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18 Thesen, die auch wehtun

Ein «Weissbuch» soll den Bündner Tourismus aus der Krise in die Zukunft führen. Gefragt ist für einmal nicht der Staat.

Olivier
Berger
30.11.17 - 04:30 Uhr
Tourismus
Der Fahrplan aus der Krise: Das «Weissbuch» fordert mehr Unternehmertum in Graubünden.
Der Fahrplan aus der Krise: Das «Weissbuch» fordert mehr Unternehmertum in Graubünden.
YANIK BÜRKLI

Am Ende zitierte Ernst A. Brugger gar einen der ganz Grossen der Schriftstellerzunft. «Es gibt nichts Machtvolleres als eine gute Idee zur richtigen Zeit», sagte der Präsident des Tourismusrats Graubünden. Mit dem Zitat von Victor Hugo konterte Brugger den Vorwurf, das gestern präsentierte «Weissbuch für den Bündner Tourismus» wärme bloss all jene Rezepte auf, die in der Branche seit ewigen Zeiten herumgeboten würden.

Warum es diesmal klappen soll mit dem grossen Aufbruch, hatten Brugger und seine Mitstreiter vor dem Hugo- Zitat eine knappe Stunde lang an einer Medienkonferenz erklärt. Da sei einmal die aktuelle Krise des Bündner Tourismus, erklärte Brugger, eine einzige Ansammlung von Alarmzeichen und «gefährlichen Rekordwerten», beispielsweise bei den Logiernächteverlusten.

In 18 Schritten aus der Krise

Mit all den negativen Signalen sei es einfach, so Brugger: «Man kann sie verdrängen oder man kann sie wahrnehmen.» Der Tourismusrat habe sich für Letzteres entschieden und deshalb zur Feder gegriffen. Das «Weissbuch» sei ein Appell, ein Weckruf gar, ein «auf Unternehmertum ausgerichtetes Büchlein», betonte Brugger. «Wir wollen hier animieren.»

Reagieren will der Tourismusrat auf zehn in dem handlichen Büchlein akribisch aufgelistete Herausforderungen. Zu diesen Handlungsfeldern hat der Rat 18 Thesen formuliert – eine Auswahl davon findet sich auf dieser und der nächsten Zeitungsseite. In der Pflicht stehen für die Autoren die Bündner Unternehmer. Der Tourismus, so Brugger, könne «nicht nur zur öffentlichen Hand rennen».

Von Digitalem und Humanem

Gewissermassen als Kronzeugen für die Thesen im Buch hatten sich vor den Medien gleich mehrere Granden des Bündner Tourismus versammelt. «Es braucht Mut, sich kritisch mit sich auseinanderzusetzen», sagte etwa Jürg Schmid, der neue Direktor von Graubünden Ferien. Zu den künftigen, wohl vorwiegend digitalen Vertriebskanälen im Tourismus sagte Schmid, es gehe um «die Gesamtdominanz des Erlebens». Der Bündner Tourismus müsse auch in diesem Bereich «erkennen, wo es hingeht».

Für Alois Zwinggi, Mitglied des Tourismusrats und Direktor des World Economic Forum (WEF) in Davos, hängt vieles vom Personal ab. Die fehlende Wertschätzung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Tourismus sei «etwas, was uns Sorgen macht», sagte Zwinggi. Vielfach sei die Tätigkeit im Tourismus nicht Wunschberuf, sondern «eine der letzten Möglichkeiten». Grosse Hoffnungen setzt Zwinggi in die Tourismusschule SSTH in Passugg und die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Chur. Die beiden Institutionen seien heute «unterschätzt und unterfordert».

Die nächste Strukturdiskussion

Klar ist schon jetzt: Das «Weissbuch» schiebt eine neue Diskussion über die Strukturen im Bündner Tourismus an – dies, obwohl ein entsprechendes Grossprojekt erst vor wenigen Jahren abgeschlossen wurde. Heute zeigten die Strukturen in der Branche ein «sehr verwirrliches Bild», so Zwinggi. Jede Institution und Organisation habe vor allem das eigene Wohlergehen im Sinn.

Schmid geht davon aus, dass die heutigen Strukturen schon allein wegen der fortschreitenden Digitalisierung nicht mehr lange haltbar sind. Virtuelle und erweiterte Realität seien auf dem Vormarsch, betonte Schmid. Das biete Chancen, sei für kleine Marktteilnehmer allein aber kaum zu bewältigen. Das heisse: «Es braucht Spezialisten, es wird teuer.»

Abschliessend beurteilten mit Hotelier Kurt Baumgartner und Weisse-Arena-Chef Reto Gurtner zwei Unternehmer das «Weissbuch» auf seine Praxistauglichkeit. Gurtner betonte, nur Hotelbetten zu verkaufen, bringe nichts. «Ohne Emotionalität mache ich kein Produkt.» Baumgartner forderte «neue Produkte für neue Gäste». Schliesslich lanciere auch jede Automarke jedes Jahr neue Modelle.

Olivier Berger wuchs in Fribourg, dem Zürcher Oberland und Liechtenstein auf. Seit rund 30 Jahren arbeitet er für die Medien in der Region, aktuell als stellvertretender Chefredaktor Online/Zeitung. Daneben moderiert er mehrmals jährlich die TV-Sendung «Südostschweiz Standpunkte». Mehr Infos

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Oje.
1) "Gurtner betonte, nur Hotelbetten zu verkaufen, bringe nichts. «Ohne Emotionalität mache ich kein Produkt.»"
Ja, wissen wir seit über 1000 Jahren: Ein Bett muss im "Kornfeld" stehen, nicht in der "Wüste".
2) "Baumgartner forderte «neue Produkte für neue Gäste». Schliesslich lanciere auch jede Automarke jedes Jahr neue Modelle."
Nein, kein neues "Automodell", sonst KEIN Auto mehr - sprich: es braucht Bahnbrechendes statt Millimeterpseudoinnovation.

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