese Rufe normalerweise als Alarmsignale, wenn sich etwa ein Raubtier der Gruppe nähert. «Wir kennen keine andere Spezies als der Mensch, die auch aus Freude oder Vergnügen schreit», sagte der Psychologe Sascha Frühholz von der Uni Zürich im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Er ist der Erstautor der Studie, die nun im Fachmagazin «Plos Biology» veröffentlicht wurde.

Ein Ricola zur Regeneration

Frühholz und sein Team gingen der Frage nach, wie sich die Schreie der Menschen klassifizieren lassen und wie diese von anderen wahrgenommen werden. Dazu baten sie insgesamt zwölf Studienteilnehmer in einen schalldichten Raum, wo sie tief Luft holen und anschliessend mit voller Kraft die Luft in einem Schrei aus dem Körper auspressen sollten.

Dieses anstrengende Prozedere wiederholten die Schrei-Probanden für verschiedene Szenarien, die ihnen die Forscher vorlegten: Etwa, dass ein nahestehender Mensch verstorben war oder der Lieblingsclub einen Sieg zu verzeichnen hatte. Zur Erholung erhielten die Teilnehmenden nach dem Brüll-Experiment ein Ricola-Bonbon, wie Frühholz erzählte.

Zwar seien alle Schreie schrill, kräftig und hochtönig gewesen, sagte Frühholz. Trotzdem zeigten sich in den akustischen Profilen feine Unterschiede. So liess sich die Emotion der Schreie in Schmerz, Wut und Angst (die Alarmschreie) sowie Vergnügen, Traurigkeit und Freude einteilen. Einem selbstlernenden Algorithmus gelang es denn auch, die Schreie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit richtig zu klassifizieren.

Positiv geladene Schreie besser erkannt

In einem zweiten Teil des Experiments spielten die Forschenden 23 anderen Studienteilnehmenden die aufgenommenen Schreie in jeweils gleichen Lautstärken vor und massen währenddessen deren Hirnströme. Zudem klassifizierten die Zuhörer die Schreie anhand derer emotionalen Natur.

Die Hirnareale im vorderen Grosshirn, in der Hörrinde und im limbischen System seien bei nicht-alarmierenden Schreien viel aktiver und stärker vernetzt gewesen als bei Alarmrufen, sagte Frühholz gemäss einer Mitteilung der Uni Zürich. Ausserdem erkannten die Zuhörer die Freudenschreie meistens präziser als die «SOS-Schreie».

Alarmsignale verloren an Bedeutung

Das ist insbesondere überraschend, weil aus Sicht der Evolution der Mensch vor allem Signale von Gefahr und Bedrohung richtig erkannt werden sollten. Frühholz spekuliert, dass im Laufe der Zeit die positiven Schreie immer mehr Gewicht erhielten, Alarmsignale an Bedeutung verloren hätten. Denn: «Heute schleichen keine gefährlichen Wildtiere mehr durch die Städte», nannte der Psychologe ein Beispiel. Die sozialen Strukturen der Menschen hingegen sind immer komplexer geworden, was das Schreien diversifiziert haben könnte.

Um den Einfluss der veränderten Lebensumstände der Menschen auf ihre Schrei-Kommunikation festzumachen, wäre eine ähnliche Untersuchung in anderen Kulturen interessant. «Es könnte gut sein, dass wir beispielsweise bei Naturvölkern andere Muster erkennen als bei uns Westeuropäern», sagte Frühholz.

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