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«Niemand zeigt, wo die Reise hingeht»

Der scheidende Bündner Gewerbepräsident Urs Schädler freut sich zwar über die florierende Bündner Wirtschaft. Was die volkswirtschaftliche Zukunft des Kantons Graubünden angeht, ortet er in strategischer Hinsicht aber erhebliche Führungsdefizite.

Dario
Morandi
02.05.18 - 19:14 Uhr
Wirtschaft
Kritische Worte zum Abschied: BGV-Präsident Urs Schädler findet, dass es in der Bündner Politik zu wenig Leadership gibt.
Kritische Worte zum Abschied: BGV-Präsident Urs Schädler findet, dass es in der Bündner Politik zu wenig Leadership gibt.
OLIVIA ITEM

Zwölf Jahre stand er an der Spitze des Bündner Gewerbeverbandes (BGV) – und gestern ist er an der Delegiertenversammlung verabschiedet worden. Urs Schädler hat den Dachverband während dieser Zeit massgeblich geprägt. Wie es ihm dabei ergangen ist, schildert der Firmenchef der Churer Fischer Logistik im folgenden Gespräch. Und dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund. Besonders, wenn es um die Zukunft des Kantons Graubünden geht.

Herr Schädler, wenn man Präsident des Bündner Gewerbeverbandes ist, mischt man indirekt in der Politik mit und bewegt sich auf gesellschaftlichem Parkett. Wird Ihnen das jetzt nicht ein bisschen fehlen?

Ich schaue in der Tat mit etwas Wehmut zurück auf die Zeit im Präsidium des BGV. Mir hat die Tätigkeit sehr gut gefallen und sie war auch herausfordernd. Aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich sagen muss: Es ist genug. Nun soll jemand anders in die Hosen steigen. Ich weiss, dass mir das Ganze fehlen wird, aber ich muss gleichzeitig darauf achten, dass ich nicht gleich wieder neue Mandate annehme.

Gute Vorsätze sind da, um sie wieder über Bord werfen zu können, heisst es.

Das mag bei gewissen Gelegenheiten so sein. Fakt ist, dass ich nach meinem Rücktritt wieder etwas mehr Zeit für meine Familie und für mich selber haben möchte. Ausserdem muss ich in unserem Transportunternehmen mehr Präsenz zeigen ...

... das ja in den letzten Jahren unter Ihrer operativen Führung stark gewachsen ist.

Das ist richtig. In den letzten Jahren haben wir einen riesigen Wachstumsschritt vollzogen. Einerseits haben wir mit 65 Angestellten in der Deutschschweiz bei Losetransporten von Baumaterialien mittels Silofahrzeugen inzwischen die volle Abdeckung erreicht. Andererseits haben wir in der Westschweiz noch stärker Fuss gefasst, indem wir kürzlich einen weiteren Betrieb akquiriert haben, der 32 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt.

Während Ihrer Amtszeit hat es ja auch turbulente Zeiten gegeben.

Die hat es gegeben, beispielsweise im Vorfeld der Abstimmung über Olympische Winterspiele in Graubünden. Dass die Vorlage abgelehnt worden ist, habe ich nicht verstanden. Und ich muss zugeben: Das war die bisher grösste Abstimmungsniederlage des Bündner Gewerbeverbandes. Wir waren irrtümlicherweise der festen Überzeugung, dass unser Verband als Vertreter der Bündner Wirtschaft in der Öffentlichkeit so viel Glaubwürdigkeit geniesst, um die erneute Olympia-Abstimmung gewinnen zu können. Da haben wir uns wohl getäuscht, leider.

Aber auch das Ja der Bündner Gewerbler zur No-Billag-Initiative hat hohe Wellen geschlagen.

Die Auseinandersetzungen rund um die No-Billag-Initiative haben nach meiner Einschätzung im Vergleich zur Olympia-Diskussion einen weit geringeren Stellenwert. Wir haben in dieser Frage mit der Ja-Parole ganz einfach konsequent für unsere Überzeugung gekämpft, weil wir gegen eine Doppelbelastung im Gebührenbereich waren und sind. Und während Abstimmungskämpfen gibt es halt manchmal Momente, in denen man alleine dasteht.

Die verlorene Olympia-Abstimmung lässt einen bösen Verdacht aufkommen: dass der einst allmächtige Gewerbeverband an Einfluss und Durchschlagskraft verloren haben könnte.

Gemäss meiner persönlichen Statistik hat der Gewerbeverband in den letzten Jahren rund 70 Prozent aller Parolen und Projekte an der Urne durchgebracht. Damit sind wir auf einem guten Stand, auch wenn es mit Olympia und der Zweitwohnungsinitiative nicht geklappt hat. Gerade bei Olympia haben wir versucht, aufzuzeigen, wie sich Graubünden dadurch weiterentwickeln und volkswirtschaftlich prosperieren könnte. Und diese Gedankengänge hat man uns nicht abgenommen. Um Ihren Verdacht zu entkräften: Der Gewerbeverband hat nach wie vor hohe Durchschlagskraft. Dies unabhängig von den Niederlagen bei der Zweitwohnungsinitiative und Olympia, wo wir für unsere Anliegen leider keine Mehrheiten erreichen konnten.

Den Gewerbeverband zu führen, dürfte keine einfache Angelegenheit sein. Vor allem, wenn man sich die Branchenvielfalt anschaut.

Das ist so, weil unser Verband sehr heterogen ist. Da gibt es Mitgliedschaften, die vom Arzt bis zum Zimmermann reichen. Das macht sich meistens dann bemerkbar, wenn beispielsweise Abstimmungsparolen weniger stromlinienförmig sind, als sie sein sollten. Da gibt es dann schon einzelne Mitglieder, die ein bestimmtes Thema anders beurteilen und deswegen einen Austritt erwägen oder diesen dann sogar vollziehen.

Führen heisst gelegentlich auch Macht ausüben. Hat ein Gewerbepräsident Macht?

Von Macht in dem Sinn möchte ich nicht sprechen. Aber als Präsident tritt man als der verlängerte Arm eines ganzen Wirtschaftszweigs mit 6000 Unternehmungen mit etwa 60 000 Arbeitsplätzen in Erscheinung. Als Präsident muss man sich dieser Verantwortung stellen. Deshalb darf man bei Verhandlungen mit Regierungs-, Parlaments- oder Verwaltungsmitgliedern darlegen, wenn man vertritt beziehungsweise was das Gewerbe erwartet.

Wie beurteilen Sie die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in Graubünden?

Momentan ist sie ausgezeichnet. Es läuft in praktisch allen Branchen gut. Die Zahlen im Tourismus zeigen wieder nach oben, wir haben dank hoher Investitionsbereitschaft eine gute Baukonjunktur und die Exportwirtschaft brummt.

Aber irgendwo dürfte der Schuh ja trotzdem drücken.

Primär in der Politik, wo Strategien für die Zukunft fehlen. Es gibt zwar ein Regierungsprogramm. Aber niemand zeigt letztlich, wo die Reise hingeht. Niemand arbeitet an einem aktiven Prozess, der diese Frage beantworten könnte. Oder anders gesagt: Die Politik hat es bisher verpasst, ähnlich wie in der Privatwirtschaft, auf ein bestimmtes Ziel hinzuarbeiten.

Mit anderen Worten: In Graubünden fehlt die strategische Führung.

Ja genau. Denn es fehlt auch an Leadership. Das war schon bei Olympia so. Was wir in Graubünden brauchen, sind Persönlichkeiten, die führen. Wenn Sie wollen, eine Misses oder einen Mister Future. Jemand, der Projekte anschiebt, Ziele setzt und versucht, den Kanton fit für die Zukunft zu machen.

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