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Forscher zeigen Parallelen zwischen Spanischer Grippe und Covid-19

Zögerliches Handeln, zu frühe Lockerungen und ignorierte Einschränkungen: Die Muster bei der Bewältigung der Spanischen Grippe haben frappierende Ähnlichkeiten mit derjenigen der Corona-Pandemie. Das berichten Forschende im Fachmagazin «Annals of Internal Medicine».

Agentur
sda
08.02.21 - 23:00 Uhr
Wirtschaft
Während der Spanischen Grippe herrschte auch im Burgerspital Bern ein Ausnahmezustand. Der Kanton Bern war vom aggressiven Grippevirus besonders betroffen.
Während der Spanischen Grippe herrschte auch im Burgerspital Bern ein Ausnahmezustand. Der Kanton Bern war vom aggressiven Grippevirus besonders betroffen.
Burgerbibliothek Bern

In den Jahren 1918 und 1919 wütete die spanische Grippe weltweit und tötete in der Schweiz gemäss historischen Quellen 24’447 Menschen. Besonders die lange andauernde zweite Welle forderte viele Opfer.

«Es ist beeindruckend, wie sich beim Vorgehen der Regierung und der Behörden während den Pandemien 1918 und 2020 immer grössere Ähnlichkeiten abzeichnen», sagte der Historiker Kaspar Staub von der Universität Zürich im Gespräch mit Keystone-SDA.

Natürlich gebe es auch wichtige Unterschiede zur Corona-Pandemie: Heute sei es ein anderes Virus, die Lebensumstände andere, die Fachwelt vernetzter und das medizinische Wissen grösser.

Zu frühe Aufhebung der Einschränkungen

Für seine Studie zeichnete das schweizerisch-kanadische Forscherteam das Geschehen im Kanton Bern während der Spanischen Grippe nach, wo das Virus besonders stark wütete.

Zu Beginn der ersten Welle reagierte der Kanton Bern rasch und zentral. Er schränkte Versammlungen ein, schloss Theater, Kinos sowie Schulen und verbot Chorproben. Die Ansteckungen gingen zurück, worauf sämtliche Einschränkungen wieder aufgehoben wurden. Viel zu früh: Die viel schlimmere Herbstwelle rollte an.

Angst vor wirtschaftlichen Konsequenzen

Das Fatale: Der Kanton legte zu Beginn der zweiten Welle die Verantwortung den einzelnen Gemeinden in die Hände. «Dieses dezentrale Reagieren aus Angst vor erneuten Einschränkungen und ihren wirtschaftlichen Konsequenzen hat aber nicht funktioniert», sagte Staub. Erst einige Wochen später erliess die kantonale Regierung wieder strengere zentrale Massnahmen - die Pandemie klang etwas ab.

Doch die zweite Grippewelle hielt die Bevölkerung weiterhin fest im Griff. So kam es im November 1918 bei immer noch hohen Fallzahlen zu Konflikten zwischen Regierung und Arbeiterschaft, die im Landesstreik und in Massenansammlungen mündeten. Auch Truppenzusammenzüge in die zentralen Ortschaften trieben die Übertragungen wieder in die Höhe.

Infolge des Landesstreiks widersetzten sich viele Leute den Versammlungseinschränkungen, die daraufhin aufgrund politischen und öffentlichen Drucks wiederum gelockert wurden. «Wir sehen, dass diese Geschehnisse mit einem deutlichen Wiederanstieg der Fallzahlen assoziiert waren und die zweite Welle damit umso länger dauerte», sagte Staub. Eine ähnliche Entwicklung befürchte man nun wegen den Coronavirus-Mutationen.

Ein Ende kommt bestimmt

Die Studie zeige, dass die Schweiz aus ihrer Geschichte hätte lernen können, sagte der Mitautor und Berner Epidemiologe Peter Jüni von der kanadischen Universität Toronto. «Aus meiner Aussenperspektive ist es schwer nachvollziehbar, dass in einem wohlorganisierten, hochentwickelten und privilegierten Land wie der Schweiz jeder tausendste Mensch an Covid-19 verstorben und jeder dreihundertste hospitalisiert worden ist.»

Der historische Blick offenbart aber auch etwas Hoffnungsvolles: Im Frühjahr 2019 bäumte sich die Spanische Grippe 2019 zwar nochmals zu einer relativen milden, dritten Welle auf, danach verschwand sie. «Die akuten Phasen von Pandemien gehen irgendwann einmal auch wieder vorüber», sagte Staub.

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Der Vergleich hinkt gewaltig, da waren völlig andere Zustände wie heute. Zudem war die Bevölkerung vom 1. Weltkrieg schon vorgeschwächt durch Hunger und fehlende Vitamine.

Erster Weltkrieg 1914–1918: Hunger und Mangel in der Heimat
https://www.aerzteblatt.de/archiv/167694/Erster-Weltkrieg-1914-1918-Hun…

Es gibt auch einen Untersuchungsbericht über frühere Pandemien. Die liefern die Erkenntnis, dass sekundär Bakterien und nicht das Virus selbst für Todesfälle verantwortlich waren:

"Die postmortalen Proben, die wir von Menschen untersuchten, die zwischen 1918 und 1919 an Influenza starben, zeigten einheitlich schwere Veränderungen, die auf eine bakterielle Lungenentzündung hinweisen. Bakteriologische und histopathologische Ergebnisse aus veröffentlichten Autopsie-Reihen implizieren eindeutig und konsistent eine sekundäre bakterielle Pneumonie, die durch häufige Bakterien der oberen Atemwege bei den meisten Influenza-Todesfällen verursacht wird."

Schlussfolgerungen

"Die Mehrzahl der Todesfälle bei der Influenzapandemie von 1918–1919 war wahrscheinlich direkt auf eine sekundäre bakterielle Pneumonie zurückzuführen, die durch häufig vorkommende Bakterien der oberen Atemwege verursacht wurde. Weniger substanzielle Daten aus den folgenden Pandemien von 1957 und 1968 stimmen mit diesen Ergebnissen überein. Wenn eine schwere pandemische Influenza größtenteils ein Problem der viral-bakteriellen Copathogenese ist, muss die Pandemieplanung über die alleinige Behandlung der viralen Ursache hinausgehen (z. B. Influenza-Impfstoffe und antivirale Medikamente). Prävention, Diagnose, Prophylaxe und Behandlung von sekundären bakteriellen Lungenentzündungen sowie die Bevorratung von Antibiotika und bakteriellen Impfstoffen sollten ebenfalls hohe Priorität bei der Planung von Pandemien haben."

Originaltext in englisch:

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2599911/

Vielen Dank für den Artikel. Ich hatte diese Vermutung schon eine Weile. Eigentlich hätte man somit eine Blaupause gehabt, was passieren könnte, welche Fehler vermieden werden hätten können. Entweder will oder wollte man nicht aus der Geschichte die notwendigen Lehren ziehen oder es war eine Mischung aus Überheblichket, Technologiegläubigkeit vermischt mit dem Glauben der Unbesiegbarkeit. Zum Bedauern der Vielen, die von uns gegangen sind, hat die Natur der Menschheit wieder aufgezeigt, wo die Grenzen sind. Verstärkt wurde das ganze noch durch Ignoranz, Verleugnung, Verzögerung und einem Zaudern.

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