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Sturm «Vaia» richtet in hiesigen Wäldern immense Schäden an

Mit Sturmböen von bis zu 130 Kilometern pro Stunde fegte «Vaia» über Europa hinweg und hinterliess ein Bild der Zerstörung. Auch in den hiesigen Wäldern, wie sich jetzt zeigt.

17.11.18 - 04:35 Uhr
Wirtschaft

Von der Strasse her ist das Gasterholz genannte Wäldchen bei der Bushaltestelle Wiesental zwischen Kaltbrunn und Schänis hübsch anzusehen. Schon nach ein paar Schritten auf dem Waldweg zeigt sich aber ein ganz anderes Bild: Hier sieht es eher so aus, als hätten zwei dreijährige Riesen Mikado gespielt. Grosse und kleine Bäume verschiedenster Arten liegen kreuz und quer übereinander. Mächtige Stämme halten sich teils nur deshalb noch aufrecht, weil sie sich in anderen, halb umgeknickten Bäumen verfangen haben. Am Waldrand stapeln sich die Stämme, ein Forstarbeiter sägt unermüdlich Äste ab und zerlegt die Bäume in kleinere Stücke.

Katastrophales Jahr für Wälder

Es ist schon mehr als zwei Wochen her, seit «Vaia» gewütet hat, doch noch immer kann Reto Bless, Revierförster in Kaltbrunn und Schänis Nord, nicht eindeutig beziffern, wie viele Bäume dem Sturm zum Opfer gefallen sind. «Nach jetzigen Erkenntnissen schätze ich, dass allein in meinem Waldrevier ungefähr 1300 Kubikmeter Schadholz anfallen werden», sagt der 39-Jährige. Zur Veranschaulichung: Das ist ein 13 Meter hoher Klotz mit einer Fläche von zehn auf zehn Meter.

Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das ganze Jahr über waren die hiesigen Wälder grossem Stress ausgesetzt, wie Bless erklärt: «Angefangen hat es bereits am 3. Januar mit dem Sturm ‘Burglind’, dem in meinem Revier rund 3000 Kubikmeter Holz zum Opfer gefallen sind.» Auch die lang anhaltende Trockenheit habe den Wäldern zugesetzt (diese Zeitung berichtete mehrfach). Dann kam der Borkenkäfer, der ebenfalls von der Trockenheit profitierte, welche die Bäume schwächte (siehe vier Fragen an …). Kürzlich wütete «Vaia». Und die gefährlichste Zeit für den Wald kommt erst noch: «Die Gefahr von weiteren Stürmen ist gerade zwischen November und April sehr gross», sagt Bless – und berührt einen nahen Baumstamm, in der Hoffnung, «Holz alänge» helfe, die Wälder vor neuerlichen Stürmen zu bewahren. Immerhin: «Dadurch, dass die Bäume einen Teil ihres Laubs schon sehr früh abgeworfen haben, sinkt das Risiko von Folgeschäden durch Schneefall.» Würden alle Blätter noch an den Bäumen hängen, könnte der erste Schnee dazu führen, dass unter dem Gewicht weitere Äste abbrechen oder ganze Bäume umknicken.

Buche säuft 300 Liter pro Tag

Für Bless ist klar: «Wird 2019 noch einmal so trocken wie dieses Jahr, ist das für die Wälder eine riesige Katastrophe.» So benötige eine ausgewachsene Buche rund 300 bis 400 Liter Wasser am Tag. «Wenn es monatelang nicht regnet, kann der Baum diese Feuchtigkeit nicht mehr aus dem Boden entziehen. Er zapft seine Reserven an und wechselt in den ‘Energiesparmodus’.» Das sei grundsätzlich eine gute Sache, da der Baum sich so vor Schäden schützt. Aber: Können sich die Bäume zwischen diesen Trockenphasen nicht ausreichend erholen und aufgrund der äusseren Bedingungen keine Reserven anlegen, werden sie dadurch immer schwächer – und sterben im schlimmsten Fall irgendwann ab.

Der Wald ist ein komplexes Ökosystem. Die Folgen eines Sturms gehen denn auch weit darüber hinaus, dass «nur» ein paar Bäume weniger stehen. «Der Wald hat sich aufgrund des Sturms gelichtet. Das führt dazu, dass mehr Sonnenstrahlen den Boden erreichen, wo Brombeerstauden wachsen», sagt der Revierförster. Die Brombeeren wüchsen dadurch schneller und bildeten bald einen regelrechten Teppich. Das hat wiederum Folgen für die Bäume: «Die Samen erreichen den Boden nicht mehr und falls doch, bekommen die Jungpflanzen zu wenig Licht.» Aus diesem Grund ist auch eine ständige Waldpflege erforderlich: «Brombeerstauden müssen zurückgeschnitten werden, die Strassen und Wege gesichert, das Totholz aus dem Wald herausgeholt werden – es gibt immer etwas zu tun», sagt Bless. Er weist auch darauf hin, dass ein grosser Teil des Totholzes im Wald gelassen wird. «Obwohl das Holz an sich tot ist, bietet es diversen Kleintieren einen Lebensraum. Deshalb ist es von grosser Bedeutung, dass wir nicht alle umgestürzten Bäume aus dem Wald holen.» An schwer zugänglichen Stellen lohne es sich ausserdem oft schlicht nicht, das Holz zu «bergen».

Keine Besserung in Sicht

Aus ökologischer Sicht bleibt also nur zu hoffen, dass 2019 wieder ein «normales» Jahr mit ausreichend Niederschlag und möglichst ohne Stürme wird. Neuste Erkenntnisse deuten allerdings nicht darauf hin, dass dem so sein wird: Der vor wenigen Tagen veröffentlichte Bericht «Klimaszenarien Schweiz 2018» besagt, dass trockene Sommer wie dieses Jahr in Zukunft deutlich häufiger auftreten werden. Bis Mitte des Jahrhunderts könnten die Sommer im Schnitt ganze 4,5 Grad wärmer werden. Die Auswirkungen, die solche dauerhaften Erwärmungen auf die hiesigen Wälder hätten, können heute noch nicht abgeschätzt werden. Dennoch versuchten die Förster, sich auf die wahrscheinlichen Szenarien vorzubereiten (siehe vier Fragen an). Sicher ist für Bless: «Sie wären fatal.»

Vier Fragen an Rolf Ehrbar, Revierförster der Waldregion 4

Rolf Ehrbar, Revierförster der Waldregion 4, blickt der Zukunft besorgt entgegen.
Rolf Ehrbar, Revierförster der Waldregion 4, blickt der Zukunft besorgt entgegen.
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1. Neben der Trockenheit und den Stürmen hat auch der Borkenkäfer den hiesigen Wäldern zugesetzt. Wie schlimm war es?
In der Waldregion 4 mussten laut den aktuellsten Zahlen aufgrund des Borkenkäfers rund 2300 Kubikmeter Holz zwangsgenutzt, also gefällt werden. Das ist an sich nicht tragisch, entscheidend werden die Folgejahre. Die Fichten haben dieses Jahr auch sehr stark geblüht, das hat sie zusätzliche Kraft gekostet. Die von Stürmen, Trockenheit und starker Blüte geschwächten Fichten waren für den Borkenkäfer gefundenes Fressen.


2. Mit welchen Ausfallmengen rechnen Sie für die kommenden Jahre?
Es ist leider so, dass in den zwei bis fünf Jahren nach einem grossen Sturm die Schadholzzahlen aufgrund des Schädlings stark ansteigen. Das zeigen Statistiken, die bis ins Jahr 1984 zurückreichen. Wir müssen vernünftigerweise davon ausgehen, dass nächstes Jahr noch deutlich mehr Fichten gefällt werden müssen.


3. Gibt es nichts, das diesen Schädling aufhalten kann?
Wir können nur auf kaltes, regnerisches Frühjahrswetter hoffen. Wenn es regnet, können die Käfer nicht fliegen, und auch die Kälte setzt den Populationen zu. Doch selbst wenn das Wetter für die Käfer miserabel wird, wäre es naiv zu glauben, dass der Fichtenbefall dadurch ganz abgebremst werden könnte. Längerfristig müssen wir uns damit abfinden, dass die Fichte nach und nach aus den tieferen Lagen verschwinden wird.


4. Welche weiteren Herausforderungen kommen auf die Förster zu und wie gehen Sie damit um?
Der Klimawandel ist Tatsache und macht sich im Wald direkt bemerkbar. Der Forstdienst beschäftigt sich intensiv mit diesem Thema und bildet sich weiter. Wir versuchen uns so gut wie möglich darauf vorzubereiten, beispielsweise, indem wir in den tiefen Lagen die Fichte nach und nach durch Baumarten ersetzen, die sich den veränderten klimatischen Bedingungen besser anpassen können.

So verhalten Sie sich im Wald richtig
Gerade nach Stürmen ist es im Wald für Spaziergänger, Hündeler und Sportler sehr gefährlich, sagt Reto Bless, Revierförster von Kaltbrunn und Schänis Nord: «Oft brechen Äste ab, bleiben dann aber im Geäst von anderen Bäumen hängen.» Wann sie herunterfallen, könne man nie sagen. Auch sei es den Förstern oft nicht möglich, hängende Äste zu entfernen. «Dafür müssten wir die Bäume fällen, was wir natürlich nicht tun wollen, solange sie gesund sind.» Auch im Winter erhöht sich die Gefahr: «Wenn Schnee auf die Äste fällt und die Sonne den Schnee zu schmelzen beginnt, wird dieser extrem schwer», erläutert Bless. Das erhöhe das Risiko, dass Äste abbrechen und Menschen verletzen. Bless und sein Team sind 
stets um die Sicherheit der Waldgänger besorgt: «Nach einem Sturm hat die Sicherung der Wege und Strassen 
durch die Wälder stets erste Priorität.» Trotzdem könne nicht ausgeschlossen werden, dass Äste oder ganze Bäume abbrechen. Bless rät deshalb: «Bei starkem Wind oder nach Schneefall sollte man den Wald nicht betreten. 
Das ganze Jahr über ist es ausserdem ratsam, sich nur auf den Strassen und Wegen zu bewegen.» 

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