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Ein Platz im Klassenzimmer für Geologie

Vom höchsten Punkt bis ins Tal. Die «Glarner Nachrichten» zeigen in einer Serie spezielle Glarner Orte. Heute: der Fronalpstock.

Südostschweiz
11.08.19 - 04:30 Uhr
Tourismus
Nicht nur der Ausblick in Richtung Zürichsee, auch die verschiedenen Gesteinsarten am Fronalpstock beeindrucken.
Nicht nur der Ausblick in Richtung Zürichsee, auch die verschiedenen Gesteinsarten am Fronalpstock beeindrucken.
MAYA RHYNER

Maya Rhyner im Zwiegespräch mit Hans Fischli (Geoguide und Berführer aus Näfels)

Über schöne Alpweiden und alsbald auch über rotes Gestein geht es dem Fronalpstock entgegen. Grüne Matten, Fels und Stein erzählen ihre eigenen Geschichten, der Blick in die Weite ist eindrücklich. Zwei Wander- und Gesteinsinteressierte im Gespräch.

Hans Fischli, wir sind schon «z’Alp» zusammen gewandert. Was ist dein erster Gedanke zu diesem Bild?

Hans Fischli: Ein super Aussichtsberg, ich war schon in den Schuljahren öfter oben. Ich sehe den Fronalpstock vom Stubenfenster aus. Von seinem Gipfel sieht man alle meine sogenannten Hausberge: Tödi – Glärnisch – Wiggis; Rauti – Bockmattli und natürlich Köpfler – Brüggler, wo unterhalb mein Berghüttli liegt. Leider erinnert mich der Fronalpstock auch an eine traurige Besteigung in den 1970er-Jahren, bei der ich als Obmann mit der alpinen Rettung zwei vermisste Berggänger bei misslichen Wetterbedingungen leblos vom Gipfel bergen musste. Der Blitz hatte sie getroffen.

Das sind die traurigen Seiten der Berge. Wie gehst du damit um?

Ich war bereits mit 18 Jahren bei einer Bergung am Bockmattli dabei und hatte schon damals keine Probleme. Ich weiss auch nicht, man kann das ja nicht erlernen. Auch bei vielen späteren Einsätzen konnte ich es immer wegstecken, damals gab es noch keine Care Teams. Es ist immer sehr traurig. Auch damals, dort am Froni, sie wollten wohl unbedingt noch vor dem Gewitter auf den Gipfel und sind dann überrascht worden. Dem einen seine blecherne Thermosflasche wies deutliche Einschlagspuren von einem Blitz auf. Bei Gewitter gilt immer, sich zurückzuziehen, weg von ausgesetzten Stellen. Man muss das Wetter lesen können, dann weiss man, wann man sich auf den Rückweg machen muss.

Das Wetterlesen hat auch viel mit Gespür zu tun. Ist es dank der vielen Wetter-Apps vielleicht nicht mehr so ausgeprägt vorhanden?

Bei Bergtouren setzen wir uns immer mit der Natur auseinander und müssen dementsprechend gewisse Regeln einhalten. Das heisst, wir müssen eine umsichtige Tourenplanung auch bezüglich alpiner Gefahren durchführen, um allfällige Risiken eines Bergunfalls zu verhindern. Wobei die eigene Erfahrung der grösste Vorteil ist; das «Gspüri», die Ortskenntnisse, die Verhältnisse vor Ort zu kennen, dann das Wetter. Heute kann man Wetter-Apps, Radarbilder oder Meteoberichte als zusätzliche Hilfe während der Tour konsultieren. Die hauptsächlichen Risikofaktoren sind aber Verhältnisse, Gelände und der Mensch selber. Manchmal braucht es zum Rückzug mehr Überwindung als zum Weitergehen. Man sagt auch, wer exakt plant, irrt genauer – und, das Sicherste am Restrisiko ist, dass es irgendwann eintrifft.

Trotzdem wollen wir wandern. Achtsam. Wechseln wir zu den schönen Seiten der Berge. Das Bild zeigt hier zwei, vielleicht Vater und Sohn, wie sie auf dem Gipfel rasten und die Aussicht geniessen. Auf dem Weg zum Fronalpstock geht man durch Alpweiden und dann auch über auffällig rotes Gestein. Was ist der geologische Hintergrund beim Fronalpstock?

Der Gipfel des Fronalpstocks wäre eigentlich ein perfektes Schulzimmer für Geologie-Unterricht über die Entstehung der Glarner Alpen. Das kommt auf dem Foto auch zum Ausdruck: Der Vater erklärt seinem Sohn wohl, wie die Berge heissen und kennt vielleicht noch eine Geschichte dazu.

Dann nehmen wir doch Platz in diesem Schulzimmer. Ich bin gespannt, was lernen wir?

Der Fronalpstock respektive der pyramidenförmige Gipfelaufbau besteht hauptsächlich aus Sedimentgesteinen, aus grauem Quintnerkalk aus der Jura-Zeit. Entstanden vor zirka 160 Millionen Jahren. Beim Aufstieg zum Gipfel des Fronis, wie wir sagen, im Bereich des Fronalppasses, entdeckt man buntes, älteres Gestein aus der Trias-Zeit vor zirka 240 Millionen Jahren. Auf dem Pass selber findet man löcheriges Gestein, die Rauwacke oder auch Zellen-Dolomit genannt, ebenfalls aus der mittleren Triaszeit.

Das heisst also, dass da verschiedene Kräfte und Schiebungen zu verschiedenen Urzeiten stattgefunden haben.

Genau. Für seine jetzige Form musste der Fronalpstock aber noch einige Millionen Jahre warten und etliche Gebirgsbildungen durch Über- oder Unterschiebungsprozesse durchmachen. Und schliesslich waren es dann die verschiedenen Eiszeiten bis vor zirka 20 000 bis 15 000 Jahren, die ihren letzten Schliff dazugaben. Nun, vielleicht weisst du, wie das Gebiet des Kantons Glarus geologisch grob aufgeteilt ist?

Hmm, erwischt. Jetzt könnten meine Banknachbarn vielleicht helfen. Nun, ich weiss, dass bei der Glarner Hauptüberschiebung älteres auf jüngerem Gestein liegt. Und dass wir da Verrucano- und Schiefergestein häufig antreffen, diese fallen durch ihre Farbe und Form auf. Aber ob das die richtige Antwort auf deine Frage ist?

Das ist alles richtig. Was aber ebenfalls noch auffallend ist, die Linth trennt ebenfalls, denn östlich der Linth finden wir meist älteres und westlich meist jüngeres Gestein.

Im Unesco-Weltnaturerbe gibt es neben den Tschingelhörnern samt Martinsloch eben auch den Froni oder den Mürtschenstock. Der Mürtschenstock zeigt so etwas wie eine Cremeschnitte. Oder wie sagt ihr dem und was ist da genau passiert?

Der Fronalpstock ist der nordwestlichste, markanteste Gipfel im Perimeter der Tektonikarena Sardona, für deren Unesco-Welterbe-Auszeichung die Glarner Hauptüberschiebung ausschlaggebend ist. Nirgends auf der Welt zeigen sich die Zeugen der Gebirgsbildung so monumental und anschaulich wie im Grenzgebiet der Kantone Glarus, Graubünden und St. Gallen. Östlich des Fronalpstocks liegt das Mürtschenmassiv, ebenfalls aus verschiedenen Sedimenten, mit seinen interessanten Schichten und Bändern. Auffallend und geologisch äusserst speziell am Mürtschen sind die sogenannten «Falten». Die Schichten liegen am Ruchen (Südgipfel) verkehrt südabfallend, biegen am Fulen (Mittel-Gipfel) und Stock zu horizontaler Lage um und tauchen wieder gegen Norden ab. Da wurden riesige Gesteinspakete mit unterschiedlichen Gesteinsarten mit nicht vorzustellenden Kräften durcheinander- geknetet. Das Gestein ist deshalb auch und durch die Verwitterung äusserst brüchig, was auch vom Namen «Mürtschen» - «Morsch» ableitet.

Was fasziniert dich an den Gesteinen?

Die Faszination an Gesteinen ist bei mir immer schon da gewesen, ich habe schon als Bub mit Steinen gespielt. Später ging man dann «z’Berg» und bemerkte, dass es verschiedene Gesteine gibt. Und als ich mit dem Klettern anfing, interessierte ich mich noch mehr dafür. Auf Bergtouren beobachtete ich Veränderungen von Felsen und Gebirgszügen zum Beispiel durch Ausbrüche. So sammelte ich Erfahrungen bezüglich der Gefahren im Gebirge. Mit dem neuen zusätzlichen Wissen als ausgebildeter Geo-Guide im Unesco-Weltnaturerbe versteht man dann auch besser, dass die Natur und die Erdgeschichte, insbesondere die Geologie, unser Kommen und Gehen massgeblich bestimmt.

Und in welchem Gebiet bist du als Geoguide am liebsten unterwegs?

Wegen der ungeheuren Vielfalt der Geologie der Alpen, vor allem die der Glarner Berge, sind alle Gebiete für mich als Geoguide höchst interessant. Im Speziellen natürlich die erst vor wenigen Jahren entdeckten Saurier-Spuren unterhalb des Sandpasses am Tödi.

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