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Jüstrich: «Ich trinke nicht so viel Wein, wie man denken könnte»

Das Amt des Rebbaukommissärs Graubünden hat Hans Jüstrich seit rund 30 Jahren inne. Mit Winterfrostschäden fing seine Arbeit an «und hört in vier Jahren hoffentlich erfreulicher auf». Winzer sei einer der spannendsten Berufe überhaupt, sagt Jüstrich. Wer ihm zuhört, merkt: Es ist auch ein Privileg, die Winzer unterstützen zu können.

Südostschweiz
28.11.16 - 17:00 Uhr
Ereignisse

Im Plantahof, wo Hans Jüstrichs Büro untergebracht ist, ist es ruhig an diesem Novembervormittag. Und auch der Rebmeister des Kantons wirkt so: ruhig, zurückhaltend.
Das sei wohl eine rhetorische Frage, erklärt er trocken, aber ja, er trinke noch immer sehr gerne Bündner Wein. Und, nach einer kurzen Pause: «Aber ich trinke nicht so viel Wein, wie man von einem Rebbaukommissär denken könnte. Den meisten Wein degustiere ich nur.» Aber das mit Leidenschaft. Er habe beruflich und auch privat viele Reisen in Weinbaugebiete unternommen. «Und meistens gibt es dort auch sehr gutes Essen», erklärt er, und seine Augen blitzen auf. Anzusehen ist ihm vom feinen Essen allerdings nichts.


Herr Jüstrich, Sie sind seit über 30 Jahren im Amt. Welches war in dieser Zeit die grösste Veränderung in der Weinproduktion Graubündens?

1993 hat der Bund Ertrags-Beschränkungen pro Quadratmeter eingeführt. In der Schweiz wurde viel Wein produziert und es gab beinahe ein Überangebot. Bis zu jenem Zeitpunkt konnten die Weinbauern so viele Trauben ernten, wie die Natur hergab. Ab 1993 nicht mehr. Natürlich waren anfänglich nicht alle glücklich mit dieser Einschränkung. Und ich musste dem einen oder anderen «auf den Füssen rumtrampen», wenn er sich nicht an die Mengenbegrenzung hielt. Aber nach einer Weile sahen alle ein: Der Wein hat eine bessere Qualität erreicht. Mit dem Ausdünnen der Traubenstände begann man auch, die Traubenzonen auszulauben. Das heisst, man entfernt Blätter rund um die Trauben. Damit werden die Traubenzonen besser belüftet, Feuchtigkeit verschwindet besser und die Trauben verfaulen weniger, bleiben gesünder.

In den letzten zwei, drei Jahren mussten sich die Weinbauern gegen die Kirschessigfliege wehren. Mit welchen Problemen hatten die Winzer vor 30 Jahren zu kämpfen?

Pilzkrankheiten gab es immer wieder, alle paar Jahre eigentlich, wenn es sehr nass war. Vor etwa drei Jahren tauchte die Kirschessigfliege auf. Sie kam aus dem Nichts, es gab noch keine 100-prozentige Bekämpfungsmöglichkeit. Wir mussten ausprobieren, welche Massnahmen wirken, Mittel testen. Die nun eingesetzten Mittel wirken, aber nur teilweise. Ich gehe davon aus, dass es rund zehn Jahre dauert, bis man Mittel entwickelt hat, die eine zuverlässige Wirksamkeit haben.

Was wird die Winzer – neben der Kirschessigfliege – in Zukunft beschäftigen?

Die Flavescence Dorée, die goldgelbe Vergilbung. Sie trat 2004 im Tessin auf, im vergangenen Jahr wurde sie erstmals im Waadtland entdeckt. Es ist davon auszugehen, dass sie früher oder später auch hier auftaucht. Hervorgerufen wird diese Vergilbung durch ein Phytoplasma, das mit einem Insekt an die Reben gelangt. Da man diese Krankheit aber bereits kennt, wird man sie auch relativ gut bekämpfen können.

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Wenn einer, dann er: Hans Jüstrich kennt die Verhältnisse in den Rebbergen sehr gut. Bild Yanik Bürkli


Jüstrich blickt auf einen grossen Erfahrungsschatz zurück. Im sanktgallischen Berneck in den Reben aufgewachsen – die Eltern besassen einen kleinen Rebberg – kam er danach nicht mehr vom Rebbau los. Winzer zu sein sei wohl einer der interessantesten Berufe, die es gebe, sagt er und kommt ins Schwärmen. «Man pflanzt die Rebstöcke ein, pflegt sie, erntet die Trauben, bringt sie in den Keller und dann, wenn man den Wein endlich abfüllen kann, muss man ihn auch noch bestmöglich unter die Leute bringen.»


Wollten Sie nie selbst einen Weinbetrieb aufbauen?

Dazu braucht es das nötige Kleingeld. Das hatte ich nicht.

Oder die richtige Familie.

Ja, das stimmt. Praktisch alle Weingüter sind Familienbetriebe.

Aber mit Ihrer Erfahrung könnten Sie einen Ratgeber in der Art «Wie baue ich erfolgreich ein Weingut auf?» schreiben.

Da hat jeder seine ganz eigenen Vorstellungen und Voraussetzungen. Einen anderen Rebberg, andere Rebsorten, unterschiedliche Vorstellungen der Produkte.


Jüstrich gibt sich bescheiden, zurückhaltend. Obwohl Beratungen seine Haupt- und gleichzeitig seine Lieblingsbeschäftigungen sind. Er schreibt regelmässig Rebbau-Flugblätter, die die aktuellsten Infos zum Bündner Rebbau enthalten. Taucht eine Krankheit auf, kann er frühzeitig Informationen dazu geben. Ebenso hält er in den Flugblättern Infos zu den Temperaturen, den Blüteständen und so weiter fest. Die «Vollzugsarbeiten» hingegen, wie er zum Beispiel die Kontrollen zur Einhaltung der Mengenbeschränkungen nennt, mag er nicht so. «Aber das ist auch Teil meiner Arbeit.»


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Jüstrichs Faszination für die Arbeit in den Rebbergen lässt nicht nach. Archivbild

Wie beschreiben Sie Ihre Beziehung zu den Winzern?

Hm. (Überlegt lange). Ganz unterschiedlich. Mit den Winzern, die in Kommissionen mitwirken und die ich deshalb an Sitzungen antreffe, hab ich eine engere Beziehung als zu anderen. Ich biete meine Hilfe an, wenn man mich braucht, bin aber nicht ständig draussen im Rebberg, um mich beim «Brichte» zu versäumen. Manchen gefällt das nicht, haben mich auch schon gefragt, ob ich wieder aus den Ferien zurück sei, wenn sie mich längere Zeit nicht gesehen haben. Aber wie gesagt: Wer einen Rat benötigt, ruft mich an. Dann stehe ich zur Verfügung.

Die meisten Bündner Weingüter befinden sich im Rheintal. Haben Sie auch Kontakt zu den Winzern im Puschlav und im Misox?

Nein, praktisch nicht. Die wenigen Weinbauern, die es im Misox gibt, sind dem Tessiner Weinverband unterstellt. Im Puschlav gibt es nur den Weinbetrieb Pietro Triacca, der Bündner Wein produziert. Die anderen Winzer haben ihre Reben im Veltlin und keltern ihn auch dort.

In Graubünden wird mit einem Verhältnis von etwa 80:20 deutlich mehr Rotwein als Weisswein produziert. Wird sich das in Zukunft ändern?

Ja, die Weissweinproduktion wird ansteigen, denn die Nachfrage nach Weisswein wird immer grösser. Aber die Veränderung geht nur langsam vor sich, da es Zeit braucht, bis die Reben gepflanzt sind, gute Trauben reifen und dann auch guter Wein produziert werden kann.

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In Graubünden wird viel mehr Rot- als Weisswein produziert. Archivbild

Um auf dem Weinmarkt bestehen zu können, muss man als Winzer immer wieder neue Ideen und neue Produkte entwickeln. Welchen Winzern gelingt das besonders gut?

Heutzutage arbeiten viele junge Winzer erstmal für eine Weile im Ausland, bevor sie den elterlichen Betrieb übernehmen können. Dort sehen sie etwas anderes, holen sich neue Ideen. Ausserdem sind sie viel vernetzter als die ältere Generation. Sie kriegen mehr Inputs von verschiedenen Seiten.

Gibt es ein Erlebnis aus Ihrer Amtszeit, das Ihnen speziell in Erinnerung geblieben ist?

1990 und 2003 waren sensationelle Jahre, die Weinqualität sehr gut. 2003 waren bereits im September alle Trauben geerntet, die Trauben waren kräftig, der Wein super. Eigentlich waren alle Jahrgänge mit der Zahl 3 am Schluss gut: 1983, 1993, 2003, 2013. Es sind vielmehr die Jahre als einzelne Ereignisse, die mir in Erinnerung geblieben sind. (Blickt auf die Rebbaustatistik 2015; auf der Titelseite Bilder von Menschen, die in den Reben arbeiten. Ein Bild zeigt einen alten Mann, der auf der Erde kniet und einen Rebstock einpflanzt.) Ah und dieser Mann hier, er ist über 95, war selbst Winzer und hilft nun seinen Enkeln bei der Arbeit in den Rebbergen. Er wollte die Rebstöcke unbedingt von Hand einpflanzen. Es ist die Leidenschaft dieser Menschen, die mir auch gefällt.

Zu guter Letzt: Haben Sie einen Lieblingswein?

Nein. Ich probiere gerne verschiedene Weine, besuche auch privat Degustationen. Bei mir muss vor allem auch das Preis-/Leistungsverhältnis stimmen.

 

Es ist Herbst und die Traubenernte ist abgeschlossen. Wir nehmen dies zum Anlass und tauchen zwei Monate lang in die Welt des Weines ein. Hier geht es zu allen Artikeln.
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